Jürgen Melzer: Verewigt auf dem heiligen Rasen
Wer über den Stellenwert eines Sportlers etwas erfahren will, der kann in dessen Trophäenschrank blicken. Oder er achtet auf die kleinen Gesten, die ihm Weggefährten entgegenbringen. Jürgen Melzer steht auf der Medienterrasse der Anlage in Wimbledon, als Martina Navratilova, gefolgt von einer kleinen Entourage, schnellen Schrittes vorbeihastet. Die 59-fache Grand-Slam-Siegerin (Einzel, Doppel, Mixed) bremst sich ein, dreht sich zu Melzer und sagt: „Hi Jurgen!“
Man kennt Jürgen Melzer in Wimbledon. 2010 schrieb er Geschichte, nachdem er als erster Österreicher in der allgemeinen Klasse einen Titel im ehrwürdigen Wimbledon gewann. Der Moment des Triumphes im Doppel ist heute auf einem Foto auf Court Nr. 1 verewigt.
Es ist nicht die einzige Spur, die der 38-Jährige auf dem heiligen Rasen hinterlassen hat. Vor exakt zwanzig Jahren begann er das Versprechen in sein Talent einzulösen. Melzer gewann den Juniorenbewerb von Wimbledon, im Teilnehmerfeld befanden sich unter anderen Andy Roddick und David Nalbandian. „Vor 20 Jahren habe ich mich in dieses Turnier verliebt, und diese Liebe ist geblieben“, sagt der Niederösterreicher zum KURIER.
Melzers Überraschungscoup geschah zu einer Zeit, in der Tennis-Österreich taumelte. Wenige Wochen zuvor hatte Thomas Muster nach dem Erstrunden-Aus in Paris seinen Rücktritt erklärt. Die Fußstapfen waren für Melzer nicht leicht auszufüllen, sogar Dominic Thiem hat das viel später noch erfahren müssen.
Auf der Junioren-Ehrentafel von Wimbledon ist Jürgen Melzer in guter Gesellschaft. Im Jahr davor hatte ein gewisser Roger Federer triumphiert. Während die Schweizer Ausnahmeerscheinung auch 2019 einer der Favoriten im Herren-Bewerb ist, versucht Melzer mit neuem Doppelpartner seiner Karriere ein letztes Erfolgskapitel hinzuzufügen. Erfreulich für die österreichische Öffentlichkeit ist, dass er nun mit Landsmann Oliver Marach gemeinsame Sache macht.
Der bald 39 Jahre alte Steirer wurde letztes Jahr noch als bester Doppelspieler der Welt ausgezeichnet. „Ein neuer Doppelpartner bedeutet immer viel Arbeit“, erklärt Melzer, „wir müssen für uns ein stabiles System erarbeiten, damit wir in den Ballwechseln unsere Stärken ausspielen können.“ Wimbledon 2019, wo das Duo am Mittwoch mit einem Fünf-Satz-Sieg gegen Hsieh/Rungkat (Taiwan/Indonesien) in den Bewerb gestartet ist, ist dabei nur ein erster Gradmesser.
Das mittelfristige Ziel sei es, sich bis zum Jahresende in eine komfortable Situation zu bringen, um 2020 um Titel spielen zu können. Melzer: „Ich glaube, dass wir ein gutes Team sein können.“ Der Teamgedanke war für die einstige Nummer acht der Tenniswelt stets ein zentraler Gedanke. Für Österreich war er ungeachtet seiner Turnierplanung stets zur Stelle. Nicht nur einmal war der Daviscup-Rekordspieler der rot-weiß-rote Sieggarant in einem Länderkampf.
Auch deshalb haben Marach und Melzer schon Olympia 2020 in Tokio im Hinterkopf. Bis dahin sollte ihr System funktionieren, die beiden haben dafür auch ihre angestammte Seite beim Return gewechselt.
Zu viele Gedanken an die Zukunft will Jürgen Melzer nicht anstellen: Er kennt das Profigeschäft mit all seinen Unwägbarkeiten. Ein Wunsch wäre es, dass sein Sohn (*2017) noch etwas mitbekommt von der Karriere des Vaters, „aber das wird eng. Ich kann ihn aber immerhin die Ehrentafel mit meinem Namen zeigen.“
INFO:Die Reise nach London wurde von Sky und Erste Bank Open organisiert.
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