Wie Ex-Judo-Ass Sabrina Filzmoser im Himalaja Menschen retten will

Sie prahlt nicht mit ihren elf bei Europa- und Weltmeisterschaften eroberten Judo-Medaillen. Sie erklomm auch das Dach der Welt. Sabrina Filzmoser bräuchte eine Visitkarte in Schulheft-Größe, wollte sie alle ihre Erfolge, Titel und Ehrenämter abdrucken lassen. Die Welserin verfügt über ein abgeschlossenes Hochschulstudium und ist seit einem Monat Frau Polizeiinspektor. Seit 2021 besitzt sie die Piloten-Lizenz, zudem scheint sie auf der offiziellen europäischen Astronauten-Kandidatenliste auf.
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Filzmoser ist Vizepräsidentin des österreichischen Judoverbandes und Vorsitzende der internationalen Athletenkommission. Die 43-Jährige hat auf dem Weg zum Himalaya ein Mountainbike-Rennen über 254 Kilometer und 3.500 Höhenmeter gewonnen und danach den Mount Everest bezwungen.
KURIER: Wie viel Selbstdisziplin und Training sind notwendig, um so ein Leben ohne Stillstand zu bewältigen? Stimmt es, dass sie einen extrem niedrigen Ruhepuls wie Marathonläufer haben?
Sabrina Filzmoser: Ich versuche drei Mal täglich zu trainieren. Und ja, ich hab Ruhepuls 35 bis 38.
Hat Sie der Judosport abgehärtet?
Judo lehrt Demut. Ich war 48-mal in Japan. Es wurde dort um sieben Uhr früh auch im Winter bei offenen Fenstern in Hallen trainiert, die man bewusst ungeheizt ließ.
Wie fordernd war der Aufstieg auf den Mount Everest?
Zur Anpassung an die extreme Höhenlage habe ich 50 Tage im Basecamp in 5.364 Meter Höhe verbracht.
Wird das Warten da oben nicht beklemmend fad vor lauter unfreiwilliger Passive?
Nein. Allein schon mit dem Schmelzen von Trinkwasser ist man ständig beschäftigt. Und Essen musst du ohnehin so viel wie möglich.
Und wer mitten in der Nacht bei eisiger Kälte aus dem Zelt zum Verrichten seiner Notdurft muss
Sollte das nie ohne Steigeisen tun. Ein Kollege hat darauf vergessen. Wir haben ihn nie wieder gesehen.
Sie fuhren im Juli mit dem Rad von Meeresniveau aus Richtung K2. Sie wollten den zweithöchsten Berg der Welt bezwingen, als Sie von einer skandalumwittertem Tragödie eines Hochträgers erfuhren. Zeitgleich vollendete die Norwegerin Kristin Harila die schnellste Besteigung aller 14 Achttausender.
Den 27. Juli werde ich nie vergessen. Es herrschten Bedingungen, bei denen ich nicht einmal auf den Dachstein gehen würde. Aber viele ließen sich vom K2-Vorhaben nicht abhalten.
Weil andernfalls jeder von denen rund 100.000 Euro umsonst investiert hätten?
Auch deshalb. Sie wollten unbedingt ganz nach oben. Und die Sherpas mussten mit. Dazu arme Kerle wie der ungenügend ausgerüstete Hassan. Er hätte mit einer kleinen Gipfelprämie seine drei Kinder für längere Zeit ernähren können. Ich hörte die erste Lawine, zwei Stunden später die nächste. Da wusste ich, dass es richtig war, auf den K2 zu verzichten.
Für den Hochträger Mohammad Hassan wurde das ewige Eis zum Grab, nachdem etliche Gipfelstürmer eine Hilfeleistung unterlassen hatten. Wie haben Sie davon erfahren?
In der Früh kamen schon die ersten zurück, die umgedreht hatten. Die wussten zwar alle, dass es oben einen Unfall gegeben hatte. Sie waren aber nicht sicher, ob der Mann noch gelebt hatte. Später haben etliche gesagt, wie arg das ist, wenn man über eine Leiche steigen muss.
Wie stehen Sie dazu?
Die haben vielleicht gemeint, dass ohnehin ein anderer hilft. Es wäre auch keiner von denen bereit gewesen, dem völlig unerfahrenen Hassan die eigene Sauerstoffflasche zu geben. Auch weil sie selbst nur ein paar Minuten ohne Sauerstoff auskommen.
Ist Ihnen die Lust am Himalaja nach diesem Schockerlebnis nicht vergangen?
Nein. Schließlich haben wir im Himalaja auch eine Mission zu erfüllen. Den Everest Judoklub habe ich gegründet, um Kindern neue Perspektiven zu geben. Ich bin unserem Judo-Präsidenten Martin Poiger sehr dankbar für die Unterstützung. Der Everest Judoklub hat bereits vier junge, ausgebildete Trainer, die gemeinsam mit Headcoach Kazi Sherpa die Kinder betreuen. Die lokale Bevölkerung und die Sherpafamilien stehen voll hinter unserem Projekt. Die Betreuung der Waisenhäuser in Kathmandu funktioniert gemeinsam mit dem nepalesischen Judoverband und im Gehörlosen-Judocenter haben wir den jungen Coach des Polizeiteams Sanjit integriert.

Sabrina Filzmoser in der Polizeiuniform
Haben Sie ihre bisherigen Alpin-Abenteuer ohne Spätfolgen überstanden?
Ja. Auch meine erfroren gewesenen Zehen und Finger sind alle wieder okay.
Auf dem Rad werden Sie bei Ihrem Abenteuer bezüglich Temperaturen wohl das andere Extrem erlebt haben?
In Pakistan in jeder Hinsicht. Frauen dürfen selbst bei 45 Grad nur langarm und mit langer Hose radfahren. Daran musste ich mich halten. In Teilen Pakistans sah ich keine einzige Frau auf der Straße.
Welche Gründe führen sie nun nach Hawaii?
Eine Helikopter-Spezialausbildung. Ziel ist es, Rettungsfliegerin im Himalaya zu werden, wo sich wegen der dünnen Luft nur der Pilot und die zu rettende Person an Bord befinden dürfen. Und in Österreich möchte ich gerne zur Flugpolizei.
Um Sabrina Filzmoser, 43, den Wunsch zu erfüllen, wäre eine Abkehr vom Prinzip „Vurschrift is Vurschrift“ nötig. Eine Neuanmeldung für Österreichs Flugpolizei ist nur bis zum 35. Lebensjahr erlaubt. Der Sportverantwortliche des Innenministeriums, Günther Marek, will sich um eine Ausnahmegenehmigung für die topfitte Frau Inspektor bemühen.
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