Große Bühne für Russland: Die Rückkehr einer Sportmacht
Mit der Empfehlung, russische Athleten zuzulassen, fordert das Olympische Komitee Nationen und Verbände heraus. Sperren und Auflagen müssen neu bewertet werden. Der Big Player ist zurück. Weg war er ohnehin nie ganz.
Es werden keine einfachen Monate für den Weltsport. Mit Blick Richtung Paris, wo im Sommer 2024 die ersten Olympischen Spielen seit dem Einmarsch Russlands in der Ukraine stattfinden, stellen sich viele Fragen. Erst recht nach der weitreichenden Empfehlung des Internationalen Olympischen Comité (IOC).
Nationen und Verbände haben und werden darauf auf unterschiedliche Weise reagieren. Im schlimmsten Fall droht der globalen Sport-Gemeinschaft eine Spaltung (hier finden Sie einen aktuellen Kommentar). Aber egal, wie man zu einer bevorstehenden Rückkehr Russlands auf die großen Bühnen steht, ganz weg war die große und mächtige Sportnation ohnehin nie. Wie steht es um russische Sportler, Funktionäre und den Einfluss auf den Weltsport? Ein Überblick.
Die Sportler: Sperren bröckeln
Im Teamsport dürfen russische Eishockey-Profis sogar in der nordamerikanischen NHL spielen – aktuell sind 59 Russen in der weltbesten Liga. Alexander Owetschkin von den Washington Capitals knackt mit seinen 37 Jahren aktuell Rekord um Rekord. Russland versucht seit Kriegsbeginn Wechsel zu verhindern, zog Teamtormann Iwan Fedotow zur Armee ein und schickte ihn zur Nordmeerflotte ins ewige Eis.
Fußball-Legionäre hat Russland traditionell wenige, weil in der heimischen Liga viel bezahlt wird. Einer der wenigen ist Denis Tscheryschew. Der 32-Jährige ist in Spanien aufgewachsen, hat im Sommer erstmals Spanien verlassen und ist von Valencia zum italienischen Zweitligisten Venedig gewechselt. Alexei Mirantschuk spielt seit 2020 in der Serie A, derzeit beim FC Turin. Ein dritter Teamspieler, Alexander Golowin, kickt in Monaco.
Als Einzelsportler durften Russinnen und Russen (Ausnahme: in Großbritannien) ungehindert Tennis spielen – allerdings unter neutraler Flagge. Nun hob sogar Wimbledon den Bann auf. Und schon vor der Entscheidung des IOC bröckelten im Weltsport die Boykotte und Sperren.
Fechter aus Russland und Belarus dürfen wieder an Wettkämpfen und an der Olympia-Qualifikation teilnehmen. Die Fecht-Weltmeisterschaften in Mailand finden im Juli statt. 300 aktive und ehemalige Fechter protestierten gegen die Zulassung. Die Verbände aus Dänemark und Frankreich verzichten auf die Ausrichtung internationaler Wettkämpfe.
Russland und Belarus durften im März bei der Amateurbox-WM der Frauen in Neu-Delhi teilnehmen – unter russischer Flagge und mit russischer Hymne bei den Siegerehrungen. Etliche Länder wie USA, Deutschland oder Großbritannien boykottierten die Titelkämpfe in Indien.
Die Funktionäre: Enormer Einfluss
Als Luciano Rossi im November zum Präsidenten des Weltverbandes gewählt wurde, atmeten im Schießsport nicht wenige ordentlich durch. Der Italiener setzte sich in Ägypten in einer Kampfabstimmung mit 136 zu 127 Stimmen gegen Amtsinhaber Wladimir Lisin durch. Es war nicht nur die betriebene Sportpolitik, die den Vorgänger problematisch gemacht hatte, es war auch seine russische Herkunft.
In mehr als dreißig der vierzig Weltverbände mit olympischen Disziplinen hatten bei Kriegsbeginn Funktionäre aus Russland noch etwas zu sagen. In vielen hat sich kaum etwas geändert. Auch beim Internationalen Olympischen Comité gibt es weiter zwei russische Mitglieder, Schamil Tarpischtschew und Jelena Issinbajewa – zudem noch zwei Ehrenmitglieder. Insbesondere der einstige Stabhochsprung-Star Issinbajewa ist begeisterte Anhängerin der Staatsdoktrin Russlands und dessen Militarismus. Seit 2019 ist sie Major der Armee.
Der ehemalige Säbelfechter Alischer Usmanow ist seit 2008 Präsident des internationalen Fechtverbandes. Bald dürfen Russen und Weißrussen wieder bei internationalen Wettkämpfen wieder antreten. Usmanow lässt über seine Pressestelle ausrichten, dass es falsch sei, zu behaupten, dass er die Russen wieder zugelassen habe. Er habe keinerlei Kontakt zum Verband, seit er im März 2022 freiwillig seinen Funktion zurück gelegt habe.
Der russische Boss des Amateurbox-Verbandes, Umar Kremlew, nannte die Nationen, die die Frauen-WM boykottierten, „Hyänen und Schakale“, die die Integrität des Sports beschädigten. Den ukrainischen Verband hat man im Herbst suspendiert – auch das hat weltweit für Empörung gesorgt. Man kann Kremlew zumindest nicht vorwerfen, dass er nicht klar Position bezieht.
Der Judo-Weltverband hat Wladimir Putin die Ehrenpräsidentschaft aberkannt. Auch Putins Vertrauter Arkadi Rotenberg sitzt nicht mehr im Vorstand. Dabei gilt Weltverbandschef Marius Vizer, österreichischer Staatsbürger mit rumänischen Wurzeln, als Putin-Freund.
Das Geld: Sponsoren sicherten den Einfluss
Wladimir Putin und seine Getreuen haben sich jahrelang Macht und Einfluss in der Sportwelt gesichert. Mit dem Ukraine-Krieg ist Russland aber zur Belastung geworden. Der Kreml sah den Sport als Teil seiner Außenpolitik, schaffte Abhängigkeiten durch hoch dotierte Sponsorenverträge und holte Top-Wettbewerbe ins Land.
Gazprom spielte für Russland eine zentrale Rolle im sportlichen Machtpoker. Mindestens 40 Millionen Euro soll der staatliche Energieriese Schätzungen zufolge jährlich an die Europäische Fußball-Union UEFA überwiesen haben, Vorstandschef Alexander Djukow sitzt im Exekutivkomitee der UEFA, das nächste Woche neu gewählt wird.
Als Türöffner für Moskaus Interessen haben die strategisch platzierten Funktionäre und Sponsoren wie Gazprom, Aeroflot (Manchester United) und Uralkali (einst beim Formel-1-Team Haas) über Jahre hinweg ihre Dienste geleistet. 2020 stieg Gazprom als Hauptsponsor des Welt-Amateurboxverbandes ein. Der Konzern hat die Altschulden getilgt und trug mit dazu bei, dass auch bei der WM üppige Preisgelder an die Teilnehmerinnen aus den verbliebenen 65 Nationen ausgeschüttet wurden.
Auf den jüngsten Sanktionslisten tauchen auch die Namen einiger Funktionäre auf, die Russland zuletzt Macht und Einfluss im Weltsport sichern sollten. Die EU fror das Vermögen des Oligarchen Alischer Usmanow ein, der als Reaktion auf die - aus seiner Sicht ungerechten - Sanktionen sein Amt als Präsidente des internationalen Fechtsverbandes zurück legte. Usmanow hatte auch Anteile am englischen Fußballklub Arsenal. Er bestreitet aber, dass er jemals Anteile bei Everton besessen hat und keinerlei Einfluss auf den englischen Klub nehme. Er bestreitet aber nicht, dass er über seine Holdingfirma USM die Namensrechte für das Trainingsgelände gekauft hat. Mittlerweile hat Everton alle Sponsorenverträge mit USM sowie anderen Usmanow-Unternehmen auf Eis gelegt.
Roman Abramowitsch bestritt immer wieder, dass er zum engeren Zirkel rund um den russischen Präsidenten gehöre. Letztes Jahr aber trennte er sich nach 19 Jahren doch vom FC Chelsea. Auch Maxim Demin verkaufte erst im Dezember Bournemouth. Dessen Frau Irena war schon mal während der Halbzeitpause in der Kabine der Mannschaft aufgetaucht, um eine Ansprache zu halten. Valery Oyf verkaufte den niederländischen Erstligisten Vitesse Arnheim.
Monaco-Bestizer Dmitri Rybolowlew wird nicht zum engsten Kreml-Kreis gezählt und spendete für die Bevölkerung in der Ukraine. Der griechische-russische Oligarch Iwan Sawwidis, Besitzer von PAOK Saloniki, gilt zwar als Putin-Vertrauter, stellte aber Unterkünfte für ukrainische Flüchtlinge zur Verfügung.
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