Wechselbäder in der Wüste: Als Katar noch belächelt wurde

Wechselbäder in der Wüste: Als Katar noch belächelt wurde
Es ist noch nicht so lange her, da diente der Wüstenboden lediglich für politisch heikle Spiele. Mittlerweile blickt die ganze Sportwelt an den Persischen Golf.

Katar, Katar, Katar, Katar: Handball-WM, Leichtathletik-WM, am Sonntag Formel-1-WM und 2022 die Fußball-WM. Die Ballung an Sport-Großereignissen animiert zu einem Blick zurück, als das kleine gasreiche Land nur als neutraler Boden für politisch heikle Spiele diente, die sonst niemand wollte.

So am 1. 4. 2004: In protzig-breiten Lederfauteuils ließen sich im Al-Wakra-Stadion von Doha Scheichs formatfüllend nieder. Obwohl sich außer ihnen nur Journalisten auf die Tribüne verirrten, kam dem Spiel sportpolitische Bedeutung zu. Ein Österreicher geriet in den Schwenkbereich der TV-Kameras. Zumal Alfred Riedl Palästinas Nationalelf in ihrem allersten WM-Quali-Match coachte, ohne davor (und danach) je in Palästina gewesen zu sein.

Gegner Palästinas waren die hochfavorisierten Ballathleten des Irak. Deren Kapitän verriet nach dem Abschlusstraining, wie über sie ein Sohn Saddam Husseins als Fußball-Präsident nach einer Niederlage zwei Tage Dunkelhaft verhängt hatte. So eine Strafe hätte auch gedroht, wäre Diktator Saddam nicht 2003 von den Amerikanern gestürzt worden. Palästina rang den Irakern ein für Letztere peinliches 1:1 ab.

Sechseinhalb Jahre später durfte ich mir – diesmal gemeinsam mit sechs Kollegen aus vier Kontinenten von der internationalen Sportjournalisten-Vereinigung zum Lokalaugenschein nach Katar delegiert – in Doha erneut vermeintliche Märchen aus 1.000 und einer Nacht anhören.

Die Temperaturanzeiger zwischen den Leuchtreklamen an den Wolkenkratzern signalisierten bei Einbruch der Dunkelheit 46 Grad. Dennoch riet der österreichische Rezeptionist im Fünfsternehotel vor dem Besuch des Doha-Derbys Al-Sadd – Rayyan: „Nehmen S’ a Jacke mit.“

Tatsächlich hockten die Austauschspieler in langen Hosen auf der Ersatzbank. Von den Tribünendächern wurde kalte Luft in die Open-Air-Arena herabgelassen. Ein System, das umgekehrt in winterlichen europäischen Stadien so nicht funktioniert, weil warme Luft aufsteigt. Die Katarer senkten die Stadion- gegenüber der Außentemperatur um 28 Grad. Wollten sie doch der FIFA-Kommission imponieren, die davor zwecks WM-Tauglichkeitstests chancenreicherer WM-Bewerber um die Welt gedüst war.

Anderntags ließen die Scheichs eine Kopftuchträgerin vom Rednerpult in Oxford-Englisch runter versprechen ... dass Frauen in Katar als Zuschauerinnen willkommen seien; dass Zinédine Zidane ab sofort Katars WM-Botschafter sei; dass zwölf Stadien nach der WM verkleinert und Tribünenmodule an arme Länder verschenkt werden würden.

Trotzdem dominierte Skepsis. Worauf englische (mit einem Sieg der US-Kandidatur rechnende) Nachrichtenagenturen das lakonische Resümee des chilenischen FIFA-Kommissionsprüfers Harold Mayne-Nicholls in Doha („Eine Bewerbung wie jede andere“) als deutliche Absage an Katar interpretierten und mich die Heim-Redaktion wissen ließ: „Brauchst keine Zeile über Katar schreiben. Die kriegen die WM ohnehin nicht.“ Irrtum.

Die Wüsten-WM wird zwar nicht wie ursprünglich geplant im Hochsommer, sondern am Sonntag in einem Jahr angepfiffen werden. Dann, wenn Corona als Unwort des Jahres hoffentlich von Katar abgelöst sein wird.

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