Warum auch mit dem Videobeweis Streitereien garantiert sind
Jetzt ist schon wieder was passiert. Am Samstag lief der Austrianer Benedikt Pichler zu Beginn der zweiten Hälfte aus Abseitsposition Richtung Tor, Dominik Fitz erzielte gegen Altach den Ausgleich. Am Ende siegte die Austria mit 5:1. Am Sonntag traf Taxi Fountas zur vermeintlichen Führung für Rapid, ehe das Schiedsrichter-Team auf Abseits entschied. Am Ende gewann Salzburg mit 4:2.
Quer über die Fan-Gruppierungen hinweg war nach der 18. Runde eine Frage besonders oft zu hören: „Warum haben wir in Österreich noch keinen Video-Schiedsrichter?“ Seltene Einigkeit gibt es auch bei der Ankündigung „Mit dem VAR hätte es das nicht gegeben!“
Christian Ebenbauer spielt als Bundesliga-Vorstand im KURIER-Gespräch den Spaßverderber: „Der VAR wird kein Allheilmittel.“ Nur auf „klare Fehlentscheidungen“ folgt ein Einsatz des Video Assistant Referee (VAR). Auch da ist der Handlungsspielraum auf vier Bereiche eingeschränkt (siehe unten).
Ursprünglich sollte es nach Abschluss des Grunddurchgangs losgehen. Corona sorgte für eine Verzögerung. Immerhin: Der Beginn mit dem Saisonstart ist fixiert. Für die technische Umsetzung wurde Branchenführer Hawk-Eye ausgewählt.
Die Kosten sind hoch. Der Start kostet rund eine Million Euro, bezahlt vom ÖFB. Den laufenden Betrieb muss die Bundesliga stemmen. Mindestens 1,5 Millionen pro Saison sind einzurechnen.
Kamera-Frage
Je mehr Kameras in einem Stadion auf das Spielfeld gerichtet sind, umso besser können strittige Szenen aufgelöst werden. In der Deutschen Bundesliga werden die Bilder von 18 bis 20 Kameramännern (es ist tatsächlich ein männlich dominierter Beruf) in den „VAR-Keller“ geliefert.
Und in Österreich? Liefern mindestens sechs Kameras Bildmaterial. Bei Spitzenspielen wie bei Salzburg – Rapid wird erhöht – auf maximal zwölf Kameras, die immer aufs Feld gerichtet sind.
Bei der von TV-Partner Sky gezogenen Linie befand sich die Fußspitze von Fountas im Abseits. Österreichs VAR-Instruktor Andreas Fellinger sagt zum KURIER: „Das war eine 2-D- und keine 3-D-Linie, also keine kalibrierte Linie. Wie Sky-Experte Tatar bemerkt hat, hätte vom Oberkörper des Salzburgers Ramalho eine vertikale Linie nach unten gezogen werden müssen.“
Es zählt jener Körperteil, mit dem ein Tor erzielt werden darf, der sich am nächsten zum Tor befindet. Fellinger vermutet, dass bei Ramalho die Schulter ausschlaggebend war. Aber: Die ominöse Linie ist trotz der rasanten technischen Entwicklung nur eine Annäherung an die Realität. Eine Kamera liefert rund 50 Bilder pro Sekunde. Zwischen den einzelnen Frames liegen also 0,02 Sekunden, in denen sich die Spieler bewegen. „Außerdem ist unklar, ob der exakte Moment der Ballabgabe eingefangen werden konnte“, ergänzt Fellinger.
Keine Sicherheit
Ebenbauer betont: „Wir wissen bereits: Bei unserem Kamera-Standard bekommen wir keine 100-prozentige Sicherheit. Und jede Extra-Kamera ist ein Kostenpunkt. Deswegen setzt die Schweiz die ursprünglich eingeplante kalibrierte Linie nicht ein.“
Kurzum: Mit dem aktuellen technischen Aufwand wäre das 1:1 der Austria annulliert worden. Doch es lässt sich nicht endgültig klären, ob das Fountas-Tor korrekt war oder nicht.
Kommt die Linie?
„Deswegen ist noch keine Entscheidung gefallen, ob wir die kalibrierte Linie einsetzen. Mit dem ÖFB werden alle Argumente diskutiert“, verrät Ebenbauer. Seine Einschätzung: „Die Liga steht positiv zu jeder Verbesserung. Wir wollen aber niemanden in Sicherheit wiegen, die es nicht gibt.“
Fellinger spricht sich für eine Einführung aus: „Nicht alle umstrittenen Abseitsentscheidungen sind auflösbar, aber aus Sicht des Schiedsrichters und des Fußballs ist es auf alle Fälle eine Verbesserung, wenn zum Beispiel zwei Drittel der falschen Entscheidungen durch die kalibrierte Linie ausgebessert werden können. Das wäre gar keiner Verbesserung vorzuziehen.“
Einigkeit herrscht bei allen Beteiligten in einem Punkt: Es wird auch mit dem VAR eifrig über Österreichs Schiedsrichter diskutiert werden. Und die Linie ist kein Schluss-Strich.
Vorreiter
Weltpremiere feierte der VAR im September 2016 in den Niederlanden, als bei einem Cupspiel eine Gelbe in eine Rote Karte umgewandelt wurde.
Ligen mit VAR in Europa
Seit 2017: Deutschland, Italien, Portugal, Niederlande.
Seit 2018: Spanien, Frankreich, Belgien, Türkei, Polen, Tschechien, Israel.
Seit 2019: Deutschland (2. Liga), England, Griechenland, Schweiz, Russland.
Seit 2020: Kroatien, Dänemark, Ukraine.
Wann der VAR eingreift
Nur bei klaren Fehlentscheidungen und nur in vier Fällen:
Bei einer Torerzielung, sofern Foul, Hands, Abseits oder eine andere Regelwidrigkeit vorliegt.
Bei Elfmetern, die nicht oder zu Unrecht gepfiffen werden.
Bei roten Karten, die nicht oder zu Unrecht verteilt werden. Kein Eingriff bei Gelb-Rot.
Bei der Verwechslung eines Spielers bei Rot, Gelb-Rot oder auch Gelber Karte.
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