Von Kühn bis Jelavic: Medizincheck als letzte Hürde vor dem Transfer
Nicolas Kühn absolviert den Medizincheck in Glasgow, sein Nachfolger in Wien. Rapid-Arzt Thomas Balzer erklärt, was da passiert und wundert sich noch über das Knie von Nikica Jelavic.
Nur noch der Medizincheck kann den Transfer von Nicolas Kühn zu Celtic um etwas mehr als 3,5 Millionen Euro Ablöse (plus mögliche Boni) verhindern. Der Rapid-Flügel ist auf dem Weg nach Glasgow, sein von Sportdirektor Markus Katzer bereits gefundener Nachfolger befindet sich im Anflug auf Wien.
Es wird ein Legionär sein, der sofort helfen können soll und etwas jünger ist als der 24-jährige Kühn – sofern auch der Medizincheck passt.
Was passiert eigentlich bei diesen sportmedizinischen Tests? Und warum sind sie so wichtig geworden im Big Business Fußball?
Thomas Balzer weiß es.
"Ein Prozent fällt durch"
Der Wiener bekam bereits in den 90er-Jahren mit, wie die ersten Medizinchecks abgelaufen sind und ist bei Rapid Vereinsarzt im Team, das mittlerweile Lukas Brandner anführt.
„Rund ein Prozent der Spieler scheitert am Medizincheck“, erzählt Balzer im KURIER-Gespräch. „Aber dann kann immer noch der Sportdirektor auf den Transfer bestehen.“
Beides hat der Routinier erlebt – es sollte sich teils auszahlen, teils wurde es zum ärztlich vorhergesehenen Fiasko.
Ein Check, zwei Teile
„Grundsätzlich besteht der Check aus zwei Teilen: der Leistungsdiagnostik und der Untersuchung der medizinischen Gesundheit.“ Als die Transfererlöse stiegen, begannen die Vereine damit, genauer hinzuschauen.
Millionen Ablöse für einen Sportinvaliden? Kann passieren.
„Die früheren Ärzte haben das bei Rapid so gehandhabt: EKG, Blutdruck, Herz wie Lunge abhören und die Gelenke testen.“ Wenn der Verein wusste, dass der Spieler Vorschäden hat, gab es in seltenen Fällen bereits ein MR oder Röntgen. „Das war ein Check von einem erfahrenen Arzt mit wenig Hilfsmitteln.“
Mindestens fünf MR
Ganz anders sieht das 2024 aus: Drei bis vier Ärzte werden in ihren Spezialbereichen tätig. Alleine fünf MR – für beide Knie sowie Sprunggelenke, dazu für die Lendenwirbelsäule – sollen ein klares Bild ergeben. Bei Torhütern werden zusätzlich Schulter-MR angefertigt.
Der zweite Part – für die „internistische Freigabe“ – findet bei Rapid auf der Schmelz mit einem Belastungs-EKG, aufgezeichnet beim Laufen am Band, statt. Dazu kommt ein Herz-Ultraschall sowie Blutanalyse. Am Ende fügt der Vereinsarzt alle Werte zusammen, erteilt die Freigabe.
Oder auch nicht: „Chronische Verletzungen sind im Verlauf besonders schwierig zu prognostizieren.“
So war das etwa 2008 bei Nikica Jelavic.
„Von 100 Ärzten hätten 99 abgeraten, ihn Fußball spielen zu lassen“, erinnert sich Balzer. Der kroatische Stürmer hatte nach einem Riss in Jugendjahren ein instabiles Kreuzband, dazu einen Knorpelschaden im Knie. Trainer Pacult und Sportdirektor Hörtnagl riskierten – es sollte sich auszahlen.
Mitspieler berichten von einem dick angeschwollenen Knie beim Kämpfer nach vielen Partien. Trotzdem pausierte Jelavic maximal zu Beginn der Trainingswoche.
„Wunder“ Jelavic
2009 explodierte der Billigeinkauf. Knapp vor Ende der Transferzeit 2010 boten die Rangers fünf Millionen Ablöse. „Wir haben eigentlich damit gerechnet, dass Nikica in Glasgow durch den Medizincheck fällt“, verrät Balzer.
Doch die „fliegende Festung“ bekam grünes Licht, traf weiter und wurde um zig Millionen noch zu Everton, Hull und West Ham weiterverkauft. „Ein Rätsel“, schmunzelt Balzer, der von Jelavic weiter überrascht wird: „Im TV seh’ ich ihn zu Weihnachten plötzlich beim Hallenturnier der Rapid-Legenden mitkicken. Mit diesem Knie – unglaublich!“
Flop "Wenigtor"
Rapid holte im Transferstress statt Jelavic wieder einen, von dem die Ärzte abrieten: Jan Vennegoor of Hesselink. Diesmal hatten die Experten recht, der Niederländer war ein Schatten seiner selbst. „So fit, wie wenn sie mich verpflichtet hätten.“
Die Fitness ist – im Unterschied zu den Bändern und Gelenken – der untergeordnete Bereich: „Meistens heißt es: In sechs Wochen kriegen wir den Spieler wieder hin.“
Lediglich der Kauf des Stürmers Maurides scheiterte 2019 an der Fitness – Trainer Kühbauer war vom „Wamperl“ des Brasilianers empört, der Deal wurde abgesagt.
Es gibt aber auch falsche Prognosen: Dejan Ljubicic wäre im Februar 2020 um 3,5 Millionen zu Chicago gewechselt. Der US-Arzt diagnostizierte eine Kreuzbandverletzung, die es nicht gab – der Kauf wurde abgesagt, Ljubicic wechselte im Sommer 2021 ablösefrei zu Köln.
Fehldiagnose bei Ljubicic
„Entweder sie wollten Dejan doch nicht und haben die Verletzung erfunden, oder der Arzt war schlecht. Ljubicic war fit, wie Tests in Österreich und auch sein Karriereverlauf bewiesen haben“, betont Balzer.
Hosiners Rettung
Im Gegensatz zum Ljubicic-Ärger wird Philipp Hosiner ewig dankbar sein für einen Medizincheck: Peter Stöger wollte seinen Ex-Stürmer Anfang 2015 von Rennes nach Köln holen. Es wurde ein großer Tumor an der Niere entdeckt. Der Transfer verschob sich, aber wahrscheinlich hat die Untersuchung Hosiner das Leben gerettet.
Heikel sind Checks knapp vor Transferschluss mit Stress im Ausland (etwa auf Trainingslager), in einem fremden Krankenhaus, oder nur durch einen Arzt. „Das ist gefährlich, weil es wie vor 20 Jahren abläuft und durchaus eine Verletzung übersehen werden kann“, erklärt Balzer.
Rapid wie Real?
Die Unterschiede sind übrigens kleiner als gerne vermutet: „Im Grund untersucht ein Verein wie Rapid genauso lang und genau wie ein Topklub wie Real.“ Aber: Großklubs besitzen die entsprechenden Geräte selbst.
Österreichische Vereine müssen über Vertrauensärzte schnell MR-Termine fixieren: „Das sind Untersuchungen, für die ‚normale‘ Patienten schon wochenlang warten müssen.“
Balzer selbst hatte vor einem Monat eine Hüft-OP. Der Routinier geht in sein 19. sowie wohl letztes Dienstjahr bei Rapid, im Sommer winkt die Pension.
Er verabschiedet sich mit Lob für die Kicker: „Ihr Zugang zum Beruf hat sich total gewandelt. In der Regel sind sie topfit.“
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