Schiri-Boss Kassai: "Alle sind Profis, nur der Schiedsrichter nicht"
Der Chef der Schiris über Fehlpfiffe und Ziele: Warum Kassai Verbesserungen erwartet, Ciochirca ein Hoffnungsträger ist und es bis 2030 einen ÖFB-Top-Referee gibt.
Viktor Kassai, 48, hat als Schiedsrichter-Boss im Sommer eine schwierige Aufgabe übernommen: Während sich die Bundesliga stark weiterentwickelt hat, sind die Referees seit der EM 2008 international nur Zuschauer.
Im ersten ausführlichen Interview erklärt der Ungar, warum er „wirklich gute Leute“ betreut und es noch besser wird.
KURIER: Wie beurteilen Sie Ihr erstes Halbjahr im Amt?
Viktor Kassai: Wir haben mit vielen Aufgaben gestartet: Bessere Vorbereitung unter der Woche, mehr Fitness, bessere Schulung des Regelwerks – dann werden auch die Leistungen besser. Ein großes Ziel ist die Einheitlichkeit: Alle müssen gleiche Instruktionen bekommen und dann auf dem Feld einheitlich entscheiden. Aber: Unser Weg wird nie zu Ende sein.
Warum sind Sie bei so vielen Spielen live im Stadion dabei und nicht „nur“ via TV?
Ich bekomme andere Eindrücke, wie etwa die Atmosphäre. Wenn ich etwa eine Zeit lang nur den Assistenten beobachten will, kann ich das im Stadion tun. Wichtig ist, dass ich danach mit den Schiedsrichtern spreche – das ist etwas anderes als ein Telefonat.
Warum gibt es bei Handspielen und ihrer Strafbarkeit die größten Diskussionen?
Das war, ist und bleibt ein schwieriges Thema. Wir diskutieren intern oft, weil es hier Graubereiche gibt. Wir üben viel mit Videoclips, um „strafbar“ möglichst genau zu definieren. Es wird aber eines nicht passieren.
Und zwar?
Dass die Regelhüter eine Radikalreform machen, etwa „Jedes Handspiel im Strafraum ist ein Elfmeter“. Da würde absichtlich auf die Hand gezielt werden.
Sie wollten schnellere Videoschiedsrichter. Zufrieden?
Richtigkeit geht vor Schnelligkeit. Aber ja, es wird besser. Das Wichtigste ist, dass die VARs keine überflüssigen Details checken, sondern entscheidende – dann werden wir noch schneller.
Es wirkt so, als hätten die VARs noch keine einheitliche Linie, wann sie eingreifen.
Wir alle wissen, wer der Schnellste über 100 m ist. Wenn es um den besten Fußballer geht, wird es hingegen unterschiedliche Meinungen geben. So ist es auch beim VAR: Es kann keine exakte Grenze geben, wann und wie oft er sich meldet. Wichtig ist, dass wir in unseren Entscheidungen erwartbarer werden.
Welche Fehler ärgern Sie besonders?
Mir fehlt das Verständnis, wenn erfahrene Schiedsrichter an sich klare Situationen falsch beurteilen. Ich habe aber auch Mitleid, weil ich das Gefühl nach einem Spiel mit schweren Fehlern kenne.
Und wenn der VAR daneben greift ...
... ist die Toleranzgrenze noch niedriger, weil er ja alles nachschauen kann. Aber es gibt auch hier – ganz selten – Fehler, die zu entschuldigen sind, da sie in Grenzbereiche fallen und via TV-Bild nicht klar zu beurteilen waren.
Früher hatten alle ähnlich viele Einsätze. Setzen Sie in der Meistergruppe stärker auf die Top-Schiedsrichter?
Ich habe bereits im Herbst nach Leistungen nominiert. Nach schweren Fehlern, oder wenn ich nicht zufrieden bin – etwa mit der Einstellung oder der Fitness – gibt es eine Pause oder einen Einsatz in der 2. Liga. Wer am Ende der Saison auf die Einsatzstatistik schaut, wird erkennen, wie ich beurteilt habe: Leistung muss honoriert werden.
Viktor Kassai wurde 1975 in Tatabanya als Schiedsrichter-Sohn geboren, pfiff 2011 das Finale der Champions League und wurde zum Besten der Welt gekürt. Zu Saisonbeginn wurde er vom ÖFB als Technischer Direktor für die Elitereferees verpflichtet
Viele wichtige Spiele wurden mit Christian-Petru Ciochirca besetzt. Sehen Sie in ihm einen künftigen Referee für eine Endrunde?
Neben Ciochirca gibt es auch Gishamer, Weinberger und Ebner als aufstrebende Schiedsrichter. Dazu gibt es mit Lechner, Harkam und Hameter gute Routiniers. Wir haben wirklich gute Leute. Bei Ciochirca kommt noch etwas dazu.
Und zwar?
Er wurde von der UEFA – so wie vor einem Jahr Gishamer – in den Talentekader berufen, die von einem Mentor betreut werden. Das ist bei ihm der türkische Ex-Top-Schiri Çakir. Trotzdem: Er muss Leistung bringen.
2008 bei der EM war mit Konrad Plautz letztmals ein Österreicher bei einer Endrunde. Wird sich das in diesem Jahrzehnt noch ändern?
Ich bin da ganz, ganz optimistisch. Der Grund: Wenn du gut arbeitest, erreichst du in vier, fünf Jahren ein gutes, internationales Niveau. Deswegen ist dieses Ziel bis 2030 für mich sehr realistisch.
Der ÖFB hat um Talente geworben und konnte die Zahl der angemeldeten Referees von 2.100 auf 2.500 erhöhen. Was bedeutet das für Sie?
Wenn mehr Junge da sind, ist es wahrscheinlicher, dass daraus Top-Referees werden. Und wenn Österreicher international erfolgreich sind, könnten mehr durchschnittliche Kicker motiviert werden, als Schiedsrichter zu starten, um hier Karriere zu machen.
Hoffen Sie weiterhin, dass in Österreich eines Tages Profischiedsrichter pfeifen?
Es ist nicht normal, dass alle Profis sind, nur der Schiedsrichter nicht. Es geht um Millionen, aber er hat wegen seines Berufs keine Zeit für Training oder kommt müde zu einem Spiel? Das muss sich ändern. Wir müssen schrittweise die Rahmenbedingungen verbessern. Ich will nicht mehr Gehalt für die Schiedsrichter, sondern bessere Leistungen.
Und wie geht das?
Es würde schon sehr helfen, wenn sie Teilzeit arbeiten und mehr Stunden für das Schiedsrichtern übrig hätten. Für Training, Physiotherapie oder Spielvorbereitung.
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