"Hallo, Rubin Okotie spricht. Bitte ins Cafe PLAIN kommen, habe einen Termin dort." Wenige Minuten vor dem vereinbarten Termin im Café Bellaria bestellt er den KURIER in sein anderes Lokal - und gewährt uns einen Einblick in sein neues Leben. Aus dem Profifußballer wurde ein Unternehmer mit mehreren Gastrolokalen und einem Kunstraum.
Im Interview lässt der ehemalige ÖFB-Teamspieler seine Karriere Revue passieren, spricht über die unterdrückten Schmerzen, den Rassismus und den Einstieg ins Unternehmertum.
KURIER:Wie ist das Leben eines Unternehmers im Vergleich zu dem eines Profi-Fußballers?
Rubin Okotie: Der Unterschied ist natürlich groß. Als Fußballprofi hast du wirklich ein schönes Leben mit einem geregelten Ablauf. Es wird einem sehr viel abgenommen. Als Unternehmer bzw. Gastronom ist es natürlich ganz anders. Es ist ein sehr unbeständiges Geschäft, dementsprechend ist es schwieriger.
Viele Sportler scheitern am Sprung vom Profisport in den Ruhestand. Wie erging es Ihnen dabei?
Als Fußballprofi musst du dich fast um gar nichts kümmern. Viele sind den Ruhm und das gute Geld gewohnt. Wenn das dann wegfällt, fallen viele Sportler in ein Loch. Bei mir war das nicht so, weil ich, während ich noch Fußball gespielt habe, das PLAIN eröffnet habe und mich darum kümmern musste. Ich hatte also direkt eine Aufgabe und gar keine Zeit, um in ein Loch zu fallen.
Kann man Fußballprofis vorwerfen, dass sie grundsätzlich zu wenig an die Zukunft nach der Karriere denken?
Einige denken schon an die Zukunft, einige allerdings nur an heute, haben kein Plan, wie sie ihr Leben danach gestalten möchten. Die einen haben das Glück, gute Berater zu erwischen, die anderen nicht. Aber grundsätzlich ist jeder für sich selber verantwortlich.
Sind Ihnen Fälle von Ex-Kollegen bekannt, die nach der Karriere tief gefallen sind?
Man muss da grundsätzlich differenzieren: In Österreich ist es schwer, mit dem Fußball so auszusorgen, dass du nach der Karriere nicht mehr arbeiten musst - es sei denn, du hast bei Salzburg und vielleicht zwei anderen Vereinen gespielt. In der Regel geht es nur, wenn du im Ausland gespielt hast und das über einen längeren Zeitraum. Es gibt aber schon einige Kollegen, die das Geld falsch investiert oder falschen Leute vertraut haben.
Sie haben in einem Interview erzählt, dass Sie die Schule abgebrochen und alle Karten auf den Fußball gesetzt haben. Hatten Sie einen Plan B?
Ich hatte nie einen Plan B. Ich wäre aber kurz davor gewesen, einen Plan B zu brauchen. Ich habe mit 22 einen riesengroßen Knorpelschaden gehabt. Danach fuhr ich mit meiner Mama zu einem Kniespezialisten nach Augsburg. Dieser schaute sich die MRT-Bilder an und fragte meine Mutter: "Hat Ihr Sohn noch etwas anderes gelernt?" Er glaubte nicht daran, dass ich mit so einem großen Schaden weiterhin Profifußball spielen kann. Da habe ich gesehen, wie ihr Gesicht zusammengefallen ist. Sie war es, die mir immer gesagt hat: "Rubin, du musst die Schule fertigmachen".
Was hat Sie getrieben, weiterzumachen?
Das war für mich ein Knackpunkt. Ich schwor mir zurückzukommen - koste es, was es wolle. Die Enttäuschung, die meine Mama in dem Moment erfahren hat, tat mir richtig weh - gab mir aber zusätzlichen Schub. Fußball war mein Leben.
Sie haben viel erlebt: Internationale Klubs, Sie waren Teamspieler und mit der Wiener Austria sogar in der Champions League. Gibt es etwas, dass Sie bereuen?
Ich bereue, dass ich in jungen Jahren nicht so auf meinen Körper gehört habe und dadurch auch diese schwere Verletzung erlebt habe. Es gab einen Rubin Okotie vor und nach der Verletzung. Mein Knie war danach nie wieder, wie es vorher war. Ich hatte jeden Tag Schmerzen, musste fast täglich Schmerztabletten nehmen. Auf den Platz gehen und Spaß haben wie früher ging nicht mehr. Aber das war für mich kein Problem, weil Fußball mein Leben war.
Das Karriereende dürfte für Sie auch eine Erlösung gewesen sein ...
Das kaputte Knie war schon eine enorme Belastung. Es war ein Mega-Druck, es immer im Hinterkopf zu haben, dass es bei der nächsten Verletzung wirklich vorbei sein kann. Nachdem ich diesen Druck über 13 Jahre mitgeschleppt hatte, war das Aufhören nicht so schwierig für mich. Aber das Leben als Fußballprofi war wunderschön, ich habe es genossen.
Wo wäre Rubin Okotie gelandet, wenn er zwei gesunde Knie gehabt hätte?
So etwas ist immer schwierig zu beantworten. Ich war aber damals schon eines der größten Stürmertalente in Europa. Einige große Vereine waren vor meiner Verletzung an mir interessiert. Über meinen damaligen Wert sagt auch viel die Tatsache, dass ich mit einem Knorpelschaden und einem Jahr Pause in der deutschen Bundesliga gelandet bin. Zu einer Zeit, wo dort nur wenige Österreicher spielen durften.
Das heißt, Österreich hätte womöglich einen wie Robert Lewandowski haben können ...
Wir haben mit der Austria einmal in der Europa-League-Quali gegen Lech Posen gespielt. Beim Gegner saß eben Robert Lewandowski auf der Bank, während ich auf dem Spielfeld stand. Zu dem Zeitpunkt war ich wohl ein wenig besser als er. Es wäre aber vermessen zu sagen, ich hätte mit einem gesunden Knie eine Karriere wie Lewandowski gehabt (lacht).
Ihr Nationalteamkollege Aleksandar Dragović sagte in einem KURIER-Interview, er habe sich mit seinem Namen doch mehr beweisen müssen als ein „autochthoner Österreicher“? Kommt Ihnen das bekannt vor?
Dabei ist Drago auf den ersten Blick nicht unbedingt anzusehen, dass er einen Migrationshintergrund hat ... Leider haben es Menschen, bei denen auf den ersten Blick fremde Wurzeln anzusehen sind, oft schwerer in unserer Gesellschaft. Ich habe das aufgrund meiner Hautfarbe schon erlebt - vor allem im Nachwuchsbereich. Bei manchen Klubs sind das schon sehr eingeschworene Gemeinschaften. Da steht oft nicht die Leistung im Vordergrund. Ich habe oft mehr leisten müssen und viel besser sein als andere, die nicht dunkelhäutig waren oder einen Migrationshintergrund hatten.
Ja, denn da herrscht das Leistungsprinzip. Da kann man sich nicht leisten, jemanden aufzustellen, weil sein Papa ständig beim Training oder ein „echter Österreicher“ ist. Wenn du nicht performst, tut es halt ein anderer.
Der Fall des Real-Stars Vinicius Jr. beschäftigt derzeit die gesamte Fußballwelt. Er wirft der gesamten spanischen Liga vor, rassistisch zu sein. Ist der Umgang mit dem Thema ein anderer geworden?
Das Schlimme ist, dass es sich eigentlich nicht verbessert hat bzw. sich nicht ändert. Ich habe sogar das Gefühl, dass es schlimmer wird. Dass wir im Jahr 2023 noch immer über Rassismus reden müssen, ist extrem traurig.
Worüber Sie lieber reden, ist Kunst. Das ist doch eine elitäre Szene, in der Fußballer unbedingt zu Hause sind ...
Meine Mutter ist Künstlerin und hat immer versucht, mich kunstaffin zu erziehen. Das gelang ihr nicht, denn ich hatte nur Fußball im Kopf. Erst in China, meiner vorletzten Karrierestation, habe ich angefangen, mich aktiv für Kunst zu interessieren.
Fußballern wird ja oft Oberflächlichkeit nachgesagt. Sind Sie wegen Ihres Einstiegs in die Kunstwelt je von Kollegen verspottet worden?
Es gab da schon Stimmen, die gesagt haben: "Was will der Fußballer in der Kunst?", "Fußballer haben doch nichts im Kopf" etc. Das sind reine Vorurteile. Was aber schon stimmt, ist, dass Fußballer mit jungen Jahren schon sehr viel Geld verdienen und damit auch ein bisschen den Bezug zur Realität verlieren.
Waren Sie jemals so weit, sich in dem ganzen Ruhm und dem Geld zu verlieren?
Mich hatte die Verletzung so richtig auf den Boden der Tatsachen gehalten. Ich hatte auch eine Phase, wo ich gedacht habe, dass ich der Beste bin. Dann ist aber die Verletzung gekommen und dann war ich wirklich ganz unten angekommen. Es waren dann aber auch diejenigen, die mich vorher bejubelt haben, diejenigen, die mich plötzlich ausgelacht haben. Das war eine sehr harte Schule.
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