Dauerläufer
Was die wenigsten Fans wissen: Schiedsrichter laufen mehr als Spieler, rund 12 bis 14 Kilometer pro Partie.
Und trotzdem kommt es aufgrund des massiv gestiegenen Spieltempos immer öfter zu Szenen, die der Spielleiter nicht genau sieht. „Nur Hinschauen reicht nicht, die Intuition ist auch wichtig.“ Und die Assistenten, die seit der Verbindung durch Headsets mehr helfen können und sollen.
Der hauptberufliche ÖBB-Manager (im strategischen Konzerneinkauf) rechnet nüchtern: „Ich habe immer eine 50:50-Chance, meine Entscheidung kann aber auch zu 100 Prozent falsch sein.“
"Im rechtsfreien Raum"
So wie es „keinen jemals fertigen Schiedsrichter gibt“, gibt es auch keine perfekten Spielleitungen. Und die Fans wissen es ohnehin besser: „Die Leute zahlen drei Euro Eintritt und glauben, dass sie im rechtsfreien Raum mit allen möglichen Beleidigungen sind. Nein, sind sie nicht!“
Lechner war es aber trotzdem immer wichtig, in der „dritten Halbzeit“ sichtbar zu sein: „Ich habe dadurch die Leute kennengelernt. Und sie sollen auch sehen, dass hinter dem Schiri ein Mensch steckt.“
"Eine Lebensschule"
Der Wiener mit Haus am Stadtrand würde am liebsten unauffällig bleiben: „Meine wichtigste Aufgabe ist Berechenbarkeit, mit all meinen Fehlern. Ich sehe mich als Dienstleister für die 22 Spieler, rücke aber oft ungewollt in den Vordergrund. Und das ist dann eine Lebensschule.“
Schwere Fehler, wie der komplett falsche LASK-Elfmeter in letzter Sekunde bei der Stadioneröffnung „rattern ohne Unterbrechung im Kopf, das kriegt auch die Familie mit und ab. Ich habe mich in der Nacht bei Lustenau-Trainer Mader entschuldigt und war trotzdem am Boden.“
Kühbauers Anruf
Und plötzlich ruft ausgerechnet Didi Kühbauer an, mit dem Lechner schon viele Sträuße ausgefochten hat: „Seine Töchter sind mit ihm im Auto gesessen und haben ihm die Reaktionen auf meinen Fehler vorgelesen. Da wollte er mich wieder aufbauen. Das hab’ ich nicht von ihm erwartet.“
Nach einem anderen schweren Fehler kamen die tröstenden Worte sogar vom direkt Betroffenen: „Lukas Kragl vom LASK hat 2010 Salzburg-Goalie Eddie Gustafsson das Bein gebrochen. Ich hab’ nur Gelb gezeigt und mir viele Vorwürfe gemacht.“ Ausgerechnet für das Comebackspiel von Gustafsson war erneut Lechner eingeteilt: „Er ist beim Aufwärmen zu mir gekommen und hat gesagt: ‚Du bist nicht schuld an meiner langen Pause.‘“
"Wie ein Kratzer im Auto"
Wenn Österreichs Rekordmann, der bis 2022 neun Mal in Folge zum besten seiner Zunft gewählt wurde, von der Karriere erzählt, entsteht der Eindruck, dass vor allem die Fehlpfiffe einen Schiedsrichter formen. „Es gibt zwei, drei Fehler, die bleiben dir wie ein Kratzer im Auto.“
Jedenfalls gibt es im Spiel nicht viel zu gewinnen: „Das ist auch ein Grund für den Schiedsrichter-Mangel. Wir feiern keine Kabinenpartys.“
Pfiffig in 50 Ländern
Zufrieden ist Lechner trotzdem: „Ich war zwei Mal im San Siro und in über 50 Ländern im Einsatz, zum Beispiel in Santa Clara auf den Azoren. Ich habe das DFB-Team gepfiffen. Mein erstes Länderspiel war 2012 Spanien – Liechtenstein. Ich war bei der U-21-EM dabei und bin stolz, jedes Jahr in einer Europacup-Gruppenphase pfeifen zu dürfen.“
Lechner ist zu sehr Gentleman, um das fehlende große Turnier auch auf das jahrelang vergessene Lobbying seiner Vorgesetzten zu schieben. „Ich habe keinen Physiotherapeuten, keine Spielanalyse. Ich war wie ein Selbstständiger unterwegs. Wir haben jetzt mit Viktor Kassai erstmals einen Hauptberuflichen, der auch die Zeit hat, um alles knallhart zu analysieren. Für diese Rahmenbedingungen hab’ ich es verdammt weit geschafft.“
Lieber kein Profi
Viele Beobachter vermuten, dass mit dem Wechsel zum Profitum die Probleme in Österreichs Schiedsrichtwesen erledigt wären. Lechner glaubt das nicht.
„Ich bin froh, dass ich nicht abhängig bin vom Schiedsrichtern. Und mit 41 würde ich auch keinen Profivertrag mehr unterschreiben. Weil es für uns noch weniger Jobs nach der Karriere gibt als für Spieler. Schiedsrichter haben kein Nachleben.“
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