Wir wollten aufsteigen, aber immer nur bis zum nächsten Spiel denken wie in der Qualifikation. Damit sind wir gut gefahren. Einige Journalisten haben mir schon einige Spiele vor Quali-Ende gesagt, dass wir durch seien. Mit der Pressekonferenz mit dem Baguette habe ich sicher dann auch meinen Teil zur Euphorie beigetragen.
Ist man als Teamchef machtlos, wenn eine Euphorie losbricht? Wie kann man gegensteuern?
Das ist schwierig, wenn du womöglich der einzige im Land bist, der auf der Bremse steht. Das wollte ich ja auch nicht, weil bei den Leuten diese Euphorie immer und überall spürbar war. Das war ja auch schön zu sehen. Das finale Heimspiel gegen Liechtenstein wurde ja zu einem unglaublichen Fest, das ich in dieser Form noch nicht erlebt hatte. Da wurde bis zum Zeugwart jeder einzeln aufgerufen.
Neigt der Österreicher in solchen Momenten zur Übertreibung? Ist der Schweizer anders?
Ja, das würde ich schon sagen. Ich habe es aber auch genossen, es war ja schön.
In den Testspielen vor der EURO hat sich der Schlendrian eingeschlichen. Konnte man das nicht beheben?
Das wäre mit einem guten Auftakt bei der EURO gegen Ungarn möglich gewesen. Ich bleibe dabei, wenn Alaba gegen Ungarn nicht die Stange, sondern ins Tor trifft, ergibt sich eine andere Dynamik. Gegen Island rutscht Arnautovic allein vor dem leeren Tor aus, wir wären damit in Führung gegangen. Das ist zwar reine Theorie, aber das sind alles Erfahrungswerte. Die Schwierigkeit ist, dass du es auf den Punkt hinbekommst.
Hat der ÖFB damals die Vorbereitung zu sehr durchgeplant, zu wenige Freiräume gelassen?
Das ist möglich. Ich war damals auch zum ersten Mal als Trainer bei einer EM. Man versucht, alles richtig zu machen. Vielleicht würde man es jetzt nicht so strikt strukturiert planen. Aber in Frankreich hatte man auch eine eingeschränkte Situation durch die Terrorgefahr. Wir durften nicht ohne Polizeischutz aus dem Teamquartier. Jetzt ist die Situation durch Corona sehr ähnlich.
Wenn Sie zurückblicken, was bleibt von Ihrer Tätigkeit in Österreich?
Es waren fantastische sechs Jahre. Emotional hatte man die ganze Palette: voll euphorisch, aber auch zu Tode betrübt.
Wie haben Sie die Österreicher kennengelernt?
Meine Erfahrungen waren sehr positiv. Jetzt, da man wieder reisen darf, werden wir auch im August wieder nach Wien kommen, mit einer Weinreise mit Freunden in die Wachau.
Sie genießen die Schweizer Berge in Laax, davor hatten Sie bei Basel einen stressigen Job. Wie lange hält man den Trainerberuf in einer Tour durch?
Meine Erfahrung ist: wenn du drei, vier Jahre bei einem Klub bist und nicht die Möglichkeit hast, nach jedem Jahr etwas zu ändern, ist es besser du gehst. Das nützt sich sonst zu sehr ab.
Wird sich der Fußball durch Corona vor allem in finanzieller Hinsicht normalisieren?
In den Top-Ligen dürfte das nicht der Fall sein, wenn man die aktuellen Summen betrachtet. Aber in nicht so großen Ligen wie der Schweiz oder auch in Österreich wird man die Auswirkungen von Corona schon eher zu spüren bekommen.
Hat Sie der Wechsel von David Alaba zu Real Madrid überrascht?
Nein, ich war nicht überrascht. Er war ja mit Real Madrid schon in Kontakt, als ich noch ÖFB-Teamchef war. Er hat nun eine Familie, ist 29 Jahre alt, und hat die Möglichkeit noch etwas anderes zu sehen, zu erleben, auch eine neue Sprache zu lernen.
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