Im November 2002 bekam Andreas Herzog ein Teamleiberl mit der Nummer 100 darauf. 100 Länderspiele schienen eine Leistung für die Ewigkeit zu sein, es folgten noch drei weitere Spiele für den bald 53-Jährigen. Doch dann kam Nina Burger, die im Februar 2018 ihr 100. Länderspiel absolvierte. Die Stürmerin spielte am 9. April 2019 zum letzten – und 109. Mal – im Team.
Doch schon da wusste man, dass das mit Rekorden und Ewigkeit relativ ist. Am 17. September starten Österreichs Frauen in Lettland in die WM-Qualifikation, und Sarah Puntigam wird zum 110. Mal die Teamdress tragen – mit nicht einmal 29 Jahren.
Die 28-Jährige spielt in Montpellier. Zum Auftakt der französischen „Division 1 Féminine“ steuerte die Österreicherin den Siegestreffer beim 2:1 in Dijon bei. Die nächsten beiden Spiele gingen aber knapp verloren – 0:1 gegen Paris SG und am Freitag 1:2 in Giungamp.
Österreichs Frauen haben bei der EM 2017 auf dem Weg ins Semifinale begeistert, nun ist es ein Traum von ihr und ihren Kolleginnen, auch einmal bei einer WM dabei zu sein. Die Steirerin über Verletzungen, Rekorde, Profitum und Toleranz.
KURIER: Wie schafft man eine so unglaubliche Anzahl an Teamspielen?
Sarah Puntigam: In erster Linie bin ich dankbar, dass ich so viele Spiele bestreiten konnte, und die Trainer mir so oft das Vertrauen geschenkt haben. Man arbeitet tagtäglich sehr hart, und ich denke, dass auch Glück dazugehört. Glücklicherweise war ich nicht so oft verletzt.
Sie waren doch schon einmal schwer verletzt?
Sicherlich habe ich durch den Kreuzbandriss im Jahr 2011 gelernt, auf meinen Körper zu achten. Damals war es herzzerreißend, aber ich habe viel daraus gelernt.
Also ist es nicht nur Glück, wenn man nicht so oft verletzt ist?
Man muss fit sein und alles tun, um das Verletzungsrisiko zu minimieren.
Wie machen Sie das?
Viel Schlaf, gesunde Ernährung, und ich mache auch zusätzlich zum Training meine Übungen.
Wie hat sich der Frauenfußball sportwissenschaftlich entwickelt?
Die Klubs haben sich sportwissenschaftlich enorm weiterentwickelt. Man wundert sich heute oft, wie damals trainiert wurde. Die Bedingungen, unter denen Bayern München heute trainiert sind herausragend und sehr professionell. Da hat sich in den letzten Jahren extrem viel getan. Aber jede Spielerin hat es verdient, unter so professionellen Bedingungen zu arbeiten wie nur möglich.
Sie haben ja nicht immer nur Fußball betreiben können?
In meiner Zeit bei Freiburg habe ich eine kaufmännische Ausbildung gemacht zur Steuerfachangestellten. Ich bin sehr froh, dass ich das durchgezogen habe. Es war nicht einfach, weil ich manchmal 40 Stunden in der Woche im Büro arbeiten musste. Und dann gab es am Wochenende auch noch recht weite Anfahrten zu den Bundesligaspielen in Deutschland.
Jetzt können Sie sich voll und ganz auf Fußball konzentrieren?
Manchmal musste ich mich schon durchbeißen. Mich wundert, was da mein Körper geleistet hat. Denn als Profi kannst du dann wirklich Rücksicht nehmen auf so Dinge wie Schlaf, Ernährung und Training. Da habe ich mit dem Wechsel nach Montpellier einen wichtigen Schritt nach vorne gemacht.
Die Ausbildung selbst haben Sie aber wahrscheinlich nicht bereut?
Ich habe in der Zeit gemerkt, dass es gut ist, sich mit etwas anderem zu beschäftigen und nicht immer nur den Fußball im Kopf zu haben. Aber als Frau kannst du dich ohnehin nicht so auf Fußball versteifen, da braucht man ein zweites Standbein. Ich mache jetzt auch noch ein Fernstudium zum Thema Wirtschaftspsychologie.
Etliche Ihrer Kolleginnen im Nationalteam machen Ausbildungen und Fernstudien. Wird im Teamcamp hochgeistig diskutiert?
Hochgeistig muss es nicht immer hergehen. Im Team wird aber nicht immer nur über Fußball geredet, da gibt es auch andere Themen. Du weißt als Frau, dass du mittlerweile vom Fußball leben kannst, wenn du in gewissen Ligen spielst. Aber für den Rest des Lebens hast du natürlich nicht ausgesorgt.
Wie hat sich der Fußball in Frankreich und Deutschland unterschieden?
Ich war in Frankreich überrascht, wie wenig im taktischen Bereich gearbeitet wird. In Deutschland geht es viel um Mannschaftstaktisches. In Frankreich stehen die individuellen Lösungen im Mittelpunkt. Die Spielerinnen sind technisch dementsprechend gut ausgebildet.
Angefangen haben Sie als Mädchen in den Buben-Nachwuchsteams.
Ich habe mit meinem Bruder und meinen Cousins immer gekickt. Mein Onkel war Trainer der Unter-8-Mannschaft in Gnas, da hat er mich zum Training immer mitgenommen. Im ersten Jahr musste er immer den Gegner fragen, ob ich mitspielen darf, weil ich keinen Spielerpass gehabt habe.
Ist es für junge Mädchen besser, in Burschenteams zu spielen oder in reinen Mädchenteams?
Für mich persönlich war es, glaube ich, gut, und ich bin froh, dass ich mit den Burschen gespielt habe. Mir hat es etwas gebracht, dass ich mich immer gegen die Burschen durchsetzen musste. Es gab damals aber auch keine andere Alternative. Darum ist es gut, dass es mittlerweile mehr Mädchen-Nachwuchsteams gibt. Das bringt sicher mehr Mädchen zum Fußball.
Sie haben im Dezember 2019 ein Bild von sich und Ihrer Freundin gepostet, ohne weiteren Kommentar. Warum?
Ich denke nicht, dass es einen Grund gibt, es nicht zu tun, und habe nicht großartig darüber nachgedacht. Dann war ich aber überrascht, welche Wellen das geschlagen hat.
Sie haben aber nie eine Ansage gemacht, politisch oder sozial. Ist Ihnen das egal?
Ich hatte nicht das Gefühl, eine Ansage machen zu müssen. Ich versuche, es ein Stück weit zu normalisieren.
Würden Sie einem homosexuellen männlichen Fußball-Profi raten, sich zu outen?
Das muss jeder für sich selbst entscheiden. Es wäre schön, wenn ein männlicher Profi den Mut aufbringt. Ich glaube nämlich nicht, dass sich was ändern wird, wenn sich jeder versteckt.
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