Marcel Koller: Teamchef, Held und Sündenbock

Marcel Koller weiß, um was es in Irland geht.
Bald könnte sich für Österreichs Nationalteam die Richtung weisen. Für den Teamchef auch. Der Schweizer sieht es nüchtern.

Teamchef Marcel Koller kommt zum Interview. Ins Kaffeehaus. Er solle doch zwischen den Fragestellern weich und gepolstert Platz nehmen. "Die Anklagebank", sagt er, lächelt und setzt sich.

Koller hat aufgeregt in der vergangenen Woche. Bei der Kaderbekanntgabe für das WM-Qualifikationsspiel in Irland (11. Juni). Eine weitere Erklärung zur Personalie Andreas Ulmer wollte er im Interview nicht mehr gewähren, verweist auf seine bereits mit Verwunderung und Kritik quittierten Aussagen ("Auf Abruf muss man kurzfristig verfügbar sein. Da kann ich nicht in Mauritius am Pool liegen. Ich kann das leider nicht nachvollziehen"). Ulmer hat plausible Gründe (mangelnde Fitness, Heirat), der Einberufung nicht nachzukommen. Auch mit der Einstellung anderer Spieler ist Koller nicht zufrieden und er brachte dies auch zum Ausdruck.

Es knistert im Team. Offen sind einige Punkte. Sportliche, aber auch Fragen nach Kollers Zukunft und seinem momentanen Befinden:

KURIER: Herr Koller, Irland in Irland steht auf dem Spielplan der WM-Qualifikation. Es geht um Alles oder Nichts, oder?

Marcel Koller: Das haben wir uns auch überlegt. Klar, wenn wir verlieren, sind wir weg. Bei einem Unentschieden wird es schwer, aber es ist noch nicht vorbei.

Was wird ausschlaggebend sein? Wie angespannt ist das Nervenkostüm des Teamchefs?

Die Spieler wissen, worum es geht. Einige waren kurz im Urlaub. Wenn Sie zum Team stoßen, ist es wichtig zu erkennen, ob noch Ferienbetrieb drinnen ist. Du brauchst wieder drei, vier Tage, um den Rhythmus zu finden. Mein Job, und der des gesamten Betreuerteams, ist es, besonders gegen die Iren alles herauszukitzeln, Konzentration, die Geilheit am Spiel, die Bereitschaft, Zweikämpfe anzunehmen. Wenn du dort klein beigibst, wird’s nicht reichen.

Sie haben dem vorgebeugt. Warum haben Sie die Spieler öffentlich kritisiert?

In Dublin wartet ein wichtiges Spiel auf uns. Mir ging es darum, den Spielern zu vermitteln, dass sie nach ihren freien Tagen und mit Beginn der Vorbereitung auf das Qualifikationsspiel sofort mit vollem Fokus bei der Sache sein müssen.

Aber spielt in ihren Gedanken nicht auch eine Rolle, dass im Falle einer Niederlage Ihre Zukunft in Frage steht?

Ich will ja immer gewinnen, darum ist dieses Thema zwar von Wichtigkeit, aber derzeit nicht präsent. Mit meiner Erfahrung weiß ich natürlich, was kommen kann. Ich bin ja auch in der Vergangenheit schon ’geschickt’ worden als Trainer. Auf der einen Seite denkst du dir, man würde gerne hier bleiben und weitermachen, andererseits ist klar: So ist der Fußball.

Klingt eher entspannt...

Da gibt es diese Studie aus der Deutschen Bundesliga, die besagt, ein Trainer bleibt durchschnittlich 1,5 Jahre im Amt. Ich bin jetzt fast sechs Jahre hier. Darum bin ich auf das Spiel fokussiert. Und ich weiß, im Fußball geben so viele Zufälligkeiten den Ausschlag. Aber es sind sowieso andere Leute, die bestimmen, machen wir gemeinsam weiter, oder machen wir was anderes.

Ist diese Entscheidungsfindung immer gerecht?

Ihr Journalisten habt ja einen großen Einfluss auf die Leute, die nicht unbedingt die großen Fachleute sind, die aber entscheidend sind. Die allerdings nicht immer wissen können, wie der Draht des Trainers zu den Spielern ist. Können wir noch etwas bewegen? Um dies zu beurteilen, muss man nahe genug dran sein. Auf der Tribüne weiß man halt nicht, was der Trainer vermittelt hat.

Wird die Qualifikation nicht geschafft, endet Ihr Vertrag. Hätten Sie dann überhaupt noch Interesse, wegen einer Verlängerung zu verhandeln?

Das würd’ ich sicher machen. Weil Gespräche immer grundsätzlich gut sind, auch wenn es nicht um eine Fortführung gehen sollte. Der Respekt verlangt, über alles zu sprechen. Es gehören sowieso immer zwei dazu. Ich muss wissen, gefällt’s mir noch, oder sind sechs Jahre genug.

Routine hilft, wenn Sie mit öffentlicher Kritik umgehen müssen. Ärgern Sie sich noch über Analysen von Journalisten, die Ihrer Meinung nach falsch sind?

Hin und wieder. Ich lese ja nicht die Zeitungen von hinten nach vorne. Ich hab halt manchmal das Gefühl, es wird etwas behauptet, weniger aus sachlichen Gründen, sondern aus persönlichen. Vielleicht, weil einer beleidigt ist, oder weil er keinen direkten Draht zu mir findet, das spür ich immer wieder. Wir stehen in der Öffentlichkeit, werden auch runtergebuttert, umgekehrt kommt die Kritik an Journalisten oft nicht so gut an.

Sie bekommen dafür Schmerzensgeld...

Das ist so eine Sache. Wenn ich wegen einer taktischen Maßnahme kritisiert werde, ist das okay, geht es ins Persönliche, wenn einer mich umbiegen will, damit ich mit ihm spreche, sehe ich das nicht ein. Ich will nicht einfach Informationen weitergeben, damit ich es ein bisschen ruhiger habe. Und vielleicht mehr auf die Hax’n kriege, wenn ich es nicht tue. Natürlich denk ich ab und zu, es wäre leichter, aber ich mach es nicht. Ich versuche, korrekt zu bleiben. Ob bei Journalisten, oder anderen Menschen, ist egal.

Die Extreme liegen so weit auseinander. Sie waren Nationalheld, jetzt bei einigen in der Rolle des Sündenbocks. Wie gehen Sie damit um?

Wie alles so gut gelaufen ist, war mir auch nicht unbedingt wohl. Wenn du oben bist, musst du überall dabei sein, viel mehr tun. Darum habe ich auch Dinge abgesagt. Aber es kann schnell gehen – wupp!!! – dann kommt die Eisenbahn und du bist weg. Für viele ist es schwierig, das zu begreifen. Aber eines muss ich auch festhalten: Niemand hat mich bisher auf der Straße dumm angequatscht. Die Menschen haben grundsätzlich Freude mit dem Nationalteam.

Weniger Freude hatten drei Spieler. Fuchs und Özcan sind aus familiären Gründen zurückgetreten, Suttner war sauer, dass er nie berücksichtigt wurde. Verstehen Sie das?

Absolut. Wir haben das eine oder andere Gespräch geführt. Er war lange die Nummer zwei hinter Fuchs. Jetzt kann ich ihm nicht zehn Spiele geben, um zu sehen, ob er mit dem Druck umgehen kann. Da bin ich selbst möglicherweise schon früher weg. Ich muss Entscheidungen treffen, die zu akzeptieren sind. Ich akzeptiere auch Suttners Entscheidung.

Bitter ist, dass Marko Arnautovic in Irland fehlen wird. Ein Spieler, der zuletzt das Um und Auf im Team war. Sind Sie stolz, ihn so hinbekommen zu haben?

Ich freue mich einfach. Es zeigt, wie wichtig Geduld ist. Man darf auch nicht nur bestimmend sein, sondern jemandem auch den Weg zeigen. Intern bin ich damit einige Male angeeckt. Aber ich wusste, so viele Spieler mit so einer Wucht, so einer Power hat Österreich nicht.

Würde Arnautovic immer 100 Prozent ausschöpfen – wo stünde er dann?

Dann wäre er bei einem der Top-5-Vereine in England.

Bekommen Sie schon einen Hautausschlag, wenn Sie auf das Thema David Alaba angesprochen werden?

Ach was, ich freue mich immer, wenn man über ihn sprechen kann. Er hat viel erreicht, mit 25, ein Alter, in dem andere noch nicht wissen, wohin ihr Weg geht.

Viele wollen ihn im Team auf der linken Seite sehen. So wie bei den Münchner Bayern. Sie nicht. Diese Kritik prallt weiter an Ihnen ab?

Im Nationalteam muss er dort spielen, wo er der Mannschaft am meisten bringen kann. Nicht so bei den Bayern, wo er auf der linken Seite super gespielt hat, keine Frage. Aber eben unter ganz anderen Voraussetzungen.

Man lernt nie aus, heißt es. Was nehmen Sie nach fast sechs Jahren österreichischer Teamchef mit?

Sehr viel. Sie sprechen jetzt schon so, als wäre alles vorbei (lacht). Aber wir waren die Nummer zehn in der Welt und sind dann wieder zurückgefallen. Eben diese Rückschritte gehören auch dazu, um zu lernen. Ich finde jedenfalls, dass wir etwas entwickelt haben. Anfänglich waren nur 15.000 im Happel-Stadion. Es zu füllen, war unser Ziel, das haben wir hingekriegt. Ich hatte den Eindruck, die Öffentlichkeit war froh, dass einmal etwas anderes kam.

Würde Sie der Job des Klubtrainers wieder reizen?

Am Anfang als Teamchef hat mir die tägliche Trainingsarbeit gefehlt. Man gewöhnt sich dran. Ich kann jetzt aber auch nicht sagen, nur mehr Nationaltrainer zu sein. Und klar, es würd mich auch reizen, einmal wieder Klubtrainer zu sein.

Und was ist Ihnen in Österreich sonst noch aufgefallen? Das ständige Hickhack in der Politik zum Beispiel?

Ich verfolge das. In Österreich ist das irgendwie normal. Ich habe das Gefühl, viele wissen, was zu tun wäre, aber es wird nicht gemacht. Man ist sehr miteinander verbunden, doch man will einander nicht wehtun. Aber es geht um die Menschen, ums Land, nicht um den Einzelnen. Das sollte in den Vordergrund gestellt werden. Ich wundere mich, warum das oft nicht geschieht. Das ist halt typisch österreichisch, glaub ich.

Zu wie viel Prozent fährt Österreich zur WM 2018?

Warten wir einmal das nächste Spiel ab.

Typisch österreichisch...

Die Frage war aber auch nicht ganz korrekt.

Stimmt.

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