Verraten Sie es uns!
Es war das Deutschland von Helmut Kohl, der bis weit in die 1990er-Jahre türkische Arbeiter als Gäste bezeichnet hat. Das Blutsrecht bei deutschen Staatsbürgerschaften wurde erst Ende der 1990er reformiert. An Katar stellt man nun aber zum Teil völlig überzogene Anforderungen. 1990 gab es hier lediglich 200.000 Einwohner, aktuell sind es fast drei Millionen, von denen 87 Prozent keine katarischen Staatsbürger sind. Mit diesen Umständen muss ein Land erst umgehen lernen. Europa hat für diese Prozesse viele Jahrzehnte gebraucht, inklusive Weltkriege. Ich finde die zunehmende, globale Intoleranz, oft im Namen der Weltoffenheit, erschreckend.
Erkennen Sie Veränderungen in Katar?
70 Prozent unserer Studierenden sind weiblich. Frauen übernehmen zunehmend führende Positionen in der Gesellschaft. Was nun folgen muss, ist, dass Gesetze mit der gelebten Wirklichkeit Schritt halten. Es gibt immer noch dieses Vormundschaftssystem, wonach man als Mann mit 18 und als Frau mit 25 Jahren volljährig ist.
Wie passt es zusammen, dass ein modernes Land Homosexualität bestraft?
Prinzipiell gar nicht, wenngleich man auch hier den Kontext sehen muss. Katar ist eines von 69 Ländern, in denen gleichgeschlechtliche Liebe unter Strafe steht. Es wird zwar nicht geahndet, dennoch leben die Betroffenen in einer Schattenwelt. Singapur, ein Land, das der Emir schätzt, hat vor Kurzem Homosexualität entkriminalisiert. Ich würde mir wünschen, wenn Katar hier nachzieht. Ich habe das Gefühl, dass sich Katar modernisiert, aber zu den eigenen Bedingungen und ohne den Westen eins zu eins zu kopieren.
Stichwort Forschung: Wie frei sind Sie in Ihrer wissenschaftlichen Arbeit, immerhin würde es ohne den Staat Katar die Zweigstelle der Georgetown Uni in Doha nicht geben?
Die Frage habe ich auch beim Einstellungsgespräch gestellt. Es gibt einen Vertrag zwischen Georgetown und der Qatar Foundation, dass hier Forschung nach denselben Maßstäben wie auf dem Hauptcampus in den USA betrieben werden kann. Mein Gehalt kommt aus Washington D.C. und nicht aus Katar. Die Uni ist eine Oase der freien Meinungsäußerung. Natürlich ist das hier ein Minicampus mit 400 Studierenden und 150 Angestellten, den könnte man gar nicht wirtschaftlich führen ohne Zuwendungen der Foundation.
Die Einbürgerungsgesetze sind restriktiv. Warum tut sich das Emirat so schwer mit seinen Gastarbeitern?
Kaum ein Land hat ein so krasses Verhältnis von Ausländern zu Einheimischen. Es gibt eine Urangst, überrannt zu werden. Je größer die Anzahl jener Menschen wird, die hier in zweiter oder dritter Generation leben, desto größer wird die Notwendigkeit, dieses System zu überdenken. Man muss den Menschen eine dauerhafte Perspektive bieten, erst recht jenen, die das Land mitaufgebaut haben und keine andere Heimat kennen.
Das Fußballteam aus Katar besteht zu einem Großteil aus Gastarbeiterkinder. Wie kommt diese Auswahl im Land an?
Unabhängig vom sportlichen Abschneiden kommt es durchaus gut an, dass das eine im Land entwickelte Mannschaft ist. Das Team besteht aus Menschen, die in Katar aufgewachsen sind. Man weiß allerdings nicht, ob sie alle die volle Staatsbürgerschaft besitzen, oder so genannte temporäre Aufenthaltsgenehmigungen. Einige Länder in der Region nutzen diesen Graubereich im internationalen Recht. Bei den katarischen Handballern, die 2015 das WM-Finale erreicht haben, gab es dann als eine Art Belohnung die reguläre Staatsbürgerschaft mit allen Privilegien.
Was hat Sie als Fußballfan bisher bei der Endrunde überrascht?
Die positiven Dynamiken, die die Abwesenheit von Alkohol auslöst, haben mich doch überrascht. Als Fußballfan, der in Deutschland groß geworden ist und auch gerne selbst ein Bier im Stadion trinkt, habe ich das Gefühl, dass die An- und Abreise in den öffentlichen Verkehrsmitteln entspannter ist.
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