Total Pokal. Um diesen Preis rittern ab Freitag 24 Nationen. Der KURIER-Sport beleuchtet die Top-Favoriten.
14.06.24, 10:00
Sechs Teams zählen für den KURIER zum absoluten Favoritenkreis. Was spricht für welche Mannschaft? Deutschland, Portugal, England, Spanien, Frankreich oder doch Titelverteidiger Italien? Hier ein Überblick.
Die richtige Mischung für ein Sommermärchen
Deutschland. Noch im November sind die Österreicher mit den Deutschen Ringelspiel gefahren im Prater. Was für ein denkwürdiger Abend. Nur hat man dem „großen Bruder“ damit einen Dienst erwiesen. Denn seit der – natürlich nur aus ihrer Sicht – peinlichen Schlappe im Prater sind die Herrschaften beim DFB so richtig wachgerüttelt. In vier folgenden Partien blieb man nicht nur ungeschlagen, man feierte auch überzeugende Siege gegen Frankreich und den wahrhaftigen Erzrivalen aus den Niederlanden.
Nicht zu unterschätzen ist die Rückkehr von Toni Kroos. Nicht unbedingt nur als genialer Spielmacher, sondern vor allem als unbestrittener Leader im Team. Seit der Real-Madrid-Star zurück ist, sind die Sinne geschärft und die Rollen klar verteilt. Wie etwa jene des hochtalentierten Joshua Kimmich, der akzeptiert hat, dass er als rechter Verteidiger wertvoller ist.
Mit den Führungsspielern Kroos, Gündogan und Neuer sowie den unbändigen Jungstars Wirtz und Musiala haben die Deutschen die ideale Mischung und darüber hinaus mit Julian Nagelsmann einen einfallsreichen Trainer. Der Auftakt gegen Schottland wird kein Leckerbissen, doch dann folgt ein Sommermärchen.
Portugal. Im Sommer 2004 flossen Tränen, als der junge Cristiano Ronaldo traurig auf dem Rasen saß, weil überraschend Griechenland Europameister geworden war und nicht die Heim-Elf von Felipe Scolari. Dabei hätte sie es sich verdient gehabt. Die Genugtuung folgte 2016, als das Team von Coach Fernando Santos mit Weltstar Ronaldo die EM gewann, ohne sonderlich zu glänzen.
Mittlerweile hat Roberto Martínez übernommen, dessen „goldene Generation“ Belgiens lange als Geheimfavorit galt. Mit der aktuellen portugiesischen Mannschaft hat er eine ähnlich goldene Truppe an der Hand. Neben den Altstars Ronaldo (39) und Pepe (41) liest sich die Kaderliste wie ein Who-is-Who des europäischen Fußballs:
João Félix und João Cancelo (Barcelona), Bernardo Silva und Rúben Dias (Manchester City), Bruno Fernandes (Manchester United), Rafael Leão (AC Milan) und Gonçalo Ramos (PSG) bürgen für individuelle Klasse. In der Quali waren sie mit 10 Siegen in 10 Spielen die Besten.
36 erzielte Tore sprechen für die Offensive, nur zwei erhaltene für die Defensive. Wenn das Teamgefüge passt und es nicht rund um die Rolle von Superstar Ronaldo zu Unstimmigkeiten kommt, wird es schwierig, Portugal zu schlagen.
Von Karoline Krause-Sandner
Kane weiß, wo in Deutschland die Tore stehen
England. Warum England? Weil es einfach einmal klappen muss. Als die Three Lions 1966 bei der Heim-WM das erste und einzige Mal einen großen Titel holten, war die 40-jährige Queen persönlich im Wembley-Stadion, die Beatles hatten mit Yellow Submarine einen Nummer-1-Hit in Österreich und der aktuelle Teamchef Gareth Southgate war noch nicht geboren. Seitdem hofft das Mutterland des Fußballs alle zwei Jahre auf einen großen Erfolg.
Zweifellos wird auf der Insel der weltbeste Fußball gespielt. 114 Spieler dieser Europameisterschaft verdienen in England ihr Geld, das ist fast jeder Fünfte, die meisten davon in der Premier League. Im englischen Kader stehen nur zwei Legionäre – und die spielen nicht irgendwo: Jude Bellingham (20) von Real Madrid gilt als Superstar der Zukunft, Stürmer Harry Kane (30) zeigte nach seinem Transfer zu Bayern München, wie leicht es ist, in Deutschland zu treffen und wurde locker Torschützenkönig.
Bei der EM vor drei Jahren war England ganz nahe dran. Im Finale scheiterte man an Italien – wieder einmal – im Elfmeterschießen. Diesmal werden die Three Lions die Trophäe holen, ganz ohne Elferschießen. Football’s coming home.
Spanien und der Favoritenkreis vor einem Turnier, das ist wie das Gulasch und das Bier. Es gehört einfach zusammen. Ja, zugegeben, in den letzten Jahren haben die Spanier ihren Status ein wenig eingebüßt, was sich auch mit Zahlen bestätigen lässt. Seit ihrem letzten großen Turnier-Erfolg, der EM 2012, ging der Weg der Spanier bei Turnieren nur noch einmal über das Achtelfinale hinaus. Daher haben nur wenige sie wirklich am Tipp-Zettel – und genau das macht sie gefährlich.
Für Teamchef Luis de la Fuente ist es sein erstes großes Turnier, mit ihm spielen die Spanier geradliniger und vielleicht schnörkelloser, was im modernen Fußball ja kein Nachteil sein soll.
Immerhin konnten sie die Nations League 2022/23 für sich entscheiden mit Siegen über Europameister Italien und den WM-Dritten von 2022, Kroatien. Wie gut, dass man auch in der Vorrunde auf beide trifft. Vielleicht sind es die großen jungen Talente, die frischen Wind ins spanische Spiel bringen werden wie Pedri, Nico Williams, Fermin Lopez, Pau Cubarsi und natürlich Lamine Yamal (16).
Mit Qualität und Glück kann Großes gelingen. In diesem Sinne: mucha suerte!
Von Alexander Strecha
Die Grande Nation lässt alle anderen mickrig wirken
Frankreich. Mon dieu! Die Grande Nation. Das dürften sich wohl viele denken, die im Laufe der EM auf Frankreich treffen. Gleich zum Auftakt haben die Österreicher das Vergnügen. Wie vergnüglich der Montagabend in Düsseldorf für die ÖFB-Auswahl werden wird, ist eine andere Frage.
Denn groß ist Einiges beim Weltmeister von 2018 und WM-Finalisten 2022. Die Anzahl an Weltklassespielern etwa. Im Kader von Didier Deschamps stehen fünf Spieler von Paris SG, vier von den Mailänder Topklubs, drei von Real Madrid, zwei von Bayern München. Dazu kommen Stammkräfte von Liverpool, Arsenal, Barcelona und Atlético.
Weil diese Individualisten obendrein wissen, wie sie als Team funktionieren müssen und dass für den Erfolg bei einer Endrunde in manchen Momenten auch Zweckfußball nötig ist, gilt Frankreich auch statistisch als Topfavorit. Ein Forscherteam kam zu diesem Schluss, indem es in einem komplexen Verfahren die EM 100.000-mal durchsimuliert hat.
Außenseitersiege sind rar geworden im Fußball. Österreich könnte sich in dem Fall zumindest wieder eine schöne Nacherzählung schreiben. Wie 2021 (Italien) hätte man gegen den späteren Europameister bestehen müssen.
Von Philipp Albrechtsberger
Eine Leidenschaft - Grazie Signor Barolo
Italien. Für Italien zu sein ist kein Ergebnis einer rationalen Überlegung. Die Squadra Azzura ist selten bei den Favoriten dabei, wenn es zu großen Turnieren geht. Das war sie auch 2021 nicht, als das Team von Roberto Mancini Europameister wurde.
Als 1982 ein Nachbar, der Herr Barolo, den kleinen Peter vor der WM in Spanien fragte wer denn Weltmeister werden soll, lautete die Antwort „Italien“. Vielleicht wollte der Bub damals dem ehemaligen Eissalonbesitzer gefallen.
Auf jeden Fall aber war die Szene der Beginn einer Fußball-Leidenschaft, die den Catenaccio überstanden hat, Schmähungen nach bitteren Niederlagen aushalten lässt und wunderbare Schadenfreude erzeugt, wenn all die anderen Favoriten besiegt sind.
Als regierender Europameister verpasste Italien die Qualifikation für die WM 2022 und folgte Luciano Spalletti auf Roberto Mancini. Spalletti gilt als Verfechter einer offensiven 4-3-3-Grundordnung und weiß aus Napoli, wie man einen Außenseiter zum Champion macht.
Die Gruppe mit Albanien, Spanien und Kroatien ist zwar eine Herausforderung. Wenn diese aber überstanden ist, dann kann es bis zum Finale nicht mehr schwieriger werden.
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