Vor EM-Achtelfinale: Zu Besuch in der Heimat von ÖFB-Erfolgstrainer Rangnick
Der Rasen des Karl-Euerle-Stadions, der Heimstätte des FC Viktoria Backnang, ist allerfeinst gepflegt. Kein Grashalm tanzt hier im Schwabenland unnütz aus der Reihe.
Auf dieser schönen Wiese gab Maestro Ralf Rangnick eine Frühform des Sechsers, oft auch einen Außenverteidiger, der für sein Team das Spiel machte, erzählt Thomas Freudensprung. „Ralf war irgendwo zwischen Nicolas Seiwald und Konrad Laimer.“
Ralf, der Spielertrainer
Freudensprung hat einen Freudensprung vollzogen, als am vergangenen Dienstagabend sein Daumendrücken belohnt wurde: Dabei erinnern ihn die Schützlinge des Jugendfreunds, die in Berlin die Niederländer bogen, an seine eigene Zeit als Aktiver.
Mit Rangnick als Spielertrainer und einer „goldenen Generation“ an Spielern war die Viktoria zwei Jahre lang so gut wie unbezwingbar.
„Ralf hat uns hungrig gemacht“, erzählt der einstige Mittelfeldspieler. „Er hat uns damals ganz neue Methoden des Trainings und der Taktik beigebracht. Und obwohl er nicht der Älteste in unserer Mannschaft war, sind wir ihm alle zu 100 Prozent gefolgt.“
Aufgewachsen sind Tom und der „Fußballprofessor“ in dem beschaulichen Städtle Backnang an der Murr (kein Tippfehler!), die sich schön um die alten Fachwerkhäuser schlängelt. Das historische Rathaus und der Stadtturm aus 1614 sind nicht nur fein anzusehen, sie verraten auch das über vier Jahrhunderte erarbeitete Selbstvertrauen der Leute in einer bis heute nicht ganz armen Region.
Mit Rangnick gespielt haben auch Ralf Kropf als ein resilienter Innenverteidiger und Werner Liebentritt, den sie aufgrund von jenen neun Spielen, in denen er kein Tor kassierte, auch „Dino Zoff von Backnang“ nannten.
Auch sie nehmen sich die Zeit, wenn sich Journalisten aus Italien, England oder Österreich für die alte Heimat des Startrainers interessieren.
Thomas, Ralf und Werner bestätigen, was in Backnang oft erzählt wird: „Der Ralf hat die Viktoria professionalisiert und sofort Erfolge erzielt.“ In der Vereinschronik heißt es denn auch: „Ralf Rangnick verhalf dem FC Viktoria zu einem immensen Aufwärtstrend. Professionalität hielt Einkehr in die fußballerische Arbeit, auch im Drumherum bewegte Ralf Rangnick ungemein viel.“
Den Leuten vom ÖFB mag manches bekannt erscheinen: Unter Rangnicks Dirigat legten die Bezirksligisten bei den Heimspielen ihr Stadionblatt „FC aktuell“ zum ersten Mal auf, auf dessen pünktliches Erscheinen unter anderem der Vater des Erfolgstrainers achtete. „Er war Grafiker bei den Stuttgarter Nachrichten.“
Ein Stadionsprecher sorgte bei den Heimspielen der Grünen für einen guten Ton. Es gab auch Bandenwerbung, in der Halbzeitpause liefen die Werbespots der Backnanger Gewerbetreibenden.
In erster Linie aber sorgte der Spielertrainer Rangnick in seinem Kerngeschäft für völlig neue Impulse, wie die ehemaligen Mitspieler heute noch staunend erzählen.
Werner, der Backnanger Tormann: „Mir hat er gesagt, dass ich von hinten raus das Spiel unseres Teams aufbauen soll.“
Namensvetter Ralf, der damals noch Libero spielt: „Er ließ uns im Training immer wieder die Viererkette üben, zu einer Zeit, als man als Libero noch ausschließlich zur Absicherung diente.“
Thomas, der Mittelfeld-Motor bei der Viktoria: „Wir haben mit dem Anlaufen begonnen, da kannte das noch keiner in unserer Liga.“
Kindheit: Ralf Dietrich Rangnick wurde am 29. Juni 1958 in Backnang geboren, wo er auch maturierte. Die Kontakte zu seinen alten Freunden pflegt Rangnick bis heute. Er ist Vater von zwei Söhnen, David und Kevin. Seine Mutter lebt noch in Backnang.
Ausbildung: Nach dem Abitur studiert er Lehramt für Sport und Englisch in Stuttgart. Die Fußballtrainer-Ausbildung hat er sowieso.
6 Amateurvereinen hat er als Mittelfeldspieler gedient: VfB Stuttgart Amateure, FC Southwick, VfR Heilbronn, SSV Ulm 1846, FC Viktoria Backnang, TSV Lippoldsweiler.
Seine Trainerkarriere startete Ralf Rangnick bei FC Viktoria Backnang, den VfB Stuttgart Amateuren und beim TSV Lippoldsweiler. Weitere Stationen: SC Korb, Jugendteams des VfB Stuttgart. Seit 1992 arbeitet er hauptberuflich als Trainer, unter anderem war er bei Schalke 04, SSV Ulm 1846, Hannover 96.
Ralf, der Radfahrer
Im Vereinsheim der Viktoria hängt ein Mannschaftsfoto aus der Saison 1983/’84, mit dem damals 26-jährigen Ralf Rangnick in der Mittelreihe. In jenem Jahr stieg man von der Bezirks- in die Landesliga auf – mit einer Dominanz, die an Red Bull Salzburg in den besten Jahren erinnert. In der Chronik steht geschrieben: „Und natürlich fuhr Coach Rangnick – wie für den Fall der Meisterschaft auch versprochen – mit dem Fahrrad zum letzten Auswärtsspiel nach Murrhardt.“
In der folgenden Saison gelang der Durchmarsch in die vierthöchste Liga. Die drei Freunde haben dafür weitere Erklärungen: „Er ließ uns mit Tennisbällen Fußball spielen, im Winter Langlaufen, was kaum einer von uns konnte, aber super für die Kondition war. Wir waren die Ersten, die einen Physiotherapeuten hatten. Und wer das wollte, der hat von ihm auch einen Ernährungsplan bekommen. Um halb vier in der Früh hätte er uns wecken können, die ganze Mannschaft wäre eine halbe Stunde später auf dem Fußballplatz gestanden.“
Ralf, der Dynamo
Auf Eis und Schnee spielte man ein Vorbereitungsspiel gegen das große Dynamo Kiew von Walerij Lobanowskyj. „Von dessen Taktik war Ralf angetan“, erzählt Ralf Kropf, dessen Lebensgefährtin die Cousine und dessen Sohn Sandro das Patenkind des ÖFB-Trainers ist. Verleiht also Dynamo und nicht Red Bull Flügel? „Er war auch ein Fan vom Fußball von AC Milan unter Arrigo Sacchi.“
Gut erinnern können sich die drei Freunde auch an den Strafenkatalog des Trainers: „Der war schon geschmalzen. Eine Mark musste man etwa bezahlen, wenn man mit einem Ball zum Training kam, der nicht aufgepumpt war.“
Dann verzieht sich die Freude in den Gesichtern der drei Freunde. „Für mich war das eine Katastrophe“, betont Thomas Freudensprung. „Das ist, wie wenn du endlich deine Traumfrau gefunden hast, und dann erscheint sie nicht zur geplanten Hochzeit.“
Ihr Freund geht jedenfalls nach dem zweiten Meistertitel in die Landeshauptstadt „Schduagrt“, wie sie hier zu Stuttgart sagen. Er folgt dem Ruf des VfB und übernimmt dort das Amateurteam. Eine internationale Karriere nimmt piano ihren Lauf.
Ralf, der Österreicher
Ja, sie sind natürlich stolz auf ihren Maestro, der typisch schwäbisch bodenständig geblieben sei und öfters seine Mutter besucht. Und als sie daran erinnert werden, dass sie in dessen ersten großen Orchester brillieren durften, erklären sie mit Stolz, dass sie am Dienstag fix zu „euch Österreichern“ halten werden.
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