Trauer und Wut nach Österreichs EM-Aus: Ein Abend des Scheiterns
"Ich bin nur hier, um Stress zu machen", sagt ein junger Mann. Er spricht eindeutig mit deutschem Dialekt, theoretisch nicht ungewöhnlich, er ist schließlich in einem Lokal in Berlin. Praktisch hört er sich an wie ein Außenseiter, hier in der "Freundschaft", einem Lokal der gebürtigen Österreicher und Szene-Gastronomen Willi Schlögl und Johannes Schellhorn.
Stress machen, das will er, weil sich am Dienstagabend viele Österreicher eingefunden haben, um das EM-Spiel gegen die Türkei zu sehen - und er ist weitgehend gekommen, um das "Ösi-Publikum" zu nerven.
Ein Abend des Scheiterns
Es wird ein Abend des Scheiterns - ein Abend, der, wäre er ein Film, wohl mit FSK 18 gekennzeichnet werden müsste, weil die geschriene Sprache der Anwesenden alsbald nur noch aus kombinierten Fäkal-Vulgaritäten besteht: "Verfickte Dreckscheiße nochamal!" Man kennt das.
Mehr österreichisches Lokalkolorit in Berlin-Mitte geht nicht, vielleicht geht nicht mal mehr in Wien selbst.
Der Deutsche - er hat immerhin den Anstand, Spritzer und nicht Schorle zu bestellen - hat, man kann es nicht feiner ausdrücken, durchgehend die Papp’n offen und hofft lautstark und penetrant auf eine Niederlage des österreichischen Nationalteams.
Er ist mit seiner Ablehnung aber die Ausnahme. Die meisten anderen Berliner zeigten sich schon in den Tagen zuvor begeistert, sobald sie merkten, dass sie mit Österreichern sprechen. "Großartiges Team", "Ihr werdet gewinnen", "Wir hoffen auf ein Finale Deutschland gegen Österreich" sind Sätze, die man fast in jedem Gespräch hört. Fast keimt schlechtes Gewissen auf, dass in heimischen Gefilden noch nie euphorische Stimmung für den Nachbarn aufgekommen ist.
Österreicher als gute Gäste?
Michael Linhart österreichischer Botschafter in Deutschland und einigen wohl noch als Kurzzeit-Außenminister der Bundesregierung Schallenberg bekannt, zeigte sich am Tag vor der Niederlage begeistert von den heimischen Fans. Er werde sehr oft darauf angesprochen, was für gute Gäste sie seien, erzählt er. "Sie sind Botschafter für unser Land."
Linhart ist ein kultivierter Mensch, der nach dem obligatorischen Fußball-Geplänkel stolz den von Hans Hollein kreierten Bösendorfer-Flügel in der Botschaft herzeigt. Was würde er wohl von den ganzen "Oaschloch"-Rufen in der "Freundschaft" denken?
In der zweiten Spielhälfte ist dort jedenfalls endgültig Wohnzimmer-Feeling aufgekommen. Nach dem Anschlusstreffer wird einer zum Deutschen sagen: "Hältst du jetzt endlich den Suppenschlitz?"
In trauter Einigkeit
Grundsätzlich herrscht aber gute Stimmung. Auch eine Türkin ist gekommen, um ihre Mannschaft anzufeuern. Man schaut hier in trauter Einigkeit das Spiel. "Man freue sich auf eine geile und friedliche EM", ließen die Lokalbesitzer bereits im Vorfeld verlauten. Trash-Talk und gelegentliche Spitzen tun der heimeligen Atmosphäre der "Freundschaft" keinen Abbruch. Im Gegenteil, das gemeinsame Schimpfen schweißt zusammen. Und Trost findet man in Leberkas, Kürbiskernbutter oder Wein vom Döblinger Heurigen Mayer am Pfarrplatz.
Nicht überall in Deutschland wussten sich die Fans zu Benehmen. Im Schweizer Fernsehen SRF war etwa zu sehen, dass ÖFB-Anhänger zur Melodie des Lieds „L’Amour toujours“ „Ausländer raus“-Parolen grölten und sich damit auf Lebenszeit als Markenbotschafter für Österreich disqualifizierten. Nun ermittelt die Polizei.
Beim Abpfiff ist es in der „Freundschaft“ kurz still, die Trauer ist zu groß für weitere Schimpfwörter. Anders ausgedrückt: Nach 90 Minuten Fußball halten alle den Suppenschlitz. Außer der Deutsche.
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