Football Leaks: "Klagen werden uns nicht stoppen"

Die anonyme Plattform sorgt mit Enthüllungen von Verträgen für Aufruhr im Weltfußball. Ein Mitglied im Interview.

Die Interviewanfrage geht an eine russische E-Mail-Adresse. Es ist die einzige Möglichkeit, Kontakt mit jener Personengruppe aufzunehmen, die durch ihre brisanten Enthüllungen den Mächtigen im Weltfußball derzeit ein unangenehmer Klotz am Bein ist. Seit Monaten veröffentlicht die Internetplattform Football Leaks täglich diverse Dokumente, die der Öffentlichkeit eigentlich unzugänglich sein sollten. Was viele Fans fasziniert, wirft ein schiefes Licht auf Fußball-Klubs, Spielerberater und Investoren. Weltweit.

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Die Antwort kommt noch am selben Tag, gerne könne man einige Fragen per Mail schicken. An ein persönliches Gespräch ist nicht zu denken. Über ihre Identität gibt die Gruppe - der ein Unbekannter bereits 650.000 Euro für alle Dokumente geboten hat - keinerlei Auskunft. Zu gering sei das Vertrauen in die Behörden, zu groß der Einfluss der Fußball-Lobbyisten, die nur ein Ziel hätten: Football Leaks zum Schweigen zu bringen. Lediglich, dass es sich um "einige portugiesische Fußball-Fans" handelt, ist von den Machern bereits bestätigt worden. Diverse Medien berichteten von neun Mitgliedern. "FL" - so das Kürzel, mit dem der Interviewpartner den Mailverkehr unterzeichnet - weist dies als "pure Spekulation" zurück. Auch Vorwürfe, wonach sich die Gruppe Dokumente durch Hackerangriffe zu eigen gemacht haben soll, werden negiert. Man habe schlichtweg ein "gutes und stabiles Netzwerk".

Der jüngste Coup: Die Netzrebellen veröffentlichten auf ihrem Blog Details aus der Transfervereinbarung zwischen Real Madrid und Manchester United bezüglich des Wechsels von Angel di Maria 2014. Rund 77 Millionen Euro ließen sich die Engländer den argentinischen Offensiv-Star, der mittlerweile für Paris SG spielt, kosten. Was die Öffentlichkeit nicht wusste: Durch vertragliche Vereinbarungen stellten die Madrilenen sicher, dass United den Spieler in den Folgejahren nur schwer an einen Real-Konkurrenten in Spanien verkaufen hätte können. Hätten die Engländer 2015 einen Di-Maria-Transfer nach Spanien angestrebt, wären 50 Millionen Euro an Real zu zahlen gewesen. Im Jahr darauf 40 Millionen, ein weiteres Jahr später 30 Millionen. An den FC Barcelona hätte United den Spieler – ohne eine Millionen-Überweisung nach Madrid - gar erst nach Ende seiner Vertragslaufzeit 2019 abgeben dürfen.

KURIER: Welche Rolle nehmen Sie bei Football Leaks ein?

FL: Ich bin ein einfaches Mitglied.

Was unsere Leser vermutlich besonders interessiert: Sind Sie auch im Besitz von Dokumenten über den österreichischen Fußball, österreichische Klubs oder Spieler?

Wahrscheinlich haben wir derzeit nichts mit Österreich-Bezug. Aber sollten wir etwas bekommen, werden wir es sicherlich veröffentlichen. Wir wollen Transparenz im Weltfußball. Alle Länder sind dabei wichtig.

Sie haben zuletzt davon gesprochen, mächtige Feinde gegen sich aufgebracht zu haben. Wurden Sie bedroht?

Wir haben einige Drohungen per Mail erhalten, noch nichts allzu Ernstes. Wir leben ein normales Leben und versuchen darüber nicht zu viel nachzudenken. Aber wir sind uns der Gefahr bewusst, dass Polizei oder Privatdetektive uns vielleicht irgendwann aufspüren werden. Mit einer klaren Mission: uns um jeden Preis zum Schweigen zu bringen.

Werden Sie sich je der Öffentlichkeit vorstellen?

Das kann eines Tages passieren, aber derzeit ist das keine Lösung, denn wir haben kein Vertrauen in die portugiesische Regierung. Wir wissen, dass die Dinge in Portugal immer schmutzig laufen, wenn viel Geld im Spiel ist. Unsere Enthüllungen stellen eine große Unannehmlichkeit in einem Land dar, wo jeden Tag zwielichtige Dinge in der Fußball-Industrie ablaufen. Sehr mächtige Menschen sind im Fußball-Lobbying involviert und üben einen enormen Einfluss auf die Strafverfolgungsbehörden aus. Wir wissen beispielsweise von geheimen Treffen der portugiesischen Polizei mit britischen Privatdetektiven in Lissabon, engagiert von der Doyen Group (Anm.: mehr dazu weiter unten). Was hier passiert, ist zu ernst und zu gefährlich.

Haben Sie Angst davor, sich eines Tages mit einer Anklage konfrontiert zu sehen?

Wir sind uns von Anfang an aller Risiken bewusst, auch dass wir angeklagt werden könnten. Die Fußball-Lobbyisten haben großen Einfluss auf die Ermittlungsbehörden. Wir würden niemals ein faires Verfahren bekommen.

Was würden Sie als die größten Missstände im Fußball bezeichnen? Wogegen kämpfen Sie konkret an?

Der Fußball sieht sich mit einem großen Glaubwürdigkeitsproblem konfrontiert und das ist größtenteils auf eine gravierende Misswirtschaft der Verantwortlichen bei FIFA und UEFA zurückzuführen. Das zeigt ja schon der FIFA-Skandal. Aber es gibt etwas anderes, das dringend eine Reform braucht: das Transfer-System. Dieses System bedient weder die Interessen der Spieler, noch jene der Fans oder der Klubs. Spielervermittler und Investment-Firmen beuten das System aus und steigern ihre Macht, ihren Einfluss stetig. Die Riesenmenge an unveröffentlichten Gebühren ist den Fans gegenüber respektlos. Im amerikanischen Sport ist vieles besser strukturiert und Systeme wie der "Draft" erleichtern Transparenz. Wenn aber im Fußball ein Klub wettbewerbsfähig bleiben und gute Spieler kaufen möchte, dann muss er den Spielerberatern zahlen, was auch immer diese verlangen. Es ist unabdinglich, Vermittlungsgebühren und Beraterhonorare Restriktionen zu unterziehen. Die Agenten erhalten tausende Euro - und manchmal Millionen - wenn ein Spieler seinen Vertrag verlängert oder er transferiert wird. Das ist inakzeptabel (Anm.: Auch die Spielergewerkschaft FIFpro übte diesbezüglich vor kurzem Kritik - mehr dazu hier).

Es zirkuliert zu viel Geld im Hintergrund - und nicht einmal die FIFA hat die leiseste Ahnung davon, was hier vorgeht. "Third Party Ownership"-Deals (Anm.: Investoren sichern sich Transferrechte, die FIFA hat das mittlerweile verboten - mehr dazu hier) sind immer noch an der Tagesordnung, aber heutzutage kaschiert als Scouting- oder Vermittlungsvereinbarungen. Ein gutes Beispiel ist Doyen Sports.

Inwiefern?

In den letzten vier Jahren war die Investment-Firma (Anm.: mit Sitz in Malta) so etwas wie ein Mysterium, umgeben von Geheimnissen. Sie sprechen nie mit der Presse und arbeiten völlig intransparent. Niemand wusste genau Bescheid über ihre "Third-Party-Ownership"-Deals, die heimlichen Klauseln und vor allem: Niemand wusste, wer der eigentliche Investor war. Aber jetzt, seit wir dieses Projekt gestartet haben, weiß jeder, was Doyen Sports ist. Endlich kann jeder sehen, wie Firmen wie Doyen in Finanznöte geratene Klubs ausnutzen, indem sie diesen unfaire Bedingungen auferlegen. Man kann sie getrost auch als so etwas wie Kredithaie bezeichnen. Sie haben keinerlei Respekt vor der Integrität der Wettbewerbe und der Klubs. Ihre Absichten sind rein finanzieller Natur und sie haben ein offensichtliches Interesse daran, Spieler schnellstmöglich zu transferieren, um Gewinne zu erzielen. Dadurch schädigen sie die Vertragsstabilität zwischen Klubs und Spielern. Alles, wofür sie stehen, ist total schädlich für den Sport. Aus all diesen Gründen wollen wir ein neues Transfer-System, begrenzte Möglichkeiten für Spieleragenten und Investmentfonds und eine öffentliche Datenbank mit Transferdetails und Löhnen.

Wie weit sollte die Transparenz von Fußball-Klubs gehen?

Sie sollten einen jährlichen Report veröffentlichen, in dem alle Aktivitäten, Transfersummen und Löhne aufgelistet und transparent sind. Manche Klubs machen das bereits, aber immer noch in sehr unvollständiger Art und Weise. Letzten November gab es einen Bericht von 'Transparency International' und die Ergebnisse waren entsetzlich. 85 Prozent der Fußball-Verbände veröffentlichen keinerlei Daten über ihre Aktivitäten. Wir wissen nichts darüber, wofür sie ihr Geld ausgeben und sie erlauben auch keine unabhängige Prüfung. Das zeigt schon, wie undurchsichtig das Fußball-Business geworden ist. Nicht nur bei den Klubs, auch bei den Verbänden.

Twente Enschede wurde für drei Jahre von internationalen Bewerben ausgeschlossen - angestoßen durch Ihre Veröffentlichungen. Betrachten Sie das als Erfolg? Ist es das, was Sie erreichen wollen?

Ehrlich gesagt tun uns der Klub und seine Fans leid. Der Klub zahlt den Preis für kriminelles Missmanagement und einen unverantwortlichen Präsidenten. Es ist unglaublich, wie Aldo van der Laan (Anm.: Ex-Präsident von Twente) den niederländischen Verband derart irreführen konnte. Und es ist noch unglaublicher, dass Nelio Lucas (Anm.: Doyens Geschäftsführer) Van der Laan dafür als Freund bezeichnet. Das offenbart Doyens Modus Operandi. Doyen Sports und Nelio Lucas sollten im Fußball keinen Platz haben.

Mit steigender Popularität wächst vermutlich auch Ihr Netzwerk und Sie bekommen vermehrt Dokumente zugespielt. Wie aber haben Sie begonnen? Woher hatten Sie die ersten Dokumente?

Das erste Dokument war eine Transfer-Vereinbarung zwischen Racing Avellaneda und dem FC Porto betreffend des Spielers Lisandro Lopez vor einigen Jahren. Ich persönlich war damals sehr erstaunt. Also konnten wir davon ausgehen, dass auch andere Fußballfans von solchen Dingen erstaunt sind. Es ist das allererste Mal in der über hundertjährigen Fußball-Geschichte, dass solche Dokumente für die Öffentlichkeit zugänglich sind. Das ist etwas Faszinierendes, demonstriert aber auch die enorme Undurchsichtigkeit dieses Geschäfts.

Wie können Sie immer sicher sein, dass es sich bei den Dokumenten nicht um Fälschungen handelt?

Niemand hat die Echtheit jemals angezweifelt. Und vor der Veröffentlichung überprüfen wir jede Information.

Waren Sie auch früher schon im Fußball-Business tätig?

Das kann ich nicht beantworten.

Warum veröffentlichen Sie auch Dinge wie die Verträge oder Transfervereinbarungen von Toni Kroos, Mesut Özil oder Angel di Maria? Daran war nichts illegal.

Wir veröffentlichen nicht nur illegale Deals. Jeder dieser Verträge erzählt eine eigene Geschichte. Sie zeigen alles - von der endlosen Anzahl an Klauseln über astronomische Beträge bis hin zu versteckten Vertragsgebühren. Diese Dokumente sind von enormer Wichtigkeit, um das derzeitige Fußball-Business verstehen zu können.

Darf man deutschen Medien glauben, denken Kroos und Özil über Klagen nach. Was sagen Sie dazu?

Damit haben wir kein Problem. Sie können tun was auch immer sie wollen. Aber Klagen werden uns nicht stoppen.

Gibt es Dokumente, die Sie nicht veröffentlichen würden?

Nein. Wir veröffentlichen alle Arten von Dokumenten.

Welche Schlagzeile würden Sie eines Tages gerne über Football Leaks in den Zeitungen lesen?

Wir erwarten keine Schlagzeilen über Football Leaks. Wir erwarten Schlagzeilen wie: "Neue Ära im Fußball: Transparenz, neues Transfer-System und das Ende der Super-Agenten". Sollte das eines Tages geschehen, wäre unsere Mission vollendet.

Ein portugiesischer Polizeisprecher soll Sie als "internationale Verbrecher-Organisation" bezeichnet haben. Was antworten Sie darauf?

Das ist einfach nur lächerlich.

Wie ist das Feedback auf Ihre Arbeit? Bekommen Sie Fanpost?

Bis jetzt sind die Reaktionen großteils positiv. Wir schenken der Meinung der Menschen viel Aufmerksamkeit, jedes Feedback ist für uns sehr wichtig, da wir all dies für die Fans tun. Sie sind es, die diese Industrie unterstützen und sie verdienen es, viel mehr über die Feinheiten zu erfahren.

Dürfen wir in naher Zukunft eine spektakuläre Veröffentlichung erwarten?

Ja, Sie dürfen viele neue Enthüllungen erwarten. Nicht nur über Transfers und Verträge, sondern auch über die Beteiligung von Investmentfonds an der Politik der Fußball-Klubs.

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