Ex-Bayern-Profi Hamann: "Ich sehe den Red-Bull-Fußball kritisch"
Wenn am Dienstag Salzburg beim großen FC Bayern München zum Rückspiel im Achtelfinale der Champions League zu Gast ist (21 Uhr/live auf Sky), wird er ganz genau hinschauen. Dietmar Hamann wurde mit den Deutschen zwei Mal Meister, holte später mit Liverpool den Titel in der Königsklasse. Mittlerweile ist der Vizeweltmeister von 2002 TV-Experte.
KURIER: Welche Beziehung haben Sie zu Österreich?
Dietmar Hamann: Meine Tochter arbeitet in Wien, deswegen bin ich auch öfter dort. Als Bayer hat man natürlich einen Bezug zu Österreich. Das Stadthallenturnier war für mich früher ein Highlight jeden Winter. Ich verfolge den österreichischen Fußball schon immer sehr intensiv.
Was erwarten Sie vom Rückspiel Bayern gegen Salzburg?
Dass es eine enge Partie wird, das wird kein Selbstläufer für die Bayern. Die Vorbereitung für die Partie war in Salzburg mit den vielen Corona-Fällen nicht optimal, aber so etwas kann auch zusammenschweißen. Ich war vom 1:1 im Hinspiel nicht überrascht. Wer die Bayern in den letzten Wochen gesehen hat, der weiß, dass die Ergebnisse zwar größtenteils stimmen, aber gut spielen tun sie nicht.
Welche Rolle spielt Salzburg im internationalen Fußball?
Eine sehr große. Sie haben einen Weg gefunden, wie sie die Spieler auf den Profifußball vorbereiten. Das machen sie besser als alle anderen in Europa. Genau das ist die Aufgabe einer Akademie, und nicht, dass du U-19-Meister wirst.
Kann dieser Weg noch weiter nach oben gehen?
In der aktuellen Saison? Da halte ich es nicht für ausgeschlossen, dass sie die Bayern ausschalten. Und wenn sie das schaffen, und dann vielleicht Manchester City und Liverpool aus dem Weg gehen, dann stehen die Chancen gut, dass sie noch weiter kommen.
Und längerfristig?
Außer Frage steht, dass die besten Spieler immer weggeholt werden. Aber Salzburg schafft es ja, dass immer wieder etwas nachkommt. Salzburg müsste es schaffen, die Mannschaft länger zusammenzuhalten – was nicht leicht, vielleicht auch unmöglich ist. Vielleicht, wenn sie die Bayern ausschalten, ist das eine Möglichkeit, dass die Spieler sagen: „Komm, wir bleiben!“
Der Bayer (*27. August 1973) kam schon als Jugendlicher zum FC Bayern München, 1993 stieg er zu den Profis auf. Bis 1998 gewann er mit den Deutschen zwei Meistertitel sowie je einmal den DFB-Pokal und den UEFA-Cup. Danach wechselte der Mittelfeldspieler nach England, wo er für Newcastle, Liverpool und Manchester City in der Premier League spielte. Der größte Erfolg war der Gewinn der Champions League mit dem FC Liverpool im Jahr 2005. Für das deutsche Nationalteam bestritt er 59 Länderspiele, 2002 wurde er Vizeweltmeister
Sie waren lange bei den Bayern. Was macht den Verein aus?
Verlieren ist keine Option. Zu meiner Zeit waren es Matthäus, Kahn und Scholl, die das vorgelebt haben. Später Jeremies, Effenberg, Lahm und Schweinsteiger. Jetzt sind es Müller, Neuer, Kimmich und Lewandowski. Das ist ihre große Stärke, dass sie immer eine Achse hatten, die das weitergegeben hat.
Sind die Bayern heuer ein Titelfavorit in der Champions League?
Gemeinsam mit Manchester City und Liverpool stehen sie für mich über den anderen. Aber es wird viel davon abhängen, was mit Davies und Goretzka ist. Ohne die beiden glaube ich nicht, dass sie die Champions League gewinnen können, die können sie nicht ersetzen. Sie stottern im Moment, der Druck ist groß. Es wäre nicht auszudenken, was los wäre in München, wenn sie jetzt gegen Salzburg ausscheiden.
Welche Gemeinsamkeiten sehen Sie bei den Trainern, Salzburgs Jaissle und Nagelsmann bei den Bayern – abgesehen vom Alter?
Sie strahlen eine unheimliche Ruhe und Selbstsicherheit aus. Das ist für mich das wichtigste Merkmal für einen Trainer. Man muss bei einem Trainer das Gefühl haben, dass er über der Sache steht und dass er sich und die Situation unter Kontrolle hat.
Sehen Sie den Red-Bull-Fußball weiter im Vormarsch?
Ich sehe diesen Red-Bull- oder auch Hoffenheim-Fußball grundsätzlich kritisch. Nicht falsch verstehen: Ich schaue mir Salzburg gerne an, auch wenn es nicht der Fußball ist, den ich sehen will. Es ging los vor Jahren unter Rangnick, als es fast wichtiger war, was der Spieler ohne Ball macht, als mit dem Ball. Mit dieser Art von Fußball kann man zwar in Österreich Meister werden, aber: In einer ausgeglichenen, wettbewerbsfähigen Liga kann man über 34 Spieltage nicht Meister werden, wenn man nicht in der Lage ist, mit Ball das Spiel zu kontrollieren. Wenn du jede Woche bis zum Schlusspfiff ans Limit gehen musst, dann wirst du Verletzte haben.
Werfen wir einen Blick auf das aktuelle Weltgeschehen: Wie wichtig beziehungsweise unwichtig ist Fußball oder Sport derzeit?
Wenn man die Bilder aus der Ukraine sieht, dann wird alles andere zweitrangig. Man kann sich gar nicht vorstellen, was die Leute dort gerade durchmachen. Auf der anderen Seite ist Fußball oder der Sport etwas, das verbindet. Ist er wichtig? Nein. Auf der anderen Seite aber doch, weil er Leute zusammenbringt und verbindet.
Kommentare