Ohne je ein Konzept vorgelegt zu haben, durfte Peter Schöttel 2017 spontan das Amt des Sportdirektors beim ÖFB übernehmen. Ob man ihm vorwerfen kann, dass er quasi über Nacht und ohne Vorlaufzeit „Ja“ gesagt hat zu diesem Angebot? Nicht wirklich.
Als erste Amtshandlung legte Schöttel dem Präsidium Franco Foda, Andreas Herzog und Thorsten Fink als Teamchefkandidaten vor. 2022 ist alles anders. „Natürlich weiß ich, weil ich die letzten Jahre sehr nahe an der Mannschaft war, was hier gefragt ist“, sagt der einstige Rapid- und Teamverteidiger über das Anforderungsprofil für den neuen Teamchef, ohne allerdings konkret auf eine mögliche Philosophie oder Denkweise des künftigen Trainers einzugehen.
Mindestens ebenso wichtig wie der passende Coach für die aktuellen Teamspieler wird in den kommenden Monaten allerdings die Erstellung einer eigenen Identität. Wofür soll der ÖFB stehen? Wie will man künftig auftreten? Nach welchen Kriterien will man Spieler ausbilden? Fragen wie diese und noch mehr sind beim Fußball-Bund bisher unbeantwortet. Ohne klare Leitlinien wird die Teilnahme an Endrunden aber auch künftig eher die Ausnahme bleiben.
Alles wartet auf Schöttel
ÖFB-Präsident Gerhard Milletich sagt zum KURIER: „Es gibt Überlegungen, dass man sagt: Es gehört eine echte Erneuerung her.“ Ob Peter Schöttel neben der Teamchef-Suche auch damit beauftragt ist, einen solchen Weg vorzuzeichnen? „Er kann seine Vorstellungen umsetzen“, sagt der Burgenländer. Damit ist klar: Alles wartet auf Schöttels Empfehlungen.
Was der Sportdirektor bisher bewegen konnte und wo er noch an Profil zulegen wird müssen.
Ist das Nationalteam schlecht, wird gerne alles beim ÖFB infrage gestellt. Das ist aber nicht nötig. Unter Peter Schöttel hat sich hinter dem Vorhang vieles entwickelt. Der Wiener hat es ermöglicht, dass die Trainerausbildung auf zeitgerechte, kompetenzorientierte Beine gestellt wird.
Das Talentförderungsprogramm Projekt12 wurde adaptiert, dazu mit Partner SAP eine Wissensplattform ins Leben gerufen, die es allen Betreuern ermöglicht, Daten über ihre Spieler in eine Datenbank zu laden, um etwa die Belastungssteuerungen zu dokumentieren und professionalisieren.
Unter Schöttels Führung wurde sogar eine Abteilung „Wissenschaft, Analyse und Entwicklung“ gegründet, obwohl Präsidiumsmitglied Johann Gartner 2017 verkündet hatte, man wolle nach der Trennung von Willibald Ruttensteiner „weg von der Wissenschaft und zurück zum Fußball“.
Als größtes Projekt wurde jüngst eine bundesweite Reform des Kinderfußballs präsentiert, die den kickenden Mädchen und Burschen ein Vielfaches an Ballkontakten, Spielzeiten und dadurch mehr Spaß und wesentlich höhere Entwicklungsmöglichkeiten gerade im technischen Bereich gewährleisten wird. Auch der Frauenfußball wurde gestärkt und aufgewertet.
Wertschätzung
All das ist passiert, weil Schöttel im Vergleich zu seinem Vorgänger Willibald Ruttensteiner Verantwortung abgibt und in uneitler Weise nicht für sich beansprucht, in jedem Teilbereich alles wissen und selbst bestimmen zu müssen. Indes wertschätzt und forciert er die Arbeit seiner Mitarbeiter, die er im Zuge dessen auch erst kürzlich vor den Vorhang gebeten hat, um die umgesetzten Projekte selbst vorzustellen.
Luft nach oben: Schönfärberei, Irrtümer und Ausreden
Peter Schöttel gilt als harmoniebedürftig. Dennoch ist es ihm nicht verboten, fehlende Entwicklungen knallhart anzusprechen. Nach dem 1:2 in Cardiff sagte der Sportchef am Freitag:
„So wie das gestern gelaufen ist, hat ein Mann das Ganze entschieden. Wir hatten nicht diesen Gareth Bale, der zwei unfassbare Tore erzielt hat.“
von Peter Schöttel
Schöttel analysiert das 1:2 in Cardiff
Eine Analyse wie diese ist am Stammtisch beim Wirten ums Eck zulässig, beim größten Sportverband des Landes aber unzureichend. In Cardiff mangelte es bei Standardsituationen offensiv wie defensiv, dazu erneut an Lösungen im Ballbesitz. Ein Problem, das seit zwei Jahren besteht und auch vom KURIER thematisiert wurde.
Statt klaren Worten gab es Schönfärberei. Schöttel hat es verabsäumt, dem Teamchef einen Experten für Positionsspiel beiseite zu stellen, als dieser 2021 einen neuen Assistenten gesucht hat.
Der Sportdirektor beschreibt es als spezielle Situation, dass Österreichs Team aus zwei Gruppen bestünde:
„Wir haben einerseits die Red-Bull-Thematik mit Spielern, die extrem gegen den Ball arbeiten. Dann haben wir eine Gruppe von Spielern, das ist eher die Wiener Ecke, die auf eine andere Art und Weise ihre Erfolge gefeiert hat.“
von Peter Schöttel
Irrtum! David Alaba gewann unter Hansi Flick 2020 mit einem intensiven Pressing die Champions League. Dragovic kennt den Stil aus Leverkusen, auch die von Schöttel genannten Grillitsch und Baumgartner arbeiten bei Hoffenheim intensiv gegen den Ball. Was Schöttel mit diesem Bild zweier Lager bezwecken will, ist unklar. Einerseits nimmt er Foda in Schutz, der sich dem hohen Pressing-Stil stets verwehrt hat. Andererseits könnte die Aussage darauf hindeuten, dass er auch künftig keinen Verfechter dieser Spielweise als Teamchef sieht.
Selbst Teamspieler Stefan Lainer entgegnet: „Das eine schließt das andere nicht aus. Es geht immer darum, dass du mit den vorhandenen Spielern das Beste herausholst.“
Stefan Lainer widerspricht
Dass es funktionieren kann, zeigen Beispiele. Eines kommt aus den eigenen Reihen: Marcel Koller presste mit Offensivspielern wie Janko, Harnik, Junuzovic und Arnautovic, die mit der Red-Bull-Schule nichts zu tun hatten, von Sieg zu Sieg.
Im Zuge dessen wird ständig der Zeitmangel beim Nationalteam als Ausrede bedient. Schöttel sagt:
„Ich versuche seit Monaten zu vermitteln: Wir haben hier diese Zeit nicht, um Abläufe so exakt hinzubekommen, wie es bei einem Verein möglich ist.“
von Peter Schöttel
Selbst Leipzig-Legionär Konrad Laimer sagte gestern: „Es ist schwieriger, weil weniger Zeit ist, aber es ist nicht unmöglich. Ich würde das nicht als Ausrede gelten lassen.“
Konrad Laimer über den Faktor Zeit
Peter Schöttel bewegte sich in seinen bisherigen viereinhalb Jahren als Sportdirektor mehr im Modus eines Pressesprechers, denn als zweite sportliche Instanz neben dem Teamchef, die durchaus mit etwas Reibung zusätzliche Energie schaffen darf. Was nun auf den Wiener zukommt, ist allerhand.
Umsetzung
Eine sportliche Identität zu schaffen ist eine Sache. Die Umsetzung und Einhaltung dieser bis zur Unter-15 sowie im Frauenfußball zu kontrollieren und einzufordern, eine andere. Ob das überhaupt gelingen kann, wenn Schöttel selbst beim A-Nationalteam verweilt, während die Nachwuchsteams zeitgleich ganz wo anders spielen, oder ob es neben ihm einen Technischen Direktor braucht, der – wenn nötig – auch neue Köpfe installieren darf, wird sich zeigen.
Fakt ist: Nur mit Harmonie wird ein neuer Weg nicht zu bestreiten sein.
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