17 Jahre ist es her, dass Willi Ruttensteiner ein neues, für österreichische Verhältnisse revolutionäres Projekt vorgestellt hat: Mit der „Challenge 08“ sollten die besten jungen Kicker durch (vom ÖFB gefördertes) Individualtraining bei ihren Klubs bis zur Heim-EM 2008 verbessert werden.
Nach der EURO in Österreich legte der ÖFB-Sportdirektor mit dem „Projekt 12“ nach, anfangs verstörte Klub-Funktionäre und Trainer waren mittlerweile zu Unterstützern des Einzeltrainings geworden, noch dazu deckte der ÖFB Kosten zum Teil ab.
Am Ende der Ära Ruttensteiner ist aus dem Projekt Gewohnheit geworden. Der einstige Schlachtruf „Individualtraining“ löst bei Red Bull nicht einmal müdes Lächeln aus, und Vereine wie Sturm oder Rapid stellten mit Günter Neukirchner und Steffen Hofmann eigene Talentemanager an, um künftige Teamspieler selbst bestmöglich betreuen zu können.
Was nun? Diese Frage stellte auch Peter Schöttel, nachdem im Oktober 2017 das Sportdirektorenamt von Ruttensteiner übernommen war. Das „Projekt 12“ wurde evaluiert, Nachwuchs-Teamchef Martin Scherb (derzeit U-17) mit der Neuausrichtung beauftragt und als neuer sportlicher Leiter eingesetzt.
Der Name bleibt
Herausgekommen ist eine uneitle Revolution. Das „Projekt 12“ heißt immer noch so, aber unter dem bekannten Mantel verbirgt sich das größte Nachwuchs-Projekt in der Geschichte des österreichischen Fußballs.
„Es ist viel zusätzliche Arbeit, weil wirklich jeder Schritt der Talente dokumentiert wird, aber es ist sinnvoll. Das ist ein großes, gut durchdachtes Projekt“, sagt Steffen Hofmann, der bei Rapid zur Schnittstelle zwischen der tagtäglichen Talente-Arbeit und der stetig wachsenden ÖFB-Datenbank wurde.
Worum geht es genau? Um 20 „Elitespieler“ aus Österreich, je fünf von der U 16 bis zur U 19. Die Hoffnungsträger werden in Absprache von ÖFB und Akademien ausgesucht – nicht nach Position, sondern nach Stärke und Talent. Das heißt, es könnten sich unter den 20 Elitespielern auch fünf Rechtsverteidiger tummeln.
„Die meisten Spieler stellen Salzburg, Rapid und die Austria. Namen werden von uns nicht offensiv genannt, aber auch nicht verleugnet“, erklärt Projektleiter Martin Scherb. Sprich: Yusuf Demir, der als größtes Rapid-Talent seit Ewigkeiten eingestuft wird, ist eines von fünf Talenten des Jahrgangs 2003, wird aber in keiner ÖFB-Aussendung so tituliert werden.
Zusätzlich gibt’s einen „B-Kader“ mit „Perspektivspielern“. Denn: Jedes halbe Jahr wird bewertet, Talente können wieder rausfallen, neue Hoffnungsträger nachrücken.
Drei Säulen
„Das Projekt 12 neu steht auf drei Säulen“, sagt Scherb. „Alles geht in Richtung Individualisierung - nach dem Motto fördern und fordern.“ Die erste und wichtigste Säule ist das „Talentemanagement“.
Mittlerweile hat jeder der zwölf Bundesligisten einen eigenen, vom ÖFB (teil)finanzierten Talentecoach. Neben den Routiniers Hofmann und Neukirchner gibt es ehemalige Bundesliga-Stars wie Dusan Svento (Salzburg) ebenso wie den erst 27-jährigen Ex-Amateurkicker Jonas Hammerschmidt aus Deutschland bei Altach (siehe Liste oben).
Theoretisch ist es auch möglich, dass die Förderungen zurückgefahren werden, wenn sich ein Verein der Zusammenarbeit verweigert, den Wissenstransfer nicht ausreichend fördert oder die Datenbank nicht befüllt.
Der Talentecoach steht weniger oft mit den Spielern auf dem Platz als früher die ebenfalls vom ÖFB geförderten Individualtrainer, dafür ist die Betreuung aber viel umfassender, etwa mit persönlichen Videoanalysen.
„Die Burschen sehen die Videoanalyse als Mehrwert an, der ihnen weiterhilft, nicht als lästige Aufgabe“, sagt Scherb. Vielleicht, weil die Teenager öfters gehört haben, dass in Deutschland von einem Jahrgang nur 3% der Akademie-Talente dauerhaft bei den Profis landen. „Generell hat sich in den vergangenen 20 Jahren der Zugang der Spieler enorm verändert, Ablehnung oder Desinteresse erleben wir nicht.“ Abseits des Feldes gibt es umfangreiche Tests, etwa werden an der Uni Salzburg Gehirnströme gemessen und ausgewertet.
Individueller Zugang
Betont wird vom ÖFB, „dass nur der Rahmen der Betreuung vorgegeben wird“. Scherb: „Es sind unterschiedliche Zugänge durch die Vereine möglich. Natürlich hat Red Bull andere Möglichkeiten als ein kleiner Verein.“ Generell gilt: Bei jedem der Spieler werden zwei Stärken und eine Schwäche definiert. Dabei geht es um Details, etwa bei einem Offensivspieler ums Anlaufverhalten nach Ballverlust.
Und hier hilft die zweite Projekt-Säule, die von ÖFB-Spielanalyst Christian Heidenreich geleitete „Wissensplattform“. Der ÖFB hat vom deutschen Softwarekonzern SAP (Hauptsponsor von Hoffenheim) Lizenzen für die Wissensplattform „Sports one“ erworben.
Von jedem erfassten Spieler (es geht bei den Zwölfjährigen los) werden in der Online-Plattform alle Trainingstermine, Behandlungen oder Szenen von Ligaspielen wie auch Ländermatches eingegeben und hochgeladen. „SAP wollte in den Fußball, deswegen ist der Betrag für die Jahreslizenz nicht vergleichbar mit den Kosten für SAP-Programme in der Wirtschaft“, erklärt Christian Heidenreich.
„So entsteht extrem viel Wissen über den Spieler, das wir nun zentral erfassen können.“ Die Aufgabe aller am Spieler beteiligten Trainer: alles erfassen mit der Software, möglichst einfach aufbereiten und dem Spieler ermöglichen, dass per App auf dem Handy alles abgerufen werden kann. „Im Bus zum Spiel kann auch der Trainer auf dem Tablet noch Szenen zeigen und mit dem jeweiligen Spieler besprechen.“
Insgesamt über 1.000 Menschen haben Zugang zur Datenbank, es ist aber genau geregelt, wer wo was einsehen darf. Als Beispiel bei Yusuf Demir: Wenn der Rapid-Arzt eine Behandlung einträgt und eine voraussichtliche Trainingspause bis zu einem konkreten Datum, kann das Martin Scherb als Demirs U-17-Teamchef im SAP-Programm einsehen, nicht aber ein Talentecoach von einem anderen Verein.
„Wir wollen so auch verhindern, dass angeschlagene Spieler aufgrund mangelhafter Kommunikation in ein Teamcamp einberufen werden, während der Teamchef bereits einen Ersatz hätte verständigen können“, erklärt Scherb.
„Mit einer Plattform für ganz Österreich und für alle erfassten Talente von den Zwölfjährigen im Landesausbildungszentrum bis zum A-Team sind wir ein internationaler Vorreiter“, betont Heidenreich. Natürlich ist die SAP-Datenbank auch in Deutschland bekannt. „Aber in diesem Fall ist das Land zu groß - es gibt zu viele Ausbildungsstellen, um alle deutschen Talente zusammenfassen zu können“, weiß Christian Heidenreich.
Bei der dritten Säule, „Forschung und Entwicklung“, hat sich der ÖFB bewusst geöffnet. Allen Experten soll ein ständiger Austausch ermöglicht werden. Bereits jetzt gut angenommen wird die Plattform für Trainingsideen: Nachwuchstrainer filmen bestimmte Spielformen, laden sie hoch und stellen sie den Kollegen zum Nachmachen und Diskutieren zur Verfügung.
Nur Mut
Dass Österreich reich an Talenten ist, ist für Martin Scherb unumstritten: „Ich hoffe auf noch mehr Mut durch die Vereine, und da meine ich gar nicht so sehr die Trainer. Weil wirklich genug Talente da sind.“ Scherb erklärt: „Bei Legionären heißt es oft ,Da ist ein halbes Jahr Anpassungszeit nötig‘. Warum soll das bei einem Jungen, der noch dazu viel günstiger ist, nicht auch abgewartet werden? Wenn es - so wie im Herbst - bei Rapid funktioniert, muss es auch bei den anderen Vereinen gehen.“
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