Dilemma mit Krawallmachern im europäischen Fußball

Imageschädiger: Das einstige Highlight der österreichischen Bundesliga ist längst ein Problemspiel.
Nach dem Derby-Eklat: Wie in anderen europäischen Ländern mit gewaltbereiten Problemfans umgegangen wird.

 Fünf Tage, nachdem beim Wiener Derby eine Fotografin mit einer blutenden Wunde am Kopf vom Happel-Stadion in das Krankenhaus geliefert worden war, wurde in Zürich das „Erfolgsmodell Österreichische Bundesliga“ vorgestellt. Der für Sicherheit, Infrastruktur und Fans zuständige Liga-Mitarbeiter Alex Schwärzler hat sich diesen Termin am Freitag nicht ausgedacht, er wurde von den Schweizern eingeladen.

Wie passt das zusammen? Da der Derby-Skandal, der wie die erschreckende Fortsetzung der letzten Ausschreitungen wirkt (nur, dass die Farbe des Verursachers von Grün auf Violett wechselte); dort das „internationale Vorbild Österreich“.

Liga-Vorstand Christian Ebenbauer meint: „Kein Vorfall ist kleinzureden. Wenn man, insbesondere in den vergangenen Wochen und Monaten, einen Blick quer über Europa wirft, ist die Situation in Österreich dennoch vergleichsweise gut.“

Problemfall Derby

Es gibt ein großes Problem: Das Wiener Derby, das kaum noch ohne Randale rundherum auszutragen ist, beiden Vereinen die Imagewerte versaut und auch der Bundesliga Akzeptanz kostet. Aber rundherum: (Fast) alles gut. Das zeigen auch die Zahlen.

Die Anzahl der Anzeigen wegen Körperverletzung und Sachbeschädigung wurde in den letzten fünf Jahren halbiert. 27 Prozent davon sind im Stadion passiert, in Deutschland sind es über 40 Prozent.

Auch die Anzahl der Stadionverbote ist etwa in der Schweiz (etwa 1500) um ein Vielfaches höher, während in Österreich immer rund 100 bundesweite Stadionverbote aufrecht sind. Die Anzahl der Personen in der „Gewalttäterdatei Sport“ ist laut Innenministerium nochmals deutlich niedriger.

Ein Grund dafür: Die Bundesliga und ihre Klubs legen etwa bei Flitzern und politischen Botschaften mittlerweile strengere Maßstäbe als Gerichte an. Ebenbauer sagt: „Wenn auch diese Anzahl der Vorfälle im internationalen Vergleich sehr niedrig ist, so ist weiterhin das Ziel, die Anzahl in enger Zusammenarbeit mit Behörden, Klubs und den Fans noch weiter zu reduzieren.“

Wie wird in anderen europäischen Ländern mit der Fan-Problematik umgegangen? Was funktioniert gut, was weniger? Der KURIER bietet einen Auszug über den Status Quo in Ländern wie England, Deutschland, Polen oder Griechenland.

England

Das Mutterland des Fußballs war auch das Mutterland des Hooliganismus. Ausschreitungen rund um Fußballspiele haben in England lange Tradition. So halbwegs in den Griff bekam man das Problem erst in den 1990ern, als viele Empfehlungen aus dem sogenannten „Taylor Report“ verpflichtend eingeführt wurden.

Seitdem wurde jedes Stadion in der Premier League entweder neu gebaut oder zumindest so modernisiert, dass es den höchsten Sicherheitsstandards entspricht. Die Ausbildung der Ordner wurde professionalisiert, die Eintrittspreise deutlich erhöht, Stehplätze abgeschafft, Feuerwerkskörper in den Stadion verboten und restriktiv Stadionverbote ausgesprochen. Dass sich die ausgesperrten Fans bei Spielen ihrer Klubs auf Polizeistationen melden müssen, hat sich durchaus bewährt.

Und trotzdem: Ganz bekam aber auch England das Problem nicht in den Griff. Zwischenfälle gibt es regelmäßig, besonders in den unteren Ligen. Dazu ist die Stimmung anders als vor 30, 40 Jahren, weil das Publikum ein ganz anderes ist als damals. Die gehobene Mittelschicht hat die Arbeiter großteils aus den Premier-League-Stadien verdrängt.

Deutschland

Auseinandersetzungen gab es erst am Mittwoch beim Cup-Semifinale in Gelsenkirchen zwischen den Anhängern von Schalke 04 und Eintracht Frankfurt. In der Datei „Gewalttäter Sport“ sind aktuell die Daten von 10.000 Personen gespeichert, ohne dass der Grund für die Erfassung genannt ist, Stadionverbote soll es rund 3500 geben.

Fan-Anwalt Rene Lau sieht die Fußball-Fans als ein Probierfeld der Politik. „Kein Mensch würde heute auf die Idee kommen, ein allgemeines Discoverbot für ganz Deutschland auszusprechen oder ernsthaft Leute mit einer Fußfessel zu versehen oder einen Gesichtsscanner am Eingang einer Disco anzubringen, weil es vielleicht in dieser immer mal wieder Schlägereien gab.“ Das werde nur bei Fußballfans probiert, das könne man medial sehr gut aufbauen und im Wahlkampf darstellen.

Polizei-Gewerkschafter fordern Stadionverbote für Fußball-Straftäter. Kollektivstrafen wie Geisterspiele oder das Sperren von Zuschauerblöcken lehnen die Gewerkschafter aber ab, da sich ansonsten „von der Sperre betroffene Fußballfans mit den gewaltbereiten Störern solidarisieren“ könnten.

Der deutsche Fußball-Bund und die Bundesliga sitzen mittlerweile mit den große Ultra-Gruppierungen an einem Tisch. Im Dialog sollen die Probleme ausgeräumt werden. Erste Kompromisse bei den Problemfeldern Fan-Utensilien und Stadionverbotsrichtlinien hat es bereits gegeben.

Polen

Ein Stadionbesuch im EM-Co-Gastgeberland von 2012 gestaltet sich durchaus problematisch. 2009 verabschiedete das Parlament ein Gesetz zur Sicherheit bei Massenveranstaltungen, das die Klubs der drei höchsten Spielklassen verpflichtet, die Identität der Stadiongeher festzustellen.

Zuerst wurde das mit einem aus rechtlicher Perspektive nicht verbindlichen Fanausweis, der karta kibica, getan. Fans mussten für die Ausstellung ihre persönlichen Daten bei den Vereinen angeben, mancherorts wurden auch Fotos von ihnen geschossen. Gelegenheitsbesucher und Auswärtsfans schreckte diese Maßnahme ab, weswegen immer mehr Klubs diese ab dem Jahr 2015 nicht mehr verwendeten.

Die Wege in ein Stadion, sind aber immer noch umständlich. Ohne Dokumente und der in Zeiten der Volksrepublik eingeführten Personenidentifikationsnummer PESEL, mit der jeder Staatsbürger nach der Geburt automatisch registriert wird, ist kein Ticketkauf am Schalter oder im Internet möglich.

Aktuell haben sich 41 organisierte Fangruppen zusammengeschlossen, um gegen geplante Strafverschärfungen bei Fehlverhalten zu protestieren. Sollten Kollektivstrafen, die Verweigerung des Zutritts kurz vor Spielbeginn oder aufgrund des Wohnorts, und Smartphones zu gefährlichen Gegenständen erklärt werden, drohen sie mit Boykott.

Griechenland

Im März wurde der Spielbetrieb in der Super League von der Regierung wieder einmal unterbrochen. Das Fass zum Überlaufen brachte dieses Mal Iwan Savvidis, Präsident von PAOK Saloniki, der nach einer umstrittenen Schiedsrichter-Entscheidung – zumindest seiner Meinung nach – beim Spiel gegen AEK Athen mit Waffe am Gürtel das Spielfeld stürmte.

Spielmanipulation, Korruption, Hooliganismus, Gewalt vor und in den Stadien sowie Attentate auf Funktionäre sorgen regelmäßig für Chaos. Spielabbrüche und Geisterspiele sind an der Tagesordnung. Die Liga leidet unter einem Zuschauerrückgang und der Rivalität der schwerreichen Besitzer der Topklubs Olympiakos Piräus, Panathinaikos Athen, AEK Athen und PAOK Saloniki, die die Lösung des Problems bisher verhinderten.

Nach dem Skandal von Saloniki drohte die FIFA mit dem Ausschluss, also einem „Fußball-Grexit“. Nach einer gut dreiwöchigen Pause wurde wieder Fußball gespielt, nachdem sich Savvidis für sein Verhalten entschuldigt hatte. Das ist also die Problemlösung auf griechische Art.

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