Aufstand der Fußballerinnen vor der WM: "Es ist Zeit zu handeln"
Kapitänin Wendie Renard hat ein Beben im französischen Verband ausgelöst. In Spanien, Kanada und anderorts fordern Spielerinnen professionellere Bedingungen in den Nationalteams.
Zuschauerzahlen um die 90.000 bei Spitzenspielen der Frauen, steigende mediale Aufmerksamkeit und damit steigender Bekanntheitsgrad der Protagonistinnen. Der Frauenfußball erlebte in den vergangenen Monaten einen gehörigen Schub, Aufbruchsstimmung liegt in der Luft.
Zwar liegen die besten Fußballerinnen der Welt mit ihren Gehältern immer noch Galaxien unter jenen ihrer männlichen Konterparts, doch das Training und der Alltag bei den Spitzenvereinen etwa in Spanien, Frankreich oder England gestaltet sich längst ebenso professionell wie jener der Männer.
Doch genau das bringt jetzt nationale Fußballverbände in Europa und Nordamerika gehörig unter Druck. Das Niveau steigt, aber die Strukturen wachsen nicht mit. Die Starspielerinnen erhoffen sich ebenso professionelle Arbeit in ihren Nationalteams. „Wir haben nicht dieselben Bedingungen“, beklagt etwa die spanische Weltfußballerin Alexia Putellas die Ungleichheit zu den Männerteams. Teils sind Frauen keine Vollzeitprofis oder verdienen zumindest nicht so viel, dass sie für die Zeit nach der Karriere ausgesorgt hätten. Sie müssen sich also neben dem Fußballspielen um eine andere Tätigkeit oder Ausbildung bemühen.
Hinzu komme mangelnde Koordination in einem teils chaotischen Wettbewerbskalender bei den Frauen, beklagt unter anderem die Spielergewerkschaft FIFPRO. Neben den Ligen sind diverse Cups zu spielen, Europa- und Weltmeisterschaften sowie Olympische Spiele, die im Frauenfußball eine größere Bedeutung haben als bei den Männern kommen für viele dazu.
All diese Punkte und die damit verbundene physische und psychische Belastung hat in mehreren Ländern zu größeren oder kleineren Aufständen der Fußballerinnen geführt. Eine Auswahl:
Frankreich
Knapp fünf Monate vor der Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland (20. Juli bis 20. August) brachten drei Rücktritte das französische Nationalteam in heftige Turbulenzen. Kapitänin und Ikone Wendie Renard und Teamchefin Corinne Diacre waren öffentlich über die neue taktische Ausrichtung aneinander geratem. Doch Renard begründete ihren Rückzug aus der Équipe zudem damit, dass die Strukturen „weit von den Anforderungen auf höchstem Niveau entfernt“ seien, ein Vorwurf, der laut Le Parisien schon lange im Raum steht.
Wenig später erklärten auch Marie-Antoinette Katoto und Kadidiatou Diani ihren Rücktritt – ebenfalls zwei Stützen des Teams. Ähnlich äußerten sich Katoto und Diani. Vor allem Renard bezog sich offenbar auf ungenügende Arbeitsbedingungen im Fußball der Frauen – ähnlich wie die Norwegerin Ada Hegerberg (Weltfußballerin 2018) bei ihrem vorübergehenden Boykott des Nationalteams. Inzwischen musste die französische Teamchefin Diacre ihren Posten räumen.
Spanien
Bis auf das vorläufige Ende des Streits erinnert das, was gerade in Frankreich passiert, an die Erklärung von 15 spanischen Nationalspielerinnen im September, die sich wegen ihres „emotionalen und damit gesundheitlichen Zustands derzeit außerstande“ sehen, an Länderspielen teilzunehmen. Der Trainer ist – im Gegensatz zur Französin Diacre – weiterhin im Amt. Das Team wurde inzwischen mit Nachwuchsspielerinnen aufgestockt. Im eigentlichen Streit herrscht Stillstand.
Brisanz kommt mit der Personalie Alexia Putellas (Weltfußballerin 2021 und 2022) hinzu, die seit Mai verletzt ist (Kreuzbandriss), bis zur WM aber fit sein dürfte. Wie ihre 15 Teamkolleginnen liegt sie im Clinch mit dem Verband – gilt aber als jene Person im spanischen Fußball (unabhängig des Geschlechts), die derzeit am besten vermarktbar ist. Putellas könnte bis zur WM also noch gehörigen Druck auf den erzeugen.
Kanada
Auch in Nordamerika war zuletzt mit Streik gedroht worden. Die Männer haben sich großteils solidarisch gezeigt. Die Olympiasiegerinnen sind zu den letzten Länderspielen nur unter Protest angetreten, mit der Botschaft: „Enough is Enough“. Die Konsequenz: Präsident Nick Bontis trat zurück, eine vorübergehende Fördervereinbarung konnte geschlossen werden, die – ähnlich wie bei den Männern – etwa eine ergebnisabhängige Vergütung und finanzielle Anreize pro Spiel beinhaltet.
Schon länger vergangen ist das Gerangel im australischen Verband. Nach jahrelangem Streit beschloss der nationale Fußballverband FFA 2019, dass die Nationalteams der Frauen („Matildas“) und Männer („Socceroos“) künftig gleich bezahlt werden.
Dänemark
Nach heftigem Streit im dänischen Verband DBU hatten sich auch Spielerinnen und Verband in Dänemark auf einen neuen Tarifvertrag geeinigt. Zwar enthalten sie Investitionen zur Stärkung der Frauen-Teams, von gleicher Bezahlung ist aber noch keine Rede. Starspielerin Pernille Harder sagte damals, „selbstverständlich“ verdienten Frauen dasselbe wie die männlichen Fußballer. „Wir verbringen gleich viel Zeit damit, bringen dieselben Opfer, machen dieselbe Arbeit.“
Große Vorreiterinnen im Erkämpfen ähnlicher Rechte waren die Weltmeisterinnen. Sie haben sich seit 2014 für „equal pay“ eingesetzt, hier stärkten am Ende die Männer den Frauen den Rücken. Im Vorjahr wurde die historische Vereinbarung getroffen, nach der Männer und Frauen auf allen Ebenen gleich behandelt werden.
Neben der Norwegerin Hegerberg stellten sich zuletzt auch etwa Rapinoe und US-Kollegin Alex Morgan hinter die Französin Renard: „Wie lange müssen wir noch so weitermachen, damit wir respektiert werden?“, schrieb Hegerberg. „Ich bin bei dir, Wendie, und bei allen anderen, die die gleichen Prozesse durchmachen. Es ist Zeit zu handeln.“
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