Doch soweit kam es im Khalifa-Stadion erst gar nicht. Die – sportliche – Strafandrohung des Weltverbandes, wonach der Bindenträger umgehend mit einer Gelben Karte sanktioniert worden wäre, zwang die Nationen zum Umdenken. „Dass die FIFA uns auf dem Platz bestrafen will, ist einmalig und geht gegen den Geist des Sports, der Millionen verbindet“, hieß es vom niederländischen Verband, „wir stehen zur Botschaft und werden diese weiter verbreiten, aber unsere oberste Priorität ist es, Spiele zu gewinnen. Da möchte man nicht, dass der Kapitän das Spiel mit Gelb beginnt.“
Wer nun meinte, damit wäre die Sache erledigt, der irrte. An Botschaften, groß und klein, mangelte es nicht in dieser lediglich sportlich einseitigen Vorrundenpartie (siehe unten). Statt der geplanten Regenbogen-Farben zierte die Schleife des englischen Kapitäns Harry Kane der Schriftzug „keine Diskriminierung“.
Der Stürmer war es auch, der seine Mitspieler kurz vor Anpfiff sogar in die Knie „zwang“. Die weitverbreitete Geste im Weltsport steht für die Ablehnung von Rassismus sowie die Unterdrückung von Minderheiten.
Gute Miene zum bösen Vorspiel machte David Beckham, der zwar im Stadion, aber dennoch zwischen den Stühlen saß. Der ehemalige englische Teamspieler ist ein mit vielen Katar-Millionen bedachter offizieller Botschafter des Gastgeberlandes.
Und weil das alles nicht schon genug gewesen wäre an gesellschaftspolitischer Zeichensetzung für ein bisschen Fußball, gab es auch noch eine zweite Mannschaft. Der Iran ist neben Gastgeber Katar der wohl kontroverseste Teilnehmer dieser Endrunde. Bei den Protesten in der Heimat gegen den brutalen Machtanspruch des Regimes spielen der Sport und seine Athleten eine zentrale Rolle. Das Fußball-Nationalteam gilt als Stolz des Landes – und zwar des gesamten Landes. Im Vorfeld der WM versuchte jede Seite Einfluss und Druck auf die Auswahl auszuüben.
Das führte dazu, dass die Teamspieler bei der Hymne schwiegen. Was die Machthaber im Iran davon hielten, zeigte sich prompt. Die staatlichen Fernsehsender stiegen aus der Übertragung aus – und erst wieder ein, als der Ball zu rollen begann.
Zur selben Zeit reckten die iranischen Fans vor Ort ihre Mittelfinger in die Höhe und wüteten – auch gegen jene eigenen Spieler, die sich nicht klar genug gegen die Mullahs positioniert hatten. Das 2:6-Debakel ihres Teams im Anschluss nahmen sie vergleichsweise gelassen hin.
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