Ruttensteiner: "Mit Spaß und Freude die Kurve kratzen"

In Frankreich ist der Sportdirektor in „beobachtender Rolle“ stets dabei. Zwischendurch gaberlt er auch selbst.
Willi Ruttensteiner glaubt, dass Österreichs Mannschaft gegen Ungarn übermotiviert und dadurch gehemmt war – und dass Kollers Team gegen Portugal sein wahres Gesicht zeigen wird.

KURIER: Sie hatten als Sportdirektor auch hohe Erwartungen vor dem Auftakt. Wie enttäuscht waren Sie persönlich nach dem 0:2 gegen Ungarn?

Willi Ruttensteiner: An den hohen Erwartungen hat sich danach nichts geändert. Die Enttäuschung war da, weil ich wirklich der Überzeugung war, dass wir die Leistung auf den Punkt genau bringen werden, und das war einfach zu wenig. Das muss man kritisch eingestehen. Und aufgrund des Spielverlaufes und unseres Auftritts war die Niederlage auch verdient.

Wie erklären Sie sich die Niederlage?

Ich habe das oft bei verschiedenen Nationalmannschaften beobachtet. Es ist etwas anderes, auf dieser Bühne bei einer EM am Punkt da zu sein. Wir haben reife Spieler, aber vom Potenzial haben wir etwas in der Kabine gelassen, was ich darauf zurückführe, dass sie zu viel wollten.

Sind Sie der Meinung, dass sich die Mannschaft genügend Torchancen herausgespielt hat?

Ich hätte mir mehr gewünscht, aber sie hätten genügt, um das Spiel zu entscheiden. Auf diesem Niveau ist das Nützen jeder Torchance ebenso notwendig wie Fehlerlosigkeit in der Defensive, um im Turnier zu bleiben. Ich denke, wenn Alaba den Schuss nicht an die Stange gesetzt, sondern versenkt hätte, dass sich das Spiel völlig anders entwickelt hätte. Das ist aber eine Hypothese.

Kann man das überhaupt als Torchance werten?

Es war eine Einzelaktion von hoher Qualität.

Was hätte die Mannschaft tun können, um sich dem Mann-orientierten Verhalten der Ungarn besser zu entziehen und infolge auch besser kombinieren zu können?

Meiner Meinung nach haben wir viel zu schnell nach vorne gespielt und hätten unser Kombinations- und Positionsspiel gerade gegen diese Mannschaft forcieren müssen. Ich hätte es gerne gesehen, dass wir in der Hälfte der Ungarn den Ball laufen lassen. Vielleicht oft auch ohne Endzweck zum Tor, um die ungarische Mannschaft in Bewegung zu bringen und damit Räume zu öffnen. Da hätten wir mehr Ruhe gebraucht, um Torchancen besser vorzubereiten. Mir ist vorgekommen, dass wir es unheimlich schnell erzwingen wollten. Und das ist nicht gegangen. Wir haben dann überhastet Abspielfehler gemacht, die nicht notwendig waren. Das führe ich eben darauf zurück, dass wir ein wenig übermotiviert ins Spiel gegangen sind.

Das Ballbesitzspiel, das die Österreicher in der Qualifikation mitunter ausgezeichnet hat, funktioniert aber schon seit einigen Spielen nicht mehr gut. Woran liegt das?

Es ist fast nicht möglich, ein Spiel so über 90 Minuten zu dominieren. In der Qualifikation haben wir einen Großteil dominiert und das war sehr gut. Aber je höher das Niveau wird, je enger es wird, desto schwieriger wird es umzusetzen. Alle Spiele bei der EM sind sehr eng. Für uns geht es jetzt darum, alle Spieler auf Topniveau zu bringen, denn wenn das einige nicht sind, wird’s schwierig.

Was konnte man in diesen drei Tagen zwischen den beiden Spielen überhaupt bewegen? Was ist das Wichtigste?

Als der Teamchef nach dem Spiel beim Interview war, habe ich den Spielern in der Kabine gesagt: „Burschen, die Partie ist vorbei. Aber die jetzige Situation ist schon entscheidend für das nächste Spiel.“ Ich habe angesprochen, dass sie toll regenerieren, alle Möglichkeiten nützen sollen. Der Koch ist sofort gekommen mit kohlenhydratreicher Kost. Und dann geht es am nächsten Tag um die Aufarbeitung, das geht einfach nur über Gespräche und Analysen. Die sind sehr gut gemacht worden. Am Donnerstag wurde den Spielern Portugal präsentiert und der Matchplan erstellt. Und dann geht es noch darum, in einer besseren mentalen Verfassung aufzutreten, um wirklich unser Potenzial abzurufen. Ob das gegen Portugal reicht, werden wir sehen, aber mir ist wichtig, dass das Potenzial auf den Platz gebracht wird. Die Ungarn konnten wir nicht mit unserem Potenzial bekämpfen, das war schade.

Das beinhaltet auch, dass die Spieler ihre Normalform abrufen können. Einige sind aus verschiedenen Gründen aber davon entfernt. Wie kann man das steuern?

Diese Situation ist immer gleich bei einem Nationalteam. Die Spieler kommen mit irgendeiner sozialen oder sportlichen Situation, die sich irgendwo in England oder Deutschland abspielt und die du nicht beeinflussen kannst. Dann geht es darum, eine Atmosphäre zu schaffen, in der sich der Spieler wohlfühlt. Dieser Prozess ist optimal gelaufen. Im Trainingslager in der Schweiz ebenso wie hier in Frankreich. Das war nicht entscheidend, weil Spieler auch hier in Form gekommen sind, das habe ich gesehen. Für mich waren sie nicht authentisch genug, um ihr Potenzial abzurufen. Ich glaube nicht, dass ein Spieler nervös gewesen ist. Eher übermotiviert, dass sie es jetzt unbedingt beweisen wollten. Und mit diesem selbst auferlegten Druck geht ab und zu gar nichts.

Glauben Sie, dass diese mentale Situation mit der Niederlage mit einem Schlag weg ist?

Ich kann es nicht garantieren, aber ich glaube daran, dass sie in dieses zweite Spiel authentischer, lockerer hineingehen und mit Spaß und Freude spielen. Das wäre ein Schlüssel zum Erfolg.

In der Qualifikation für 2016 hat wie schon bei jener für 1990 und 1998 alles zusammengepasst. Dann ist man zwei Mal nach der Vorrunde heimgefahren. Wie kann man es jetzt schaffen, dass es auf der noch höheren Plattform auch funktioniert?

Man darf eben nicht vergessen, wo wir jetzt sind. Und zwar bei einer Endrunde auf sehr hohem Niveau. Jeder bereitet sich hoch professionell vor, Kompliment an die Ungarn, wie kompakt und taktisch ausgeklügelt sie waren. Man darf diese Leistung der Ungarn nicht minimieren. Wir sehen hier, wie weit unser Potenzial reicht, oder wo wir noch ansetzen können, um es zu optimieren. Dieser Prozess, der im ersten Spiel sehr schmerzhaft war, ist in Summe ein positiver. Ich wünsche mir, dass die Mannschaft die Kurve kratzt und weiterkommt. Denn dann war diese Niederlage sehr viel wert für uns.

Haben Sie Bedenken, dass es am Samstagabend vorbei sein könnte?

Nein, daran denke ich nicht. Weil ich gelernt habe, im Prozess und immer an den nächsten Schritt zu denken und in keiner Weise zu analysieren, was passiert, wenn es nicht funktioniert.

Gibt es einen Seitenblick auf die Partie zuvor zwischen Island und Ungarn?

Nein zu sagen, wäre jetzt nicht ehrlich. Ich denke aber, dass es mit unserer Ausrichtung auf das Spiel nichts zu tun hat.

Wie geht es mit Ihnen persönlich weiter? Präsident Windtner hat angedeutet, eine Vertragsverlängerung wäre klar.

Wir haben in den wichtigen Punkten Übereinstimmung erzielt. Aber Vertrag ist noch keiner unterschrieben.

Ist das nur eine Frage der Zeit oder gibt es noch etwas zu klären?

Ich warte, dass er mir die Korrektur des Vertrages vorlegt. Und wenn das so ist, wie wir es besprochen haben, ist es Formsache.

Korrektur heißt was genau?

Da geht es in erster Linie um arbeitsrechtliche Details.

Sie haben erwähnt, in Ihrer Entscheidungsgewalt direkt dem Präsidenten unterstellt sein zu wollen. Hakt es noch daran?

Ich möchte im Sportbereich autonom sein. Wenn du eine Verantwortung für einen Bereich übernimmst, willst du in diesem Bereich innerhalb des Budgetrahmens entscheiden können. Dass ich als Sportdirektor das Budget nicht alleine erstellen kann, ist klar. Auch, das gewisse Dinge im Präsidium beschlossen werden. Aber ich möchte es nicht, dass Geschäftsführer mir im sportlichen Bereich Vorschreibungen machen. Ich kann es ja nicht verantworten, wenn ich gar nicht machen darf, was ich für richtig halte. Das ist eine Bedingung gewesen und das ist mir zugesagt worden. Deshalb bin ich sehr zufrieden. Ich freue mich auf die Zusammenarbeit mit meinem Führungskollegen.

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