Fragen und Antworten zur Krawallnacht in Marseille

Zahlreiche Verletzte, mehrere Verhaftungen. Wie konnte es zu den Ausschreitungen kommen? Und welche Konsequenzen drohen?

Der Fußball hat wieder einmal seine hässliche Fratze gezeigt: Hooligans aus halb Europa verwandelten das Zentrum von Marseille in den vergangenen Tagen in ein Schlachtfeld. 35 Personen wurden verletzt, ein britischer Fan schwebt in Lebensgefahr.

Beim Spiel England gegen Russland kam es im Stade Vélodrome zu weiteren Randalen: Russen stürmten auf in benachbarten Blöcken sitzende englische Fans los und attackierten diese. Auch Feuerwerkskörper und Böller wurden abgefeuert.

Was war alles los im Süden Frankreichs? Wie konnte es zu den Ausschreitungen kommen? Und welche Konsequenzen drohen?

Wie viele Personen sind in Haft?

Am Sonntag waren laut der Nachrichten-Agentur AFP noch zehn Personen in Polizei-Gewahrsam, darunter auch ein Deutscher und ein Österreicher. Die anderen vorläufig Festgenommenen sollen aus Frankreich, England und Russland stammen. Alle werden sich voraussichtlich heute vor einem Schnellgericht verantworten müssen.

War mit Ausschreitungen zu rechnen?

Leider ja. Wenn englische Anhänger ihr Nationalteam zu Turnieren begleiten, kommt es immer wieder zu Tumulten. Die Konflikte mit russischen Hooligans waren vorprogrammiert: In Russland hat sich in den letzten Jahren eine extreme und stark nationalistische Hooliganszene etabliert, die teilweise paramilitärisch organisiert ist.

Ist die Polizei vor dem Stadion zu hart vorgegangen?

Man konnte den Eindruck gewinnen. "Das war eine der schlimmsten Erfahrungen je bei einem Auswärtsspiel! Ohne Grund mit Tränengas beschossen, eingesperrt und behandelt wie Tiere", twitterte Rebekah Vardy, die Ehefrau von Englands Teamspieler Jamie.

Wurde die Hooligan-Problematik unterschätzt?

Im Vorfeld dieses Turniers wurde immer nur auf die drohende Gefahr von Terrorattacken hingewiesen, das Hooligan-Problem war kein Thema. Bei den letzten Turnieren gab es kaum Ausschreitungen, das lag wohl an den fernen Destinationen (WM in Südafrika und Brasilien).

Haben die Behörden im Vorfeld zu wenig getan?

Schwer zu sagen. Immerhin hat die britische Regierung 3000 Hooligans für die Zeit der EM die Pässe abgenommen. Die deutschen Behörden hinderten erst gestern mehrere amtsbekannte Rabauken an der Ausreise.

Können die Täter ausgeforscht werden?

Normalerweise ist dies der Fall. Dank der Videoüberwachung kann man die Aktivitäten jedes einzelnen Stadionbesuchers kontrollieren. Obendrein sind die Eintrittskarten personalisiert.

Wie werden die Karten kontrolliert?

Bei den Einlasskontrollen versagten die Franzosen: Diese fokussieren sich komplett auf die Terror-Gefahr. Pässe müssen die Fans nur im Ausnahmefall zeigen. Eine Zuordnung der Tickets gab es in der Praxis nicht. Der Schwarzmarkt blühte. Noch vor dem Stadion wurden Tickets zu moderaten Preisen angeboten.

Wie konnten sich die Fans so nahekommen?

Selbst auf der offiziellen UEFA-Homepage sind kurzfristig noch Tickets zu kaufen – und das sogar für den Block des Gegners. Wer wirklich wo saß, ist damit kaum noch zu klären. Viele Russen-Hooligans reisten zudem ohne Tickets an und kauften sich dann in großen Mengen gezielt Karten in der Nähe der englischen Fans. Die Attacke auf den englischen Block war also geplant.

Wo war die Polizei bei den Krawallen im Stadion?

Man sah nur überforderte Ordner. Die Polizei erwartete die Fans erst vor dem Stadion. "Als wir die Tribünen hinter dem Stadion runter sind, stand alles voll mit Polizei, sehr viel Polizei", erzählte ein englischer Fan. Vor dem Stadion sei alles friedlich gewesen, beide Fanlager wurden getrennt voneinander in die Stadt geführt, wo sie sich in der Nacht weiter prügelten.

Wie reagiert die UEFA?

Das Exekutivkomitee der UEFA hat die Fußballverbände Russlands und Englands nach den Ausschreitungen von Marseille offiziell verwarnt. Im Wiederholungsfall droht ein Turnierausschluss. Die Disziplinarkommission unter dem Kärntner Vorsitzenden Thomas Partl ermittelt gegen Russland auch wegen rassistischen Verhaltens und des Zündens von Feuerwerkskörpern im Stadion.

Warum waren die Szenen nicht im TV zu sehen?

"Wir wollen nicht, dass Szenen von Gewalt im Fernsehen zu sehen sind", teilte die UEFA mit. Man fürchtet Trittbrettfahrer, weshalb auch keine Flitzer gezeigt werden.

War Marseille der einzige Brennpunkt?

Nein. Nach Angaben eines nordirischen Polizeibeamten, der nordirische Fans begleitete, begannen in Nizza am Samstagabend 20 bis 30 lokale Jugendliche, die Fans mit Flaschen zu bewerfen.

Was wird die Fans in zwei Jahren bei der WM in Russland erwarten?

Aussagen russischer Politiker sprechen für sich. "Man muss solche Spiele gut organisieren und die Fans im Stadion trennen", sagte Sportminister Mutko. "Heute bringt man Feuerwerkskörper ins Stadion, morgen vielleicht eine Bombe", klagte Wjatscheslaw Koloskow, der Ehrenvorsitzende des Verbandes.

Bei welchen Partien drohen weitere Ausschreitungen?

Fünf Gruppenspiele wurden als Hochrisikopartien eingestuft, darunter war auch England gegen Russland. Weiters: TürkeiKroatien (dort blieb es aber ruhig), Deutschland – Polen, England – Wales und Ukraine – Polen.

WM 1998

Nach der Partie Deutschland gegen Jugoslawien wird der französische Gendarm Daniel Nivel von einem halben Dutzend deutscher Schläger angegriffen und brutal zusammengeschlagen. Er liegt sechs Wochen im Koma.

EM 2000

Vor dem Gruppenspiel England gegen Deutschland prügeln im belgischen Charleroi Fans aufeinander ein, es fliegen Plastiksessel und Bierbecher – die Polizei setzt Wasserwerfer ein. In der Nacht vor dem Spiel wird ein britischer Fan niedergestochen und schwer verletzt.

EM 2004

Im Ferienort Albufeira in Portugal liefern sich englische Fans Straßenschlachten mit der Polizei. Wegen der Randale droht den Engländern zwischenzeitlich sogar der Ausschluss aus dem Turnier.

WM 2006

In Frankfurt lieferten sich deutsche und englische Hooligans Schlägereien, in Köln englische und schwedische Fans. Rund um das Spiel zwischen Deutschland und Polen wurden in Dortmund 429 Personen in Gewahrsam genommen.

EM 2012

Rund um das Spiel zwischen Polen und Russland kommt es in der Warschauer Innenstadt zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Hooligans aus beiden Ländern. Bei den Straßenschlachten werden Polizisten attackiert. Es gibt Verletzte und fast 200 Festnahmen – vor allem polnischer Schläger, die auch mit rechtsradikalen Parolen für Aufsehen sorgen.

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