Unruhestifter bei Weltmeister Deutschland

Obwohl Deutschland die Tabelle anführt, sieht sich Bundestrainer Löw mit bekannter Kritik konfrontiert.

Wenn man es jetzt nicht wirklich genauer wüsste und die Tabelle der Gruppe C nicht total etwas anderes sagen würde – man könnte dieser Tage fast den Eindruck bekommen, Deutschland stünde bei der EM-Endrunde unmittelbar vor dem Aus.

Eine Nullnummer gegen Polen hat gereicht, um in der Öffentlichkeit schon wieder laute Kritik und altbekannte Diskussionen aufkommen zu lassen. Viel zu wenige Leaderfiguren habe dieses deutsche Team, zu viele Schöngeister würden sich da in der Offensive tummeln, außerdem fehle es an der nötigen Durchschlagskraft und Torgefahr, kurz: Diese deutsche Nationalmannschaft trete bei der EM alles andere als weltmeisterlich auf.

Scharfschützen

Darüber beschweren sich jedenfalls seit Tagen ehemalige Teamspieler, abgedankte Teamchefs und andere Honorarkritiker. Nicht von ungefähr schreibt die Welt, dass "Joachim Löw von notorischen Scharfschützen umzingelt" sei. Gemeint sind bekannte Kritiker wie Franz Beckenbauer, Mario Basler oder Michael Ballack, der nach dem Polen-Match gemeint hatte: "Dieser Mannschaft fehlen ein bisschen Charakter und Persönlichkeit."

Früher einmal hätte sich Joachim Löw über solche Störfeuer mächtig aufgeregt und zum verbalen Konter ausgeholt. Aber nach zehn Jahren im Amt des Bundestrainers kennt er die Mechanismen und Manöver nur zu gut und hat gelernt, die Diskussionen als notwendiges Übel anzusehen. "Alle zwei Jahre grüßt das Murmeltier", weiß auch Oliver Bierhoff, der Manager des DFB.

Tatsächlich sind die Diskussionen ja nicht neu. Löw hatte sich diese Debatten anhören müssen, als 2010 Michael Ballack für die WM verletzt ausgefallen war, zwei Jahre später bei der EM in Polen und in der Ukraine ging die Debatte nach dem Semifinal-Aus gegen Italien aufs Neue los. Und selbst auf dem Weg zum WM-Titel in Brasilien hatten sich vor zwei Jahren die üblichen Zweifler lautstark zu Wort gemeldet.

Schwarz-Weiß-Denken

Das Gerede über fehlende Führungsspieler zaubere ihm "irgendwie ein Lächeln ins Gesicht", hatte Löw nach dem Polen-Match und vor dem letzten Gruppenspiel am Dienstag gegen Nordirland nur gemeint. "Das hatten wir auch 2014 – dann sind wir Weltmeister geworden."

Mit den Spielern, die auch heute noch im deutschen Nationalteam am Ball sind. "Dann waren alle diese Leute – Basti, Hummels, Müller, Neuer – die großartigen Leader. Jetzt spielen wir einmal 0:0 bei einem Turnier, und die Diskussion kommt wieder."

Auch an der Mannschaft scheint die Kritik abzuprallen. "Richtig begeisternd waren wir in der Vorrunde ja selten", gibt etwa Thomas Müller zu bedenken. Und für Mario Götze, den Siegtorschützen im WM-Finale 2014, ist das Schwarz-Weiß-Denken ohnehin eine zweifelhafte deutsche Tugend: "Einmal bist du der Baum, einmal der Hund."

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