Anna Veith ist mit Geschwindigkeit vertraut. Wer mit 130 km/h die steilsten Skipisten meistert, der hat auch einen PS-starken Boliden im Griff. 3,2 Sekunden benötigt der knallgelbe Audi R8 Spyder V10 Plus nur, um von 0 auf 100 zu beschleunigen.
Als die 30-Jährige bei der Ausfahrt mit dem KURIER auf einer Passstraße einmal kurz aufs Gas drückt, beginnt sie zu strahlen. Sonst ist bei Anna Veith gerade Gelassenheit Trumpf – vor allem was ihr Comeback nach dem Kreuzbandriss angeht, den sie sich im Jänner zugezogen hatte. „Ich nehme mir die Zeit, die mein Körper braucht.“
KURIER: Wie geht’s Ihnen denn, wenn Sie die Narben an Ihren beiden Knien sehen?
Anna Veith: Die Narben sind noch relativ frisch und daher auch noch ziemlich rot und gut sichtbar. Aber über die Jahre wird das heller. Natürlich hätte ich es mir anders gewünscht und gerne darauf verzichtet. Diese Verletzungen sind mir nun einmal passiert, ich habe das zu akzeptieren. Wobei ich sagen muss: Die Narben sind das Wenigste.
Was bereitet Ihnen Probleme?
Dass sich mein Kniegelenk durch die Verletzungen verändert hat. Dass der Körper erst lernen musste und noch immer muss, wie er damit umzugehen hat. Dass ich entdecken muss, was jetzt alles noch geht – und was eben nicht mehr. Bei mir hat sich in den letzten Jahren doch einiges angesammelt.
Heißt das, dass Sie das Skifahren in gewisser Weise neu lernen müssen?
Komplett neu lernen würde ich nicht sagen, aber was sich durch die Verletzungen definitiv verändert hat, das sind meine Limits. Wenn ich ohne Verletzung in eine Saison gehe, dann weiß ich genau, wie weit ich meinen Körper belasten kann und wo meine Grenzen liegen.
Und wie ist es jetzt?
Jetzt muss ich mich erst wieder langsam herantasten und schauen, was der Körper erlaubt. Ich muss jeden Tag herausfinden, wie weit ich gehen kann. Es geht darum, dass ich das Vertrauen wieder bekomme. Ich muss spüren, dass das Knie wieder hält – und dann akzeptiert das auch der Kopf. Wenn man das Gefühl hat, dass es nicht ganz stabil ist, dann nützt auch der stärkste Kopf nichts.
Sie haben alles gewonnen, was es im Skifahren zu gewinnen gibt und nun drei Knie-Operationen hinter sich: Warum tun Sie Sich das eigentlich noch an?
Antun ist für mich hier das komplett falsche Wort. Für mich ist das auch keine Qual, wie vielleicht manche meinen. Aber natürlich kann ich nachvollziehen, dass sich einige die Frage stellen: ,Warum macht sie das?’
Also: Warum machen Sie das?
Weil ich dieses Leben als Rennläuferin liebe. Weil ich es als großes Privileg sehe, dass ich dieses Leben führen darf. Ich tu’ das einfach gerne und kann mich jeden Tag selbst verwirklichen, an mir arbeiten und als Persönlichkeit reifen. Ich finde das so spannend, dass sich für mich die Frage nach dem Warum gar nicht stellt.
War Ihnen das schon immer bewusst?
Das hängt sicher auch mit den Erfahrungen der letzten Jahre zusammen. Auch mit dem Alter. Ich blicke heute ganz anders auf den Sport.
Inwiefern anders?
In den Monaten nach der ersten schweren Verletzung (Anm. Kreuzbandriss, Innenbandriss, Riss der Patellasehne im rechten Knie 2015) habe ich mich nicht mehr so als Sportlerin gefühlt. Da war ich dermaßen weit weg von Leistung und Profisport. In dieser Zeit habe ich mich sehr intensiv mit mir als Person beschäftigt. Wer bin ich, was will ich eigentlich, was ist mir wichtig? Da habe ich mich wirklich weiterentwickelt.
Sie haben das Beste aus dieser Situation gemacht?
Notgedrungen. Ich bin in dieser Zeit als Mensch und als Persönlichkeit sehr gereift. Ich würde sogar sagen, dass einen solche Täler im Leben mehr weiter bringen, als wenn man nur oben schwebt und gewinnt. Wobei ich das Glück habe, dass ich weiß, wie sich der Erfolg anfühlt. Das macht mich auch frei von Druck von außen.
Ist es in der aktuellen Situation eher Fluch oder Segen, dass Sie schon so viel gewonnen haben?
Die höchsten Ansprüche stelle sowieso ich an mich selbst. Ich will zurück an die Spitze, ich will es wieder spüren, ich will diese Emotionen wieder erleben. Das ist mein Antrieb, ansonsten hätte ich aufgehört. Mir ist aber klar, dass ich immer an dem gemessen werde, was ich erreicht habe. Damit muss ich umgehen können.
Haben Sie ein Beispiel?
Wenn ich wie im letzten Winter drei Mal im Riesentorlauf in die Top Ten fahre, dann ist das für die Öffentlichkeit vielleicht nichts Besonderes. Für mich waren das Highlights. Wenn man weiß, wo ich im Riesentorlauf war und dass es die schwierigste und anstrengendste Disziplin ist.
Apropos Disziplin: Es erstaunt, dass Sie nach Ihrer Knieverletzung ausgerechnet im Super-G Ihre besten Rennen gefahren sind, wo es kein Training gibt und vor allem Mut gefragt ist.
Aber nicht nur. Im Super-G geht es schon auch um Instinkt und Erfahrung. Man muss dort auch sehr taktisch fahren und oft intuitiv entscheiden. Das kommt mir sicher entgegen. Darum werde ich auch das Hauptaugenmerk auf den Super-G und den Riesentorlauf legen. Die Abfahrten will ich komplett weglassen.
Die Saison beginnt Ende Oktober mit einem Riesentorlauf in Sölden. Starten Sie dort oder meiden Sie Sölden? 2015 haben Sie Sich dort ja verletzt.
Ich verbinde mit Sölden auch sehr positive Erinnerungen, weil ich dort schon gewonnen habe. Und letzte Saison habe ich mich dieser Herausforderung gestellt und war in Sölden am Start. Wenn ich mich jetzt aber nicht zu hundert Prozent bereit fühle, dann werde ich dort nicht fahren. Weil jeder Monat mehr, in dem ich mich in Ruhe vorbereiten kann, für mich besser ist.
Im Hinterkopf habe ich schon, dass es nicht meine letzte Saison ist. Vom Gefühl her plane ich im Moment längerfristig, aber wie lange es wirklich gehen wird, kann ich beim besten Willen nicht sagen. Eine Karriere ist nicht planbar, ich hätte mit 20 auch nicht daran gedacht, dass ich mit 30 noch immer fahren würde. Vielleicht wäre es ohne die Verletzungen auch so gekommen. Durch die Verletzung habe ich eine andere Entwicklung gemacht.
Inwiefern?
Ich habe mich nach den zwei Gesamtweltcupsiegen extrem müde gefühlt, auch ein wenig leer. In der Zeit, die ich gebraucht habe, um körperlich wieder fit zu werden, hat sich auch mein Kopf wieder erholt. Zugleich habe ich in gewisser Weise den Erfolg loslassen müssen. Ich weiß nicht, ob man es sagen kann, dass ich durch die Verletzung das Verlieren lernen musste. Aber wenn man in diesem Rad drinnen ist und gewinnt, dann nimmt man den Erfolg anders wahr. Da ist der Erfolg einfach präsent und irgendwie fast selbstverständlich.
Hat durch die Verletzungspause auch der Rummel um Ihre Person nachgelassen?
Natürlich ist auch das extrem erfolgsabhängig. Mit der Person wird ja in erster Linie der Erfolg verknüpft, deshalb wird man angehimmelt, weil man in den Augen der Menschen etwas Besonderes leistet und Emotionen auslöst. Durch die Verletzung ist mein Leben schon etwas ruhiger geworden. Fest steht aber auch, dass ich mich heute auch leichter tue mit allem, was zum Bekanntsein dazugehört.
Und gibt es etwas, was Ihnen jetzt mit 30 schwerer fällt im Weltcup?
Definitiv das Reisen. Es ist mühsam, weil einfach so viel Zeit drauf geht. Nicht falsch verstehen: Mir taugt es, wenn ich nach Lake Louise komme, aber bis ich einmal dort bin. Und bei mir kommt ja noch etwas dazu.
Was denn?
Durch meine Verletzungen belastet das Reisen meinen Körper einfach mehr. Nach einmal langen Flug brauche ich zum Beispiel einen Tag Athletiktraining, damit ich wieder so weit bin, dass ich Skifahren gehen kann. Das ist alles schon aufwändiger geworden.
Zum Abschluss der Autofahrt noch etwas Sportliches: Ist es für den Skisport gut, dass es mit Marcel Hirscher und Mikaela Shiffrin zwei Sportler gibt, die alles in Grund und Boden fahren?
Ich glaube, dass es für Außenstehende gar nicht nachvollziehbar ist, was Mikaela oder Marcel wirklich leisten. Was da alles dahinter steckt, dass man so dominant sein kann. Auf der anderen Seite sieht die Konkurrenz dann oft schlecht aus, obwohl ich mir sicher bin, dass die anderen nicht weniger trainieren. Für die Spannung wäre es sicher besser, wenn es mehr Sieger geben würde. Aber da müssen wir uns alle einen Tritt in den Hintern geben und schauen, dass wir sie biegen. Ich nehme diese Herausforderung auf jeden Fall an.
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