Europa erfahren

Mit der Bahn günstig durch Europa.
Das EU-Parlament diskutiert Gratis-Ticket für 18-Jährige. Erinnerungen an die erste große Zugreise.

Im EU-Parlament wird aktuell darüber diskutiert, allen 18-jährigen Bürgern der Europäischen Union zum Geburtstag einen Interrail-Bahnpass zu schenken. Eine Idee, die erstmals in einem Wiener Kaffeehaus geäußert und 1972 eingeführt wurde, wurde nun vom Fraktionsvorsitzenden der Europäischen Volkspartei, Manfred Weber, eingebracht. Weber erklärte, dass so ein Angebot "der Schlüssel für die Schaffung einer positiven Wahrnehmung der EU unter jüngeren Generationen" sein könnte.

Im Parlament in Straßburg wird auch über eine Interrail-Lotterie für junge Europäer debattiert, sowie die nicht ganz unwesentliche Frage deren Finanzierung. Ein Globalpass, der ein Monat lang gilt, ist derzeit bei den ÖBB ab 479 Euro zu haben. Das 1972 eingeführte Angebot.

Während die Abgeordnete der deutschen AfD, Beatrix von Storch, den Vorstoß als "grüne Ideen auf Ramschniveau" abtat, erinnern sich andere gerne an ihre Interrail-Vergangenheit. Sieben Österreicher erzählen im KURIER von ihrer ersten großen Reise mit der Bahn.

Helmut Brandstätter, Herausgeber, erinnert sich an „Schwedische Nächte und so“

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„Ich weiß nicht mehr, warum ich mit meinem Freund Roland ausgerechnet nach Östersund fuhr, aber die helle Nacht, 5 Stunden nördlich von Stockholm, war es wert. Dann vertrieb uns der Regen – also auf nach San Sebastian, eine Nacht im Zug sparte Hotelkosten. Der Sommer kann auch im Baskenland rau sein, im Zugabteil nach Nizza versuchten wir, französische Formulierungen aufzufrischen. Nirgends war es so einfach, Jugendliche aus der ganzen Welt kennenzulernen, andere zu verstehen und Vorurteile abzubauen. Interrail für alle wäre ein echtes Friedensprojekt.“

Barbara van Melle, Autorin & Slow-Foodie, weiß noch: „40 Stunden vor dem WC“

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KURIER-Gespräch mit Barbara van Melle und Christian Putscher zum Thema "Ernährung" - Lebensmittelverwirrungen, Diät-Abnehmwahn, Werberschmäh. Moderiert wurde das Gespräch von Martina Salomon. Wien, 16.06.2016.
„Schon im Bus zum Bahnhof habe ich mir gedacht, der Rucksack ist viel zu schwer. Aber man schafft alles, egal wie anstrengend es ist – das war eine wichtige Erfahrung, bis dahin war ich ja eher gut behütet. Die Fahrt nach Athen: 40 Stunden am Boden vor dem WC. Die Jugendherberge war so überfüllt, dass wir mit unseren Schlafsäcken auf das Flachdach ausgewandert sind. In London haben wir im Park übernachtet. Das dürfte man heute gar nicht mehr. In den drei Wochen habe ich gemerkt, wie vielfältig Europa ist. Jetzt will mein Sohn auf Interrail fahren.“

Jörg Leichtfried, Verkehrsminister, über „Europa zum Anfassen“

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Jörg Leichtfried im Rahmen der KURIER-Serie "Politiker nach Dienstschluss" beim Segeln am Neusiedler See. Weiden, 04.08.2016.
„Zum ersten Mal bin ich mit 17 mit dem Zug nach Athen gefahren. In den beiden Jahren danach ging es mit Interrail durch Europa. Am besten war, dass ich mich in den Zug gesetzt habe und am nächsten Tag in einem anderen Land aufgewacht bin. Bei Interrail hat man die einzigartige Gelegenheit, in nur einem Sommer so viele unterschiedliche Menschen und Ansichten kennenzulernen wie sonst nie. Da habe ich erst einen Begriff von Europa bekommen: ich habe das Wir-Gefühl gespürt, dass Europa zusammengehört. Interrail ist unser gemeinsames Europa zum Anfassen.“

Haya Molcho, Gastronomin, sagt „Und ein Mann kam zurück“

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„Ich bin mit meinem Bruder zwei Monate in ganz Europa unterwegs gewesen und habe unglaublich nette Menschen kennengelernt. Mit manchen bin ich heute noch in Kontakt. So habe ich auch meine Sprachen geübt. Wenn man andere Länder kennt, bekommt man mehr Verständnis. Es wäre gut, wenn Jugendliche diese Erfahrungen machen können, deren Eltern es sich nicht leisten können. Als mein Sohn unterwegs war, habe ich mir gedacht: Ich habe ein Kind verabschiedet – und ein Mann kam zurück.“

Klaus Eckel, Kabarettist, freut sich heute noch über die „Olfaktorische Reservierung“

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Kabarettist Klaus Eckel "Zuerst die gute Nachricht"
„Ungeschriebenes Gesetz war, sich ein Monat lang nicht zu waschen. Was den Vorteil hatte, dass wir in jedem Zug ein Abteil für uns hatten. Wir besaßen quasi eine olfaktorische Reservierung. Dafür waren wir überall verhasst. In einem Kuhdorf vor Lissabon haben sie einmal alle Interrailer in einen Waggon gesteckt. Nach fünf Stunden Warten kamen wir drauf, dass unser Waggon abgekoppelt war. Auffallend war auch, dass österreichische Interrailer in Deutschland nicht ausstiegen. Deutschland galt für uns als Durchreiseland.“

Helga Freund, Vorstandsdirektorin vom Verkehrsbüro, hat im Kopf: „Das Geld
war knapp“

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Interview mit Helga Freund, neues Mitglied im Vorstand der Verkehrsbüro Group, am 18.09.2015 in Wien.
„Wir waren zu dritt knapp ein Monat unterwegs als ich 17 war, immer etwa zwei Tage an einem Ort und haben in Hostels und Privatpensionen übernachtet oder im Nachtzug. Venedig, Lissabon und Porto waren am schönsten. Das Geld war knapp, weil Essen in Paris oder Nizza schon teuer war in der Hochsaison. Es war dann ein seltsames Gefühl, wieder zu Hause zu sein, da ich mich so ans Zugfahren gewöhnt hatte. Einfach zurücklehnen und aus dem Zugfenster schauen, viel sehen und beobachten.“

Julian Schmid, Politiker der Grünen, ist „mehr geklebt als gesessen“

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Julian Schmid, privat
„Es war unpackbar heiß. Wir waren 16 Leute und sind nach der Matura bis zum Ende des italienischen Stiefels gefahren. Für uns war es die günstigste Möglichkeit, um so weit zu kommen. Aber 20 Stunden Zugfahren war heftig, wir sind durch die Hitze mehr auf den Sitzen geklebt als gesessen. Und je weiter südlich wir kamen, desto klappriger wurden die Waggons. Ich möchte es aber nicht missen, es war Freiheit für uns. Ich glaube, dass wir in Europa – durch diese Art des Reisens – mehr zusammenwachsen können.“

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