US-Höchstgericht bestätigt "Obamacare"

US-Höchstgericht bestätigt "Obamacare"
Das Oberste Gericht bestätigt Präsident Obamas große Gesundheits-Reform – und verhilft dem Wahlkämpfer zu einem gewaltigen Schub.

Seit genau hundert Jahren haben alle amerikanischen Präsidenten beim Versuch, in den USA eine obligatorische Krankenversicherung einzuführen, auf Granit gebissen. Barack Obama hingegen hat die historische Trendwende geschafft: Das US-Höchstgericht entschied am Donnerstag in einem mit großer Spannung erwarteten Urteil, dass Obamas 2010 unterzeichnete Gesundheitsreform der Verfassung entspricht.

Das ehrgeizige Prestigeprojekt des US-Präsidenten kann damit ab 2014 wirksam werden. Es wird das jährlich knapp 2700 Milliarden Dollar verschlingende Gesundheitssystem von Grund auf umkrempeln, die horrenden Kosten sollen langfristig gesenkt werden.

Für Obama und seine Demokraten, die die Gesundheitsreform vor zwei Jahren gegen die Totalblockade der Republikaner durchboxten, bedeutet das Urteil des Höchstgerichts einen riesigen Erfolg: Das Zentralprojekt der bisherigen Ära Obama wird mit voller rechtlicher Unterstützung durchgesetzt. Doch nicht nur für die Demokraten, glaubt Barack Obama: „Dieses Urteil ist ein Sieg für die Menschen überall in diesem Land", sagte er in einer ersten Reaktion am Donnerstag. „Jetzt werden wir nach vorne Blicken und nicht noch einmal den Kampf von vor zwei Jahren kämpfen."

Die Reform sieht unter anderem vor, dass sich jeder Amerikaner krankenversichern muss. Die Regierung habe das Recht, eine Zwangsversicherung für alle Bürger gesetzlich zu verankern, hieß es am Donnerstag nach einer ersten Urteils-Interpretation von US-Experten. Die Entscheidung des neunköpfigen Richtergremiums fiel mit fünf gegen vier Stimmen. Umfragen zufolge war die Mehrheit der Amerikaner gegen die Reform. Doch er habe das nicht gemacht, weil es populär ist, sagte Obama, sondern weil er daran glaube, dass die Reform für Amerika wichtig sei.

Jenen Amerikanern, die es finanziell nicht schaffen, sich zu versichern, wird der Staat künftig unter die Arme greifen. Derzeit leben in den USA 50 Millionen Menschen, fast ein Sechstel der Bevölkerung, ohne Krankenversicherung. Mit der Obama-Reform werden nun zumindest 33 Millionen von ihnen in den Genuss einer Krankenversicherung kommen.

Brokkoli

Für die Republikaner bedeutet das – für viele Beobachter überraschende – Urteil des Supreme Courts eine herbe Niederlage. 26 republikanisch regierte Bundesstaaten hatten gegen das Gesetzespaket geklagt, ehe das US-Höchstgericht im März den Fall an sich zog. Wenn es möglich sei, US-Bürger zum Abschluss einer Krankenversicherung zu zwingen, lautete der Vorwurf der Konservativen, könne man die Amerikaner genauso gut zwangsverpflichten, Brokkoli zu essen oder ein Auto aus Detroit zu kaufen, um die US-Automobilindustrie zu retten. Kurz: Obamas Reform sei nicht anderes als die Verletzung der individuellen Freiheitsrechte der US-Bürger.

Weiter Widerstand

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Verschnupft reagierte der republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney: „Es war gestern ein schlechtes Gesetz, und es ist heute ein schlechtes Gesetz“, sagte Obamas Herausforderer, der umgehend versprach, im Falle eines Wahlsieges am 6. November die Gesundheitsreform rückgängig zu machen.

Das Höchstgericht: Seniorenklub in heikler Besetzung

Eigentlich macht Ruth Bader Ginsburg selten Witze, doch wenn andere über ihr Alter jammern, kann sich die Höchstrichterin Bemerkungen nicht verkneifen wie: "Ich bin fast 80 – und noch gar nicht so alt."

Die einst von Bill Clinton für das Höchstgericht nominierte Juristin ist die liberalste Stimme des Gremiums – und dessen ältestes Mitglied. Auch gesundheitlich angeschlagen, ist sie wohl die Nächste, die von ihrem Posten abtreten wird. Ein heikler Zeitpunkt, wie man in Washington weiß. Denn sollte bei den Präsidentschaftswahlen im November Mitt Romney siegen, könnte der Republikaner über die Besetzung des freiwerdenden Postens entscheiden. Damit würde das neunköpfige Höchstgericht, in dem schon jetzt die Konservativen eine Mehrheit von fünf zu vier haben, ideologisch noch weiter nach rechts rücken. Für die Demokraten ein Gräuel, werfen sie doch dem mächtigen Gremium jetzt schon vor, Entscheidungen mit politischer Schlagseite zu treffen, wie zuletzt im Fall des harten Einwanderungsgesetzes von Arizona.

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