Zwischen Kernöl und Kalifat: Beate Meinl-Reisinger auf der Suche nach EU-Kritikern
Der Fleischsalat mit Kernöl und Käferbohnen war grandios. Das Achterl Isabella-Wein? Vom Feinsten. Aber fürs Lukullische hat Beate Meinl-Reisinger jetzt keinen Kopf, sie ist längst bei einer hässlichen Realität angekommen, beim Angriffskrieg auf die Ukraine: „Russland wird Österreich doch nie angreifen! Von welcher Bedrohung reden wir also bitteschön?“, sagt ihr ein Zuhörer auf den Kopf zu. Wie antwortet man darauf?
Die Chefin der Neos steht in einer oststeirischen Buschenschank. Vor den Fenstern: Weinreben. Im Hintergrund thront weithin sichtbar die Wallfahrtskirche auf dem Pöllauberg. Und im Zimmer mit dem künstlichen Kaminflackern diskutiert die Klubobfrau der Pinken mit Wählern.
Wie kann sie erklären, warum Europa Waffen in die Ukraine liefern soll? Und was hat der Konflikt zwischen Moskau und Kiew mit Österreich zu tun?
„Wir werden doch längst angegriffen", sagt sie. "Mit Computerprogrammen, die unsere freien Wahlen und unsere Demokratien manipulieren. Russland versucht seit Jahren die EU, den Balkan und Afrika zu destabilisieren.“
„Aber Waffenlieferungen verlängern doch das Leiden! Warum versucht denn niemand einen Frieden zu verhandeln?“, widerspricht eine Zuhörerin.
„Jeder will Frieden, daher wird auch ständig verhandelt, auch jetzt gerade", sagt Meinl-Reisinger. Das Problem sei aber das: „Der Einzige, der sich nicht an internationales Recht und Verträge gehalten hat, ist Wladimir Putin." Und noch etwas: "Wenn Russland aufhört zu kämpfen, herrscht eine Waffenruhe. Wenn die Ukraine aufhört zu kämpfen, dann gibt es keine Ukraine mehr.“
Die große Weltpolitik wird an kleinen Holztischen in Dienersdorf verhandelt. Und was Meinl-Reisinger hier macht, widerspricht jeder politischen Vernunft. Während andere ihre begrenzte Zeit und Kraft im Wahlkampf darauf verwenden, Wähler anzusprechen, die sie tendenziell überzeugen und für sich mobilisieren können, macht Meinl-Reisinger das Gegenteil: Sie diskutiert in kleiner Runde vorzugsweise mit Menschen, die ihr diametral entgegenstehen, also: mit EU-Kritikern und -Skeptikern. „Ich wollte dorthin, wo die Wahlbeteiligung bei der EU-Wahl unter 50 Prozent und/oder wo die besonders EU-kritische FPÖ auffallend stark ist." Im nahen Hartberg lag die Wahlbeteiligung beim letzten Mal tatsächlich bei nur 48 Prozent, und die FPÖ schaffte fast 19 Prozent der Stimmen.
Einfach-Unnötig
Nicht ganz unironisch heißt Meinl-Reisingers Aktion deshalb die „EU-Einfach-Unnötig“-Tour. Mit Mundpropaganda und Postwurf-Sendungen wurde der Termin beworben. Und an manchen Stationen kamen die Zuhörer nur deshalb vorbei, weil sie nicht glauben wollten, dass eine Bundespolitikerin wirklich im Dorfgasthaus debattiert.
Für die Pinke Parteichefin ist die Tour durch die Regionen rhetorisches Training und inhaltliche Erdung. Denn egal ob in Schärding, Telfs oder Deutsch-Griffen: Die Themen sind überall ähnlich. Da geht es um die Öko-Wende und Europas "Green Deal"; viele treibt die Sorge um Teuerung und Wirtschaft um; und fast überall kommt das eine, emotionale Thema: die Migration.
"Des gibt's jo net, dass de uns olle überrennen", sagt ein T-Shirt-Träger in Dienersdorf. Meinl-Reisinger macht an dieser Stelle etwas, was, nun ja, zumindest riskant erscheint: Sie gibt zu, heute anders, man könnte sagen: weniger liberal, zu argumentieren. "Beim Asylthema habe ich meine Meinung geändert. Niemand will unkontrollierte Flüchtlingsströme." Sie redet strengen Wohnsitzauflagen für Asylwerber das Wort und kann sich Asylverfahren außerhalb Europas vorstellen. Mit Demonstrationen für ein Kalifat will sie grundsätzlich nicht leben. "Das müssen wir verbieten. Keine Religion steht über der liberalen Demokratie."
Die Stimmung an dem lauen Abend in der Oststeiermark ist angeregt, aber nicht feindselig. Das liegt vielleicht auch daran, dass Meinl-Reisinger nicht alles todernst formuliert und fast immer den Konsens sucht. Wenn ein Unternehmer lautstark beklagt, dass "Europa de-industrialisiert wird" und man China und den USA nichts entgegenzuhalten habe, stimmt sie ergänzend zu: "Die Union darf nach der Digitalisierung und der Künstlichen Intelligenz nicht auch noch die Entwicklungen bei der eMobilität verschlafen."
Was nimmt sie am Ende mit von ihrer "EU-Unnötig-Tour"?
"Dass Politik in Sozialen Medien schwer funktioniert. Das direkte Gespräch zwischen Menschen ist vielfach alternativlos."
Dass sie heute gerade einmal zwei Tische gefüllt hat, stört sie dabei kein bisschen. Weniger geht immer: Im FPÖ-regierten Deutsch-Griffen "wagten" sich anfangs überhaupt nur zwei Besucher ins Lokal: der freiheitliche Bürgermeister und seine Stellvertreterin. Aus Höflichkeit, aber auch aus Neugier: "Die wollten schauen", sagt Meinl-Reisinger schmunzelnd, "wer die fünf Menschen sind, die bei ihnen im Ort Neos wählen."
Kommentare