Migranten zurückweisen, ohne zu prüfen: "Das geht überhaupt nicht"
Rechtsexperten Obwexer und Janik schlagen Alternative zur ÖVP-Idee einer "Zurückweisungsrichtlinie" vor.
02.02.23, 18:16
von Raffaela Lindorfer und Oliver Wild
Die Europäische Menschenrechtskonvention, die EU-Grundrechte-Charta, die Genfer Flüchtlingskonvention, die Anti-Folter-Konvention und wohl auch der Internationale Pakt über bürgerliche und politische Rechte der UNO: Die Liste an völkerrechtlichen Verträgen und Gesetzen, die geändert werden müssten, um eine zentrale Forderung der ÖVP zu erfüllen, ist lang. Sehr lang. Die Wahrscheinlichkeit, dass das passiert, geht gegen null.
Was ÖVP-Innenminister Gerhard Karner wohl nicht davon abhalten wird, seine Idee einer „Zurückweisungsrichtlinie“, die in seinem Fünf-Punkte-Plan zum Asylwesen enthalten ist, weiter zu propagieren.
Nun hat er überraschend einen Fürsprecher dazugewonnen: Georg Dornauer, SPÖ-Chef und Landeshauptmann-Stellvertreter in Tirol, hat nach einem Treffen mit Karner verlautbart, dass er ihn in seiner Forderung unterstützen werde: „Auch, wenn es rechtlich schwierig ist.“
„Rechtlich schwierig“ ist ein Euphemismus. „Es geht überhaupt nicht“, sagt Walter Obwexer,Experte für Europa- und Völkerrecht. Und das müssten die Rechtsexperten im Innenministerium auch wissen – Obwexer berät sie regelmäßig.
Die Idee der Richtlinie ist, dass Migranten, die aus sicheren Herkunftsländern kommen, zurückgewiesen werden sollen – ohne Einzelfallprüfung, ohne Asylverfahren.
Argumentiert wird mit der Schutzrichtlinie, die die EU wegen des Ukraine-Krieges erlassen hat: Ukrainer bekommen ohne Einzelfallprüfung und ohne Asylverfahren ein befristetes Bleiberecht.
Der Vergleich hinkt, sagt sowohl Obwexer als auch Fachkollege Ralph Janik: Ukrainer bekommen pauschal einen Vorteil – etwas, das über deren Grundrechte hinausgeht. Dass andere Staatsbürger einen Nachteil haben und in ihren Menschenrechten beschnitten werden sollen, gehe nicht, sagt Janik.
Laut Europa- und Völkerrecht darf jeder Mensch einen Asylantrag stellen – pauschale Abweisungen sind damit unvereinbar. Jedem Asylwerber steht zumindest eine Grobprüfung seines Falles zu.
Will man das nicht mehr, dann müssten die EU-Staaten, wie eingangs erwähnt, eine Reihe von Abkommen und Gesetzen ändern. Die ÖVP hat schon einmal angeregt, die Europäische Menschenrechtskonvention gehöre überarbeitet – weit ist sie damit nicht gekommen (der KURIER berichtete).
Schnellverfahren
Alternativ schlagen Obwexer und Janik vor: Alle EU-Staaten sollten sich auf eine Liste der „sicheren Herkunftsländer“ einigen, dann bräuchte es einheitliche Kriterien für die Grobprüfung bei Personen, die aus diesen Ländern kommen, damit an allen EU-Grenzen dasselbe gilt.
In Österreich gibt es „Fast Track-“ bzw. „beschleunigte Verfahren“ bezüglich sicherer Herkunftsländer. Im Idealfall kann laut Innenministerium innerhalb von 72 Stunden entschieden werden. 2022 gab es 23.300 Entscheidungen im Schnellverfahren.
Entscheidend ist am Ende, ob das Herkunftsland den Abgewiesenen zurücknimmt. Auch darum müsste sich die EU kümmern.
Österreich hat Anfang Dezember den Schengen-Beitritt von Rumänien und Kroatien blockiert - mit Verweis darauf, dass das EU-Asylsystem nicht funktioniere. Innenminister Gerhard Karner hat im Zuge dessen einen Fünf-Punkte-Plan mit den aus seiner Sicht nötigen Maßnahmen an die EU-Kommission geschickt:
Polizeieinsätze im Ausland aufkommen: Die Außengrenzschutzeinheit Frontex soll mit Geldern der EU-Kommission unterstützt werden, um illegale Migration zu bekämpfen. Das schließt finanzielle Mittel für Infrastrukturprojekte, wie z.B. den Zaunbau an der Grenze zwischen Bulgarien und der Türkei, mit ein.
Erstellung einer "Zurückweisungsrichtlinie": Wenn große Kontingente an Menschen aufgegriffen werden, die aus einem sicheren Herkunftsland kommen und kaum Chancen auf Asyl haben, sollen diese schnell zurückgeführt werden. Dies bedeutet eine Zurückweisung ohne Einzelfallprüfung. Als Beispiele nannte Karner Herkunftsländer wie Indien und Tunesien.
Asylverfahren in sicheren Drittstaaten: Karner schlägt vor, Asylzentren in Drittstaaten einzurichten. In diesen sollen außerhalb der EU Asylanträge geprüft werden. Als Vorbild könnte Großbritannien dienen, das ein Abkommen mit Ruanda geschlossen hat, um die Asylanträge dort zu bearbeiten. Im Gegenzug dafür erhält Ruanda von Großbritannien finanzielle Mittel.
Leichtere Aberkennung des Schutzstatus: Bei straffälligen Personen mit Schutzstatus soll dieser "leichter aberkannt" werden können. Dies soll bei wiederholter Straffälligkeit, aber auch bei nicht-schweren Straftaten der Fall sein.
Pilotprojekt für rasche Asylverfahren: Ein rasches Vorgehen an den EU-Außengrenzen wurde bereits in einem Migrations- und Asylpaket vor zwei Jahren von der EU-Kommission vorgeschlagen. Finanzieren soll dieses Pilotprojekt die EU-Kommission.
(kurier.at, lin)
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Aktualisiert am 02.02.2023, 18:16
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