Zu wenig Personal macht Pflege menschenunwürdig
Ein großes Pflegeheim in Wien: Drei Pfleger teilen sich den Nachtdienst – bei 284 pflegebedürftigen Bewohnern. Die Mitarbeiter sind überarbeitet, die Pflegebedürftigen werden – zwangsläufig – vernachlässigt. „Der flächendeckende Personalnotstand macht die Pflege menschenunwürdig“, sagt Volksanwalt Bernhard Achitz.
Am Mittwoch präsentierte die Volksanwaltschaft ihre Jahresbilanz 2021. Seit mittlerweile zehn Jahren prüft man auch all jene Einrichtungen in Österreich, in denen die Menschenrechte eingeschränkt werden. Justizvollzugsanstalten, also Gefängnisse; Polizei-Anhalte-Zentren; und auch psychiatrische Abteilungen, Jugendheime sowie Alten- und Pflegeheime.
Menschenunwürdig
Im Vorjahr haben die Kommissionen der Volksanwaltschaften 570 – oft unangekündigte – Kontrollen durchgeführt. Dabei mussten sie in 63 Prozent der Fälle Menschenrechtsverletzungen beanstanden.
Ein nicht unerheblicher Teil der monierten Mängel ist auf das fehlende Pflegepersonal zurückzuführen.
„Die Politik hat in den letzten zwei Jahren keine einzige nachhaltige Maßnahme gesetzt, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern“, sagt Achitz. „Viele flüchten aus den Pflegeberufen, Betten oder ganze Stationen müssen gesperrt werden.“
Die Beschäftigten würden ihr Bestes tun. Gleichwohl bleibe „für die Umsetzung ganzheitlicher Pflegekonzepte keine Zeit, für die Bewohnerinnen und Bewohner kann das gesundheitsgefährdende und menschenunwürdige Ausmaße annehmen“.
Konkret bedeutet das beispielsweise, dass Bewohner am Abend medikamentös ruhiggestellt werden. Und: Manche zu Pflegende werden in der Nacht gewaschen und angekleidet, weil in der Früh mangels Personal zu wenig Zeit dafür ist.
Reform fehlt
Von politischen Maßnahmen, um den Pflegemissstand zu beheben, sei wenig bis gar nichts zu sehen, befundet die Volksanwaltschaft.
Was das in der Praxis bedeutet, liest man in ihrem Bericht. Da erzählen Pflegerinnen etwa Folgendes: „Am schlimmsten ist die zu geringe Kopfanzahl des Personals. Eine Menge unserer Bewohnerinnen und Bewohner benötigt Körperpflege oder Unterstützung beim Essen, aber die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür ist zu gering.“ Und noch ein anderes Beispiel: In einem Pflegeheim in Salzburg, in dem 56 teils demente Bewohner leben, wird die Nachtschicht von zwei Pflegekräften übernommen. Bei einer Personalsituation wie dieser kommt es dazu, dass Patienten nicht mehr ins Freie kommen, weil das Personal fehlt; oder dass der Tagesablauf immer gleich ist – obwohl Abwechslung bei Aktivitäten und Tätigkeiten die Betroffenen mobilisieren bzw. ihren Alltag bereichern würde.
Krisen-Kritik
Abgesehen von den veritablen Missständen im Pflegebereich berichtet die Volksanwaltschaft von einer deutlichen Zunahme der Fallzahlen: Im Vergleich zu 2020 ist die Zahl der Beschwerden um 32 Prozent gestiegen. Insgesamt haben sich 23.600 Menschen an die Volksanwaltschaft gewandt, die Covid-19-Pandemie hat erheblich zum Ansteigen beigetragen – und das in allen Prüfbereichen.
So berichtet Volksanwalt Walter Rosenkranz von Missständen beim Distance Learning: „Wenn Lehrer sich besonders engagiert haben, wurden sie dabei oft wenig bis gar nicht unterstützt.“
Als eindringliches Beispiel bringt Rosenkranz den Fall eines Pädagogen, der zur Unterstützung der Schüler ein Mathematik-Programm gekauft und trotz der vergleichsweise niedrigen Kosten von nicht einmal 100 Euro sowohl von der Schule als auch von der Direktion im Regen stehen gelassen wurde.
Volksanwalt Werner Amon wiederum berichtete von einer Grundsatzfrage, die die Volksanwaltschaft bei der Stellungspflicht thematisiert hat. „Transgender-Personen waren von vornherein untauglich“, sagt Amon. Nachdem sich ein Betroffener an die Volksanwaltschaft gewandt hatte, hat diese für ihn lobbyiert, und das Verteidigungsministerium hat laut Amon „ordentlich“ reagiert, sprich: Transgender-Personen sind nunmehr nicht von vornherein untauglich.
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