Volksanwaltschaft warnt: Pflegenotstand führt zu Menschenrechtsverletzungen

Justizanstalt Feldkirch / Desolates Gefängnis
Bei Hunderten Kontrollen von Justizanstalten und Polizeianhaltezentren wurden menschenrechtliche Missstände beanstandet. Alarmierend ist der Pflegepersonalnotstand

Die Covid-19-Pandemie hat auch die Volksanwaltschaft vor erhebliche Herausforderungen gestellt. Am Mittwoch präsentierte die Institution ihren Jahresbericht 2021. Und ein großer Teil der Fragen, Unsicherheiten und auch Beschwerden bezog sich auf die immer wieder ändernden Covid-19-Regelungen. Insgesamt haben sich im Vorjahr 23.600 Menschen an die Volksanwaltschaft gewandt; die Zahl der Beschwerden ist im Vergleich zu 2020 um 32 Prozent gestiegen. 

Die Volksanwaltschaft hat zwei grundsätzliche, durch die Verfassung geschützte Aufgaben. Zum einen geht es darum, Bürgern bei der Durchsetzung ihrer Rechte zu helfen - etwa, wenn die öffentliche Verwaltung Fehler macht. Die zweite zentrale Funktion ist der Schutz bzw. die Förderung der Menschenrechte, indem öffentliche und private Einrichtungen, in denen die Freiheit von Menschen beschränkt wird. Dazu gehören naturgemäß Justizvollzugsanstalten, also Gefängnisse, bzw. Polizeianhaltezentren sowie psychiatrische Abteilungen und Alten und Pflegeheime. Darüber hinaus kontrolliert die Volksanwaltschaft Einrichtungen für Menschen mit Behinderung und überprüft die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch die Exekutive, etwa bei Demonstrationen, Großveranstaltungen, Versammlungen oder Abschiebungen.

Was die Beschwerden über die Verwaltung angeht, haben von den 16.703 Beschwerden immerhin 11.516 zu einem Prüfverfahren geführt. Die meisten Beschwerden kamen zum Themenkomplex "Soziales und Gesundheit" (31,5 %), in den neben Anliegen und Fragen zu Krankenversicherung oder Behinderungen auch die Covid-19-Maßnahmen fielen. Gut jede fünfte Beschwerde (22,3 %) bezog sich auf Fragen der "Inneren Sicherheit", also Beschwerden in Sachen Fremden- und Asylrecht oder die Polizei. Und 14 Prozent der Beschwerden hatten mit der Justiz zu tun, allen voran der Dauer von Gerichtsverfahren oder Mängeln im Strafvollzug. 

63 Prozent Menschenrechts-Beanstandungen

Fehlende Coronatests für Menschen in polizeilichen Anhaltezentren, anderenorts 10-tägige Isolation trotz negativem Coronatest, ungleiche Opferentschädigung für Missbrauchsopfer, Vernachlässigung im Pflegebereich.  Es sind Menschenrechtsverstöße wie diese, die die Volksanwaltschaft bei ihren oft unangekündigten Kontrollen in öffentlichen und privaten Einrichtungen beanstandeten. 

Insgesamt führten die Kommissionen der Volksanwaltschaft im Jahr 2021 570 Kontrollen in öffentlichen und privaten Einrichtungen durch, in denen Menschen in ihrer Freiheit beschränkt sind. Sie überprüfen präventiv, ob die Menschenrechte eingehalten werden. 541 der Nachschauen fanden in solchen Einrichtungen statt, 29-mal wurden Polizeieinsätze begleitet. Bei all diesen Kontrollen fanden die Kommission in 63 Prozent der Fälle Menschenrechtsverletzungen.

Mangelndes Pflegepersonal gefährdet Menschenrechte

Ein Thema, dass es Pandemie-geschuldet in den vergangenen Jahren immer öfter auf die Titelseiten geschafft hat, ist der drastische Personalmangel in den Pflegeeinrichtungen. Auch die Volksanwaltschaft hat festgestellt: "Die Pflege steht vor einem Kollaps". "Überall herrscht Personalmangel, und der führt zu schweren Menschenrechtsverletzungen,“ so Volksanwalt Bernhard Achitz: „Das Problem ist nicht neu, die Volksanwaltschaft weist seit Jahren darauf hin, aber Corona hat es weiter verschärft,"erklärt Achitz.

„Die Politik hat in den letzten zwei Jahren keine einzige nachhaltige Maßnahme gesetzt, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern. Viele flüchten aus den Pflegeberufen, Betten oder ganze Stationen müssen gesperrt werden. Die Beschäftigten tun ihr Bestes, aber für die Umsetzung ganzheitlicher Pflegekonzepte bleibt keine Zeit, für die Bewohnerinnen und Bewohner kann das gesundheitsgefährdende und menschenunwürdige Ausmaße annehmen“, so Achitz weiter. 

Die lang angekündigte Pflegereform sei immer noch nicht in Angriff genommen worden, beklagt Achitz. Im Bilanzbericht führt die Volksanwaltschaft neben vielen Beispielen auch einen Fall aus einem Pflegeheim in Niederösterreich an. Die Pflege der bedürftigen Personen sei nicht mehr bewältigbar. Ein Mitarbeiter berichtete, dass" eine Menge unserer Bewohnerinnen und Bewohner Körperpflege oder Unterstützung beim Essen benötigt, aber die Anzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür ist zu gering."

Pflege wird menschenunwürdig

In vielen Heimen müssen Betten gesperrt werden, Klienten könnten nicht aufgenommen werden. Bei Besuchen berichten Mitarbeiter, dass es in manchen Einrichtungen kein diplomiertes Pflegepersonal mehr gibt, Wundmanagement nur noch einmal im Monat gemacht werden kann, Bewohner mit Medikamenten ruhig gestellt werden müssen, weil man sich nicht ausreichend um sie kümmern kann.

In Alten- und Pflegeheimen sein die Verstöße durch den Personalmangel also besonders krass. Kritik übt die Volksanwaltschaft aber auch an Opferschutzeinrichtungen. Und zwar an jenen, die die Entschädigungszahlung für Missbrauchsopfer bereits wieder eingestellt haben. Das betreffe Opfer aus Wien, Salzburg und Oberösterreich.

Ungleiche Corona-Testmöglichkeiten in Anhaltezentren der Polizei

Volksanwalt Walter Rosenkranz moniert etwa, dass in polizeilichen Anhaltezentren (PAZ) 2021 nur Coronatests bei Verdacht auf eine Infektion durchgeführt wurden. Anderenorts gab es zwar die Möglichkeit eines freiwilligen Antigenschnelltests, die Personen im PAZ musste aber auch bei einem negativen Ergebnis in 10-tägige Isolation. Volksanwalt Rosenkranz forderte daraufhin eine einheitliche Teststrategie. 

Weiters beanstandete Rosenkranz wieder - Ähnliches findet sich bereits in den Verbesserungsvorschlägen vorangegangener Jahre - dass es in PAZ keine Trennwände zur Abtrennung des Toilettenbereichs in Mehrpersonenzellen gibt. Das Innenministerium sagte ein Konzept zu, dieses ist aber noch ausständig. 

Außerdem sieht Volksanwalt Achitz Aufholbedarf bei der Regelung für Heimopfer, die keinen Anspruch auf eine Heimopferrente haben, weil der oder die Partnerin ein zu hohes Einkommen habe, das Missbrauchsopfer also keinen Anspruch auf Mindestsicherung habe. Laut Achitz, ist die Unterscheidung nicht nachvollziehbar. 

Den gesamten Bilanzbericht finden Sie hier

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