"Wünschen uns Visionen, konsumieren aber lieber Schreckensszenarien"

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Politologin Kathrin Stainer-Hämmerle über Angst als Mobilisierungsfaktor, alte Rhetorik und neue Kämpfe.

In Wahlkampf-Zeiten weisen Parteien auf eigene Vorzüge und Fehler des politischen Gegners hin, um auf sich aufmerksam zu machen. Hält sich das Hervorkehren von Inhalten und das Abgrenzen vom Mitbewerb im EU-Wahlkampf die Waage?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Das hängt von der Plattform ab. In den Wahlprogrammen stehen selbstverständlich die eigenen Ideen beziehungsweise Vorschläge im Vordergrund. Aber es ist davon auszugehen, dass kaum ein Wähler diese liest. Im medial vermittelten Wahlkampf hingegen steht das „Horse Race“ im Vordergrund. Das heißt weniger die Inhalte als die Dynamik des Wahlkampfes. Wer hat die Nase vorne, wer versucht wie die Mitbewerber zu überholen, auszubooten? Da es gerade bei der EU-Wahl aufgrund der niedrigen Wahlbeteiligung um die Mobilisierung der eigenen Anhänger geht, spielen Emotionen und Feindbilder eine große Rolle. Aktiv den Gegner in die engere Kampagne aufzunehmen, wäre allerdings ein Fehler, da so dem Gegner die Wahlwerbung bezahlt wird aufgrund der oberflächlichen Wahrnehmung vieler Bürger.

WIEN-WAHL: ÖVP WIEN-PLAKATPRÄSENTATION / STS
  MAREK

ÖVP warb in Wien mit Michael Häupl

Machen Sie Parteien oder Politiker aus, die insbesondere nur eigene Inhalte oder insbesondere Fehler vom politischen Mitbewerber thematisieren?

Positiv zu erwähnen ist hier sicher Claudia Gamon von den Neos. Sie hat bisher jegliche Wadlbeißerei vermieden und sich stark auf die eigenen Botschaften konzentriert.

 

Die SPÖ versucht hingegen teilweise auch eine innenpolitische Denkzettelwahl in die EU-Wahl hineinzuinterpretieren. Das ist als Oppositionspartei prinzipiell nicht falsch und hat ihr zum Beispiel2004 bei vielen Landtagswahlen geholfen. Doch die Unzufriedenheit mit der Bundesregierung ist derzeit nicht so hoch. Die FPÖ ist derzeit noch in der Defensive, doch fühlt sie sich in der Ausgrenzung, Opferrolle nicht unwohl. Schließlich haben viele FP-Wähler ähnliche Empfindungen des Nicht-Wahrgenommen-Werdens. Die Frage ist allerdings, warum eher EU-skeptische Bürger überhaupt ein EU-Parlament wählen sollen. Voggenhuber und auch die Grünen mobilisieren hauptsächlich mit einer Verhinderung eines weiteren Rechtsrucks. Die ÖVP setzt hingegen hauptsächlich auf die Stärke ihrer Persönlichkeiten wie Karas und Edtstadler.

Austrian Chancellor Sebastian Kurz, Manfred Weber of Germany's CSU Party and Karoline Edtstadler and Othmar Karas, top candidates of Austria's OeVP Party for the European elections, attend a campaigning event in Vienna

Karoline Edtstadler, Manfred Weber, Sebastian Kurz, Othmar Karas

Parteien werben mit Fragen wie  „Menschen oder Konzerne?“ (SPÖ) oder "Wer braucht schon Frieden?“ (Grüne)  und Aussagen wie "Europa braucht Profis" (ÖVP) oder "Voten gegen EU-Asylchaoten" (FPÖ). Sind derlei Formulierungen beziehungsweise Schwarz-Weiß-Schemata dem Wahlkampf geschuldet, immer Teil der Politik oder von neuer Qualität?

In einem Wahlkampf können Positionierungen nur mehr zugespitzt werden. Je klarer und einfacher desto besser, je emotionaler und abgrenzender desto eher gelingt die Mobilisierung und die Gruppenbildung. Das war früher nicht anders wie heute, nur waren die ideologischen Profile früher klarer, weil die gesellschaftlichen Milieus und somit auch die Wählerschaften klarer abgegrenzt waren und die Mehrheit der Wähler aus Stammwähler bestand. Heute geht es auch um Ansprache vieler Unentschlossener oder wechselbereiter Wähler. Hinzu kommen der Kampf um Aufmerksamkeit und die Möglichkeit über eigene Kanäle zu kommunizieren. Die Botschaften waren aber auch früher weder differenzierter noch weniger emotional noch weniger warnend.

Wahlplakate zur Europawahl 2019 in Wien - Themenbild

FPÖ-Plakatsujets für EU-Wahl am 26. Mai

Eignen sich Dystopie wie beispielsweise bei Migration oder  Klima und das Schüren von Ängste besser, um Wähler für sich zu gewinnen als Visionen und positive Ideologien zu kommunizieren?

Angst ist leider eine gute Grundlage für einen Wahlerfolg, aber keine gute Grundlage für unsere Demokratie. Wenn heute Kampagnen dauerhaft stattfinden – irgendwo ist immer eine Wahl und wenn nicht, dann werden Themen- oder Personenkampagnen lanciert. Erfolge werden nicht mehr nur an Wahlgängen gemessen, sondern wöchentlich an Umfragewerten. Und auch Medien glauben mit Ängsten besser ihre Inhalte zu verkaufen, weil sie sich ebenfalls im Kampf um Aufmerksamkeit beim Publikum durchsetzen wollen. Dieses Dauerfeuer gefährdet unsere psychische Gesundheit. Verantwortung tragen auch hier die Konsumenten: Wir wünschen uns Visionen, konsumieren aber doch lieber die Schreckensszenarien. Evolutionsbiologisch ist das auch nachvollziehbar: Schließlich können wir nur überleben, wenn wir wissen, wo Gefahren lauern.

 

"Wünschen uns Visionen, konsumieren aber lieber Schreckensszenarien"

Politikwissenschafterin Kathrin Stainer-Hämmerle

Heute gehorchen Medien und Politik mehr den Marktgesetzen als ihrem „Erziehungsauftrag“. Der Vorteil ist das Bemühen um das Eingehen auf die Bedürfnisse der Bürger, vor allem weil ja die Geschlossenheit der Basis aufgrund einer gesellschaftlichen Vorstrukturierung – wie berufliche Milieus, Wohnort, Religion – verloren gegangen ist. Die Einheit der Gruppe muss täglich wieder hergestellt werden und am einfachsten gelingt dies mit Feindbildern. Wie „die Fremden“, „die Eliten“ oder „die Konzerne“.

Gab es das Augenmerk auf Sprache - vom Begriff des „Framing“ selbst bis hin zur Wortwahl „Bevölkerungsaustausch“ von Heinz-Christian Strache - immer schon oder erleben wir einen neuen Umgang mit Sprache, der die politische Wirklichkeit konstruiert? 

Framing und politische Kampfrhetorik gab es immer schon Das Wort „Lügenpresse“ ist keine moderne Erfindung. Mit steigender Bildung der Bevölkerung und mit dem Rückgang der Parteipresse beziehungsweise mehr unabhängigen Medien ist allerdings die Sensibilität dafür gestiegen. Nun haben wir beide medialen Welten parallel: Einerseits kritischen unabhängigen Journalismus, aber auch einzelne Bürger, die das thematisieren können mit modernen Medien. Andererseits gibt es in den sozialen Medien uralte Propagandatechniken mit allen Radikalisierungstendenzen von Meinungsblasen. Die gab es auch schon früher: Stichwort Parteipresse beziehungsweise Teilung der Bevölkerung in zwei ideologische Lager bis hin zum Fußballspiel oder Autofahrerklub. Durch das Aufeinanderprallen wird dies sichtbar wie noch nie zuvor, weil sich auch die Menschen nicht mehr ihr Leben lang statisch verorten.

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