Alexander Van der Bellen hat kurz nach der Veröffentlichung der wesentlichen Erkenntnisse aus den Vernehmungen Schmids (im Oktober 2022) in einer Ansprache gesagt: „Das, was in den letzten Tagen zum Korruptionsthema wieder öffentlich wurde, ist kein kleiner Wasserfleck! Es ist ein massiver Schaden, der an die Substanz der Demokratie geht.“ Van der Bellen forderte deshalb eine „Generalsanierung“.
Dass die Enthüllungen des ÖVP-Insiders sogar den Bundespräsidenten erschüttert haben, nutzt die WKStA also als Qualitätsmerkmal für ihren Kronzeugen.
Sittenbild
Schmid, der in mehreren Verfahren im Casag-Komplex selbst beschuldigt ist, kann nun darauf hoffen, mit einer Diversion davonzukommen. In den anstehenden Prozessen dürfte er nicht auf der Anklagebank, sondern im Zeugenstand sitzen.
Bei den Verteidigern der Beschuldigten sorgt das für wenig Freude – was auf der Hand liegt. Aber auch in Fachkreisen ist die Entscheidung nicht unumstritten.
So sagt Georg Krakow, Ex-Staatsanwalt und Ex-Vorstand bei Transparency International, es habe „sicher gewichtige Argumente dagegen“ gegeben. Dass sich die berufenen Behörden nun dafür entschieden haben, sei aber zu akzeptieren.
Angesichts des Van-der-Bellen-Zitats gibt er zu bedenken: „Bei einem Kronzeugen kommt es nicht darauf an, dass er ein Sittenbild zeichnet, sondern ob er konkrete, wesentliche Beiträge zu einer vollständigen Aufklärung von Straftaten leistet.“ Ein Kronzeuge könne ordentliche, genaue und sorgfältige Ermittlungen nie ersetzen, betont Krakow. Er sei eine „zusätzliche Quelle, aber nie die einzige“.
Ein Beispiel: Dass Ex-Kanzler Sebastian Kurz den Auftrag für das sogenannte „Beinschab-Tool“, mit dem frisierte Umfragen und Inserate im Boulevard finanziert wurden, gegeben haben soll, behauptet bis dato nur Schmid.
Krakow plädiert außerdem dafür, dass die Kronzeugenregelung „restriktiv“ eingesetzt werden sollte. Konzipiert wurde sie für Mitläufer.
Strafrechtsprofessor Robert Kert von der Wirtschaftsuni Wien sagt dazu: „Schmid ist eine zentrale Figur, und dass ein Haupttäter straffrei wird, ist umstritten.“ Er hält die Vorgehensweise der WKStA aber jedenfalls für „rechtlich vertretbar“.
Die Justiz habe es sich nicht leicht gemacht, wie auch die Dauer der Prüfung zeige: Schmid hat im Sommer 2022 sein Geständnis abgelegt, die WKStA hat bis März 2024 geprüft. Die Fachaufsicht brütete dann noch monatelang über der Entscheidung, bevor sie grünes Licht gab.
Auch, so glaubt Kert, weil die Folgen für künftige Verfahren mitbedacht werden mussten: „Der Anwendungsbereich wurde jetzt deutlich erweitert gegenüber dem, was bisher Usus war.“
Unikat
Die WKStA erklärt auf ihren 35 Seiten ausführlich, warum sie Schmid den Status, der ihn (mit Vorbehalt, siehe Faktenbox) vor einer Strafverfolgung schützt, zuerkennt. Aufgelistet werden sieben Fakten, die Schmid neu offenbart haben soll, zudem habe Schmid zu mehreren bereits anhängigen Ermittlungsverfahren sein Insider-Wissen geliefert. Viele seiner Aussagen würden sich mit Chats, die schon vorher bei ihm sichergestellt wurden, decken. Insgesamt halten die Ermittler also für schlüssig, was Schmid sagt.
Zur Glaubwürdigkeit ihres Kronzeugen erklärt die WKStA: „Grundsätzlich ist zu allen Ausführungen von MMag. Schmid festzuhalten, dass er differenzierte Angaben machte und niemanden pauschal unrechtmäßiger Handlungen bezichtigte.“ Selbiges gelte für seinen Auftritt als Zeuge im Falschaussage-Prozess gegen Kurz und dessen früheren Kabinettschef Bernhard Bonelli, der mit (nicht rechtskräftigen) Schuldsprüchen geendet hat.
Zudem ist Schmid ein Unikat: Während bisher bekannte Kronzeugen in der österreichischen Justizgeschichte meist aus Unternehmen gekommen seien, sei er als ehemaliger Spitzenbeamter der erste, der Einblicke gab in sonst uneinsichtige – weil so gut wie nie aktenmäßig dokumentierte – Vorgangsweisen der höchsten Entscheidungsträger der Politik und Verwaltung“, schreibt die WKStA.
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