Wie kommen wir aus der Krise? Das empfehlen Österreichs Top-Ökonomen
Das Budgetdefizit beziffert der Fiskalrat für das laufende Jahr mit einem Minus von 3,9 % – für 2025 mit 4,1 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP). Damit erreicht Österreich die in der EU geltenden Maastricht-Kriterien (3 %) nicht. Geht es nach den Wirtschaftsforschungsinstituten Wifo und IHS befindet sich Österreich im längsten Wirtschaftsabschwung seit 1946.
Was können oder was müssen die wohl bald regierenden Parteien ÖVP, SPÖ und Neos (respektive Grüne) tun, um die negativen Entwicklungen zu stoppen? Hat Österreich ein Einnahmen- oder ein Ausgabenproblem und muss die künftige Regierung – egal, wer dieser angehören wird – neue Steuern einführen, wie es die SPÖ fordert? Oder müssen die finanziellen Mittel anderswo „im System“ gefunden werden, damit die ÖVP ihr Wahlversprechen (keine neuen Steuern) halten kann?
Der KURIER hat Top-Ökonomen um ihre Einschätzungen der aktuellen wirtschaftlichen Situation und Empfehlungen für die Zukunft gebeten: Margit Schratzenstaller vom WIFO, Franz Schellhorn vom wirtschaftsliberalen Thinktank Agenda Austria, Oliver Picek vom gewerkschaftsnahen Momentum Institut und die Industriellenvereinigung. 20 Antworten auf die fünf wichtigsten Fragen:
Hat Österreich ein Ausgaben- oder ein Einnahmenproblem?
WIFO: Österreich hat eher ein Ausgaben- als ein Einnahmenproblem, darauf deuten Ausgaben- und Einnahmenquoten von über 50 Prozent des BIP hin. Die Ausgabendynamik ist hoch, weil die demografiebedingten Ausgaben steigen, aber auch, weil in einigen Bereichen wie Bildung oder Gesundheit mit relativ hohen Mitteln mittelmäßige Ergebnisse erzielt werden.
Agenda Austria: Ganz klar ein Ausgabenproblem. Die Ausgaben des Staates liegen bei 54,5 Prozent des BIP, das ist ein internationaler Spitzenwert. Das große Problem sind die Pensionen. Jährlich müssen 30 Milliarden Euro aus dem Budget zugeschossen werden, um das Defizit im staatlichen Pensionssystem zu stopfen. Das sind die Lohnsteuereinnahmen von Jänner bis November.
Momentum Institut: Österreich hat sich selbst ein Einnahmenproblem geschaffen. Wir haben zu viele Steuerprivilegien für Vermögende. Bis 1993 gab es noch eine Vermögensteuer, bis 2008 eine Erbschaftssteuer. Die Grundsteuer ist im internationalen Vergleich sehr niedrig. Hätten wir die Steuern smart reformiert statt abgeschafft, stünden die Staatsfinanzen heute besser da.
Industriellenvereinigung: Über Jahre hinweg wurde versucht, Probleme mit zusätzlichen Ausgaben zu lösen. So steigt laut Fiskalrat die Ausgabenquote bis 2025 um 5,2 Prozentpunkte im Vergleich zur Lage vor 10 Jahren, obwohl ein Großteil der Krisenhilfen ausgelaufen ist. Es wurde der einfache Weg der Ausgabenzuwächse beschritten, statt Einsparungen im System vorzunehmen. Wir haben also ein Ausgabenproblem.
Wie soll das Budget saniert werden?
WIFO: Kurzfristig werden ausgaben- und einnahmenseitige Maßnahmen erforderlich sein, weil es nur schwer möglich und konjunkturell problematisch ist, das Budget kurzfristig allein durch Einsparungen zu sanieren. Gleichzeitig sind Strukturreformen einzuleiten – im Föderalismus, Fördersystem, Gesundheitswesen, Pensionssystem –, die langfristig die Ausgabendynamik dämpfen.
Agenda Austria: Budgets lassen sich nur ausgabenseitig sanieren, das zeigen alle empirischen Studien. Die Rückführung der Förderungen auf das Vor-Corona-Niveau, die
Abschaffung der missbrauchten Bildungskarenz und der diversen Boni würden sofort mehrere Milliarden bringen. Gingen wir ein Jahr später in Früh-Pension wären das allein 2,5 Milliarden Euro pro Jahr.
Momentum Institut: Für große Unternehmen gab es eine milliardenschwere Subvention und Steuersenkung nach der anderen. Das gehört nachträglich gegenfinanziert mit Steuern auf Unternehmensgewinne. Die Finger lassen sollte man von Leistungen des Sozialstaats wie Pensionen oder Gesundheit. Die Leute können nichts dafür, dass die letzte Regierung schlecht gewirtschaftet hat.
Industriellenvereinigung: Um die Staatsfinanzen zu stabilisieren, ist eine ausgabenseitige Konsolidierung notwendig. Rasch wirksame Maßnahmen könnten beispielsweise eine Abschaffung des Klimabonus und eine Evaluierung aller Förderungen sein, auch die Reform der Bildungskarenz zählt dazu. Enorme Sparreserven sind durch eine Pensionsreform zu heben.
Österreich steckt in einer Rezession. Ist es vor diesem Hintergrund sinnvoll, die EU-Maastricht-Kriterien einzuhalten?
WIFO: Grundsätzlich sollte sich Österreich um die Einhaltung der Maastricht-Kriterien bemühen: durch Maßnahmen, die möglichst konjunkturschonend sind, wie die Einschränkung von Klimabonus, ökologisch schädlichen Subventionen oder ausgewählten Förderungen. Gleichzeitig sollten Spielräume für einen konjunkturverträglichen Konsolidierungspfad mit der EU-Kommission ausgelotet werden.
Agenda Austria: In Österreich ist für höhere Steuern interessanterweise immer ein guter Zeitpunkt, nur für Einsparungen ist es immer der falsche: In guten Zeiten denkt niemand daran, in schlechten Zeiten verweist jeder auf die schlechte Konjunktur. Dabei haben viele Länder die Kosten gesenkt, ohne der Konjunktur zu schaden.
Momentum Institut: Für 2025 sicher nicht. Mit einem Sparpaket während einer laufenden Rezession schneidet sich die künftige Bundesregierung ins eigene Fleisch, verlängert die Rezession. Zuerst muss der Staat für mehr Wachstum sorgen. Erst wenn Haushalte wieder mehr kaufen, Firmen wieder Aufträge haben und investieren, kann der Staat ohne Kollateralschaden einsparen.
Industriellenvereinigung: Falsch angelegte Konsolidierungsschritte, wie eine Anhebung der Körperschaftsteuer oder zusätzliche vermögensbezogene Steuern, wären schädlich. Die Einhaltung der Maastricht-Kriterien ist wesentlich, um das Vertrauen von Unternehmen und Konsumenten zu stärken sowie die gute Bonität Österreichs zu erhalten und noch höhere Zinszahlungen zu vermeiden.
An welcher Volkswirtschaft sollte sich Österreichs künftige Bundesregierung ein Beispiel nehmen?
WIFO: Es gibt nicht das eine „Musterland“, das in allen Politikbereichen als Vorbild dienen kann. Die skandinavischen Länder sind beispielsweise Vorbilder in Sachen Dekarbonisierung und Bildung einschließlich vorschulischer Kinderbetreuung, beides wichtige Voraussetzungen zur langfristigen Wohlstandssicherung.
Agenda Austria: Schweden stand in den 1990er-Jahren vor vergleichbaren Problemen: Die Schuldenquote und Neuverschuldung waren hoch. Das Land hat es aber geschafft, das Budget in den Griff zu bekommen. Strukturreformen umzusetzen und das Land nachhaltig zu modernisieren. Der Wohlstand ist hoch, Pensionen sind sicher, der Staat ist vorbildlich und effizient geführt.
Momentum Institut: Wir müssen uns die Rosinen von allen Ländern herauspicken. Norwegen hat gerade die Vermögensteuer erhöht. Unsere Nachbarländer – Tschechien, Slowenien und die Slowakei – verlangen einen stärkeren Beitrag der Gewinne von großen Konzernen zur Budgetsanierung. Die Hälfte der EU-Länder hat neue Bankensteuern auf deren Rekordgewinne eingeführt.
Industriellenvereinigung: Schweden steckte in den frühen 1990er-Jahren in einer schweren Wirtschafts- und Finanzkrise. Durch eine konsequente ausgabenseitige Sanierung des Budgets wurde die Staatsverschuldung gesenkt und es konnten neue politische Handlungsspielräume eröffnet werden. Wesentlich war, dass die Bevölkerung die Maßnahmen mittrug.
Welche Maßnahmen sind unabdingbar, um den Wirtschaftsstandort Österreich zu stabilisieren?
WIFO: Jetzt ist nicht die Zeit für Steuersenkungen oder Ausgabenerhöhungen, dafür fehlen auch die Mittel. Kurzfristig haben budgetschonende Maßnahmen Priorität: Entbürokratisierung, beschleunigte Abschreibung von Investitionen, aufkommensneutrale Entlastung der Arbeit. Gleichzeitig muss Budgetspielraum für Kinderbetreuung, Bildung, Digitalisierung und Dekarbonisierung erarbeitet werden.
Agenda Austria: Österreich braucht eine Ausgabenbremse wie in der Schweiz, einen Mechanismus, der den Ausgabenrausch des Staates unter Kontrolle bringt. Nur so kann wieder Vertrauen in den Standort entstehen, weil alle wissen, dass die Schulden von heute die Steuern von morgen sind. Ohne seriöse Budgetpolitik gibt es keinen guten Wirtschaftsstandort.
Momentum Institut: Österreich, Deutschland und die EU brauchen als Konjunkturmotor große Investitionsprogramme. Die Energiekosten müssen runter, das heißt den Turbo einlegen beim Ausbau der Stromnetze und Erneuerbaren. Der Staat muss selbst mehr bauen, damit es leistbare Wohnungen für Fachkräfte gibt und die Bauwirtschaft wieder anläuft.
Industriellenvereinigung: Der produzierende Sektor ist im dritten Rezessionsjahr. Es bedarf einer Ursachentherapie statt einer Symptombekämpfung. Die Kosten für Arbeit und Energie sind zu senken, Leistungsanreize zu setzen und Investitionen zu fördern. Dazu zählen eine Lohnnebenkostensenkung, ein Abgabenreduktionspfad hin zu unter 40 % und verstärkte Innovationsanstrengungen.
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