Gewerkschafter: "Wir geben Junglehrern nicht die nötige Expertise"

Bürgersalon
Schule in Not. Lehrergewerkschafter Kimberger über die Missstände im Schulbereich. Und er droht mit „gewerkschaftlichen Maßnahmen“.

Morgen in vier Wochen beginnt in Ostösterreich wieder die Schule. Was viele freut, führt bei manchen jetzt schon zu Unwohlsein und mehr – und die Rede ist diesmal nicht von Schülern: 60 Prozent aller Pädagoginnen und Pädagogen sind von einem Burnout bedroht, also in jener Risikogruppe, die wegen anhaltend hoher Belastung Symptome einer schweren Depression zeigt. Diese Studienergebnisse stammen noch von vor der Coronakrise, die Situation hat sich seither eher verschärft als gebessert.

Ausbrennen

„Inzwischen führen wir jede Woche Gespräche mit Kollegen, die sich an uns wenden, weil sie den Schulalltag nicht mehr aushalten und eine Alternative suchen“, sagt der Sprecher der Lehrergewerkschaft, Paul Kimberger, im KURIER-Gespräch. „Je höher der Druck und die Belastungen werden, desto mehr Ausfälle werden wir produzieren.“ Das sei menschlich eine Tragödie und ein immer größer werdendes Problem für das Schulwesen. Stichwort: Lehrermangel.

Ein Grund mehr für den Lehrergewerkschafter Kimberger, zumindest jene Kollegen, die im Schulsystem arbeiten, auch halten zu können. Man sei längst am Erheben, wie viele der 120.000 Pädagogen im Schulsystem am oder vor dem Ausbrennen sind. „Wir haben leider das Problem, offizielle Daten zu bekommen, das Problem ist aber auch, dass diese Form der psychischen Belastung noch immer für viele ein Tabu ist, für das man sich schämt.“

Gegen das Ausbrennen mache das Ministerium immer noch viel zu wenig, sagt Kimberger. Er setze auf zwei Verbesserungen: Mehr Unterstützungspersonal für die administrative Arbeit – und weniger Bürokratie, welche „die Pädagogen und die Schulleiter erdrückt. Im OECD-Bereich sind wir beim Anteil der Verwaltungskräfte noch immer Schlusslicht, auch wenn es etwas besser geworden ist. Im Pflichtschulbereich bremsen da die Landesregierungen, weil sie diese Arbeitskräfte nicht zahlen wollen.“

Und bei der Rücknahme von Bürokratie für die Lehrer sei man mit dem Ministerium im Gespräch, „die Frage ist, was das Ministerium bereit ist, umzusetzen“. Und wegen all der Missstände im Schulbereich wiederholt der Lehrergewerkschafter seine Drohung: „Alle gewerkschaftlichen Maßnahmen sind nach wie vor am Tisch.“

Teilzeit, Sabbatical

Kimberger warnt davor, dass einige Bildungsdirektionen in den Ländern angesichts des Lehrermangels überlegen, bei den Altersteilzeitlösungen oder den Sabbaticals (berufliche Auszeit) zurückzuschrauben. „Das halte ich für extrem kontraproduktiv, auch wenn das im ersten Moment kosmetisch die Situation verbessert. Mittelfristig würde das nur viel mehr Ausfälle produzieren. Wir sollten eher schauen, wie wir die Belastungen von Lehrern und Schülern runterbringen. Die Bildungsdirektionen sollten da viel mehr Serviceeinrichtung für die Schulen werden und überlegen, wie man den Lehrerberuf wieder attraktiver macht.“

Kimberger höre aber auch von Überlegungen, das „Teamteaching“ reduzieren zu wollen. Das ist jene Unterrichtsform, bei der in den Hauptfächern an Mittelschulen zwei Lehrer in den Klassen stehen. Kimberger: „Das Teamteaching ist sicher ein Qualitätsmerkmal der Mittelschulen, wir werde das sicher nicht einfach aufgeben.“

Was aber stimme, sei, dass Teamteaching, obwohl das mit Abstand die teuerste Art des Schulunterrichts ist, viel zu wenig in Theorie und Praxis in den Pädagogischen Hochschulen vermittelt werde. „Weil wir eine pädagogische Ausbildung haben, die sehr praxisfern, dafür aber hochwissenschaftlich ist. So können aber unseren jungen Kolleginnen und Kollegen leider nicht die Expertise und das Know-how mitgegeben werden, um sofort einen guten Einstieg in den Lehrerberuf zu ermöglichen. Nicht umsonst müssen wir ja noch immer für Junglehrer eine Induktionsphase machen für das praktische Wissen, das in der Ausbildung Platz finden müsste, aber dort nicht vermittelt wird.“ Nach wie vor hätten es die Lehrergewerkschafter oft mit Rückmeldungen von jungen Kollegen zu tun, die klagen, dass sie sich das Unterrichten ganz anders vorgestellt hätten, und die nun wieder aussteigen möchten oder erst gar nicht anfangen wollen. „Das kann doch nicht sein“, ärgert sich der oberste Lehrergewerkschafter.

Durch die angespannte Personalsituation an den Schulen habe Kimberger aber auch Zweifel, ob die Schulen im kommenden Schuljahr die ganze Palette ihres Angebots, etwa Nachhilfe oder Nachmittagskurse, anbieten können.

Miliz-Soldaten

Bildungsminister Martin Polaschek nimmt inzwischen jede Hilfe an, um sicherzustellen, dass zu Schulbeginn zumindest ein Erwachsener in jeder Klasse steht. Inzwischen wirbt er mit Verteidigungsminister Claudia Tanner gezielt um Milizsoldaten. Für Kimberger ist die Aktion gut, wenn auch nicht neu: „Das gab es schon bisher, dass sich zahlreiche Milizsoldaten während oder nach ihrer Laufbahn beim Heer für den Lehrerberuf entscheiden. Ich bin einer davon.“

Kommentare