Wifo-Chef zu Aktion 20.000: "Übers Ziel hinausgeschossen"

Christoph Badelt, Leiter des Instituts für Wirtschaftsforschung
Wirtschaftsforscher Christoph Badelt hätte das Beschäftigungsprogramm noch länger testen lassen. AMS-Chef Johannes Kopf begrüßt hingegen das Aussetzen der Aktion 20.000.

Das von der Regierung angekündigte vorzeitige Aus für die Aktion 20.000 wird von SPÖ und Gewerkschaften scharf kritisiert. Auch Wifo-Chef Christoph Badelt befürchtet, dass Türkis-Blau "über das Ziel hinausgeschossen hat", wie er im Standard sagt.

Zwar glaubt auch Badelt, dass keine 20.000 Jobs über diese Schiene hätten geschaffen werden können. Er hätte es aber begrüßt, das Programm, das sich an Langzeitarbeitslose über 50 richtet, erst einmal in der Praxis zu testen, statt es bereits nach der Pilotphase wieder zu stoppen.

Der Chef des Wifo war von der Regierung im Ministerratsbeschluss am Neujahreswochenende als einer jener Experten genannt worden, die es für sinnvoll hielten, den Beschäftigungsbonus vorzeitig zu beenden.

Beim Bonus bleibt Badelt bei seiner Einschätzung: "Ich halte es für gescheit, den Beschäftigungsbonus auszusetzen, weil in Zeiten der Hochkonjunktur die Mitnahmeeffekte zu groß wären."

IHS-Chef Martin Kocher twitterte gestern puncto Aktion 20.000 und Beschäftigungsbonus, es gebe gute Argumente für Beibehalten, aber auch für Sistieren. Wichtiger sei jedoch: Wieviel werde in Lohnnebenkostensenkung und Arbeitnehmerqualifikation investiert?

Kopf: Mehr Geld für Qualifizierung

AMS-Chef Johannes Kopf spricht von einer "momentanen Sistierung" der Aktion 20.000. "Ich glaube, dass das Geld momentan für Qualifizierung von anderen Personen besser eingesetzt ist, weil die Qualifizierungsförderung dann tatsächlich Leute nachhaltig auf den ersten Arbeitsmarkt bringt und nicht eine, auf befristete Zeit laufende Maßnahme ist", sagte er am Dienstagabend in der "ZiB2". Kopf sieht es als Hauptaufgabe an, Menschen dauerhaft in Beschäftigung zu bringen, mit dem Ziel, sie auch am Arbeitsmarkt zu halten und nicht auf Arbeitsplätzen zu fördern, die, wenn das Geld weg sei, auch weg seien.

Aus schlägt hohe Wellen

Massive Kritik kommt aus der SPÖ und auch Vertreter der Sozialwirtschaft zeigten sich am Mittwoch "sehr unglücklich über das überstürzte Ende der Aktion 20.000". Der burgenländische Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ) will die Landes-Sozialreferenten für die Aktion gewinnen.

Die schwarz-blaue Bundesregierung "nimmt älteren Arbeitslosen die Chance, am Arbeitsmarkt wieder Fuß zu fassen", so der nö. Landesparteivorsitzende Landesrat Franz Schnabl. Das Thema stehe bei der (morgigen) SPÖ-Präsidiumsklausur in Maria Taferl (Bezirk Melk) ganz oben auf der Tagesordnung, kündigte er an.

4.000 langzeitarbeitslose Über-50-Jährige hätten allein in Niederösterreich im Rahmen der Aktion Beschäftigung finden sollen. Seit Beginn der Pilotphase im Juli des Vorjahres seien in der Modellregion des Bundeslandes, dem Bezirk Baden, 101 Dienstverhältnisse geschaffen worden. Nun sei die Aktion 20.000 in einer "Nacht- und Nebelaktion" per Umlaufbeschluss knapp vor dem geplanten offiziellen, flächendeckenden Start Anfang 2018 ausgesetzt worden, kritisierte Schnabl. Es sei ein Gebot der Stunde, gerade in diesem Bereich Beschäftigungsanreize zu setzen.

SPÖ-Bürgermeisterin "maßlos enttäuscht"

Abg. Andreas Kollross, SPÖ-Bürgermeister von Trumau, kritisierte im Pressegespräch, das vorzeitige Ende der Aktion "lässt Betroffene und Gemeinden im Regen stehen". In der Marktgemeinde waren mit Juli sieben Stellen entstanden. "Maßlos enttäuscht" zeigte sich Karin Baier, SPÖ-Stadtchefin von Schwechat. Dort sollten im Rahmen der Aktion Anfang 2018 etwa 35 bis 40 Stellen - in der Verwaltung, am Bauhof oder in der Gärtnerei - geschaffen werden.

"Die Politik von Schwarz-Blau ist eine, die sich nun auch gegen Arbeitslose richtet. Sie zerstört Chancen und verstärkt Armut", warf der SPÖ-Landesparteivorsitzende der neuen Bundesregierung "unsoziale Maßnahmen" vor. Kritik übte der Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 28. Jänner auch an Johanna Mikl-Leitner (ÖVP): "Die Landeshauptfrau kann sich parteiintern offenbar kein Gehör mehr verschaffen und sich nicht durchsetzen", dadurch setze sie für das Bundesland "existenzielle Projekte und die Perspektiven vieler Niederösterreicher aufs Spiel".

In Kärnten hätten nach dem Roll-out der Aktion 20.000 rund 1.000 Personen - ein Drittel der im Jahresschnitt 3.000 älteren Arbeitslosen - einen Job bekommen sollen. Der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) und Arbeitsmarktreferentin LHStv. Gabi Schaunig (SPÖ) hatten gestern in einer Pressemitteilung erklärt, es sei ein "Schlag ins Gesicht dieser 1.000 Menschen in Kärnten", dass die neue Bundesregierung die Aktion 20.000 - eine der sinnvollsten sozialpolitischen Maßnahmen der vergangenen Jahre - "am letzten Tag des alten Jahres zu Grabe getragen hat". Die Aktion zu beenden sie nicht nur sozialpolitisch unverantwortlich, "sondern auch volkswirtschaftlicher Unfug". In der Pilotphase der Aktion 20.000 seien im Raum Villach von August bis Dezember 141 Personen in Beschäftigung gebracht worden, für 24 weitere lägen vertragliche Zusagen vor. Darüber hinaus gebe es in der Pilotregion aktuell 152 offene Plätze, die nach dem Roll-out der Aktion sofort überregional hätten besetzt werden können.

Darabos will Schulterschluss

Der burgenländische Soziallandesrat Norbert Darabos (SPÖ) will einen Schulterschluss aller Bundesländer gegen die Aussetzung der Aktion 20.000 erreichen. Er werde noch heute einen offenen Brief, mit der Bitte für den Fortbestand der Initiative einzutreten, an seine Länderkollegen schicken, teilte Darabos am Mittwoch per Aussendung mit.

Das Ziel sei eine breite politische Mehrheit und eine gemeinsame Resolution in Richtung der ÖVP-FPÖ-Bundesregierung, dass die Aktion 20.000 wie geplant über einen längeren Zeitraum getestet werden soll. Er werde das Thema auch bei der nächsten Sozialreferenten-Konferenz der Länder zur Sprache bringen, meinte Darabos. Die neue Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ) forderte er auf, keine "Placebo-Politik" zu betreiben und sich hinter die Initiative für Langzeitarbeitslose zu stellen.

Sozialwirtschaft für Beibehaltung

Die Sozialwirtschaft Österreich (SWÖ), der Verband der - meist gemeinnützigen - österreichischen Sozial- und Gesundheitsbetriebe appelliert am Mittwoch an die Regierung, so rasch wie möglich mit den beteiligten Stakeholdern nach Wegen zu suchen, wie die Intentionen der Aktion 20.000 nachhaltig -möglicherweise mit veränderten Instrumenten- verwirklicht werden können.

Die ersten praktischen Erfahrungen mit im Rahmen der Aktion Beschäftigten seien vielversprechend, wie die Rückmeldungen der betroffenen Betriebe bei der SWÖ gezeigt hätten, so Verbandvorsitzender Erich Fenninger am Mittwoch in einer Aussendung. "Von einer Entspannung der Lage älterer Langzeitarbeitsloser kann noch keine Rede sein. Der Rückgang der Arbeitslosigkeit letztes Jahr ist von einem sehr hohen Niveau erfolgt." Es gebe immerhin noch immer fast 450.000 Arbeitslose in Österreich, im Sozial- und Gesundheitsbereich sie die Arbeitslosigkeit sogar gestiegen.

"Auch wenn die Aktion 20.000 durchaus auch ihre Schwachpunkte hatte, ist ihr Ansatz Langzeitarbeitslose mittels konkreter Beschäftigung zu integrieren vollkommen richtig", so SWÖ-Geschäftsführer Walter Marschitz. "Die Hoffung auf bessere Konjunktur und Qualifizierungsmaßnahmen allein werden die Probleme in diesem Bereich nicht lösen können."

Der Präsident des österreichischen Gemeindebundes, Alfred Riedl, erklärte im "ORF-Morgenjournal", er sei als Steuerzahler der Meinung, dass es sinnvoll sei, immer wieder nachzudenken, ob Förderaktionen in diesem Umfang oder in diesem Ausmaß Sinn machten.

SPÖ-Sozialsprecher Josef Muchitsch hat am Mittwoch anhand konkreter Zahlen die Wirksamkeit der von der schwarz-blauen Regierung gestoppten Aktion 20.000 vorgerechnet. In jenen Regionen, in denen die Aktion im Pilotversuch angelaufen ist, ist demnach die Arbeitslosigkeit der Betroffenen zurückgegangen, in den anderen Regionen ist sie hingegen gestiegen.

Konkret ist in den Pilotregionen die Langzeitbeschäftigungslosigkeit der über 50-Jährigen seit Beginn der Aktion 20.000 um 11,7 Prozent oder 776 betroffenen Menschen gesunken. Das betrifft die Regionen Oberwart, Hermagor, Villach, Baden, Linz, Bischofshofen, Deutschlandsberg, Voitsberg, Innsbruck und Bregenz. In Wien ist die Langzeitarbeitslosigkeit dieser Personengruppe um 2,9 Prozent oder 550 Menschen zurückgegangen.

In den anderen Regionen, in denen die Aktion 20.000 nicht begonnen hat, ist die Zahl der älteren Langzeitarbeitslosen dieser Gruppe hingegen um 553 betroffene Menschen oder um 2,1 Prozent angestiegen.

Muchitsch zieht aus diesen Zahlen den Schluss, dass die Hochkonjunktur die Gruppe der älteren Langzeitarbeitslosen offenbar nicht erreiche. "Es zeigt sich: Die Aktion 20.000 wirkt." Muchitsch widerspricht damit Sozialministerin Beate Hartinger-Klein (FPÖ), die gemeint hat, dass die Erwartungen nicht erfüllt worden seien. Man habe bisher nur 1.326 Personen einen Job verschafft.

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