„Im Gegenteil, es gibt eher einen Trend hin zum Wahlplakat“, sagt Politologin Lore Hayek von der Universität Innsbruck zum KURIER. Parteien würden im Schnitt 35 bis 50 Prozent in Außenwerbung wie Plakate oder Inserate investieren – in den vergangenen Jahren tendenziell wieder mehr. „Plakate sind einfach eine Werbeform, die immer noch fast alle Leute erreicht“, sagt Hayek.
Wahltagsumfragen würden zeigen, dass 80 Prozent der Wählerinnen und Wähler vor der Wahl ein Plakat gesehen hätten. Wahlplakate erfüllen dabei laut Hayek gleich mehrere Funktionen: „Sie schaffen Aufmerksamkeit, bringen das Wahlprogramm einer Partei noch einmal auf den Punkt, mobilisieren die eigene Basis und weisen Wähler auch darauf hin, dass eine Wahl stattfindet.“ Insofern würden Wahlplakate auch eine demokratiepolitische Funktion erfüllen, sagt Digital-Wahlstratege Lukas Holter vom Campaigning Bureau – die ÖVP-nahe PR-Agentur orchestrierte beide Kurz-Wahlkämpfe. Wahlentscheidend sei die Plakat-Intensivphase, sechs Wochen vor der Wahl, aber nicht mehr: „Mitglieder und Wähler muss man bereits vor einem Wahlkampf über dauerhafte Digitalpräsenz erreichen.“
Holter war Leiter der Digitalstrategie des jüngsten CDU-Wahlkampfs in Nordrhein-Westfalen. Die CDU konnte ihr Ergebnis beim Wahltag am 15. Mai verbessern, landete mit 35,7 Prozent vor der SPD, die vier Prozentpunkte weniger ergatterte als 2017. Holter führt den Wahlerfolg darauf zurück, dass die CDU-Kampagne früher digital präsent gewesen sei – auf sozialen Medien, auf Google. Die SPD habe hingegen Bushaltestellen vollplakatiert. „Die Wahl gewinnt, wer im Netz erfolgreicher ist und in der heißen Phase auch auf der Straße aktiv ist. Die Materialschlacht verlagert sich jedenfalls zusehends ins Netz“, meint Holter.
Das zeige sich auch bei der Gewichtung der Medienformen: Innovative Wahlkämpfe würden mindestens 50 Prozent ihres Budgets im digitalen Raum einsetzen, sagt Holter.
Das neue Parteiengesetz soll teure Wahlkämpfe in Österreich erschweren und mehr Fairness garantieren. Eine Überschreitung der Wahlkampfkostenobergrenze, wie von der ÖVP 2017, soll durch schärfere Sanktionen für die Parteien schmerzhafter werden. „Die Wahlkampfkostenbeschränkung funktioniert nur bei entsprechender Kontrolle und mit entsprechenden Sanktionen“, meint Hayek. Derzeit melden die Parteien Wahlkampfkosten freiwillig ein. Stattdessen benötige es ein Organ beim Rechnungshof, das die Eilmeldung kontrolliere, sagt die Expertin. Aber vorausgesetzt, das Gesetz erfüllt seinen Zweck.
Wenn Parteien ihre Ressourcen gezielter einsetzen müssen, wo setzen sie dann den Sparstift an? Werden sie weniger für Plakate ausgeben? „Wahlplakate sind die teuerste Form der Wahlwerbung“, sagt Hayek. Für unbekannte Parteien seien sie aber eine gute Möglichkeit, breitenwirksam auf sich aufmerksam zu machen. Auch Großparteien wie die SPÖ oder ÖVP, mit auch älteren und nicht digital-affinen Wählergruppen, dürften weiterhin auf Plakate setzen: „Ich gehe davon aus, dass wir auch in Zukunft eine gewisse Grundausstattung sehen werden“, sagt Hayek. Gleichzeitig werde sich der Einsatz von Wahlwerbemitteln individualisieren. Werbung wird noch stärker auf den einzelnen Wähler zugeschnitten. Und zwar nicht nur in sozialen Medien, betont Hayek: „Micro-Targeting, wie in den USA, wird auch in der realen Welt zunehmen. Über Hausbesuche oder Wahlveranstaltungen kann man Menschen auch in ihrer Lebenswelt abholen.“
Möglicherweise gibt es künftig in Summe weniger Plakate, doch als Werbemittel dürfte sich das Papierungetüm halten. Selbst Bundespräsident Alexander Van der Bellen, der mit einem TikTok-Video seine Wiederkandidatur verkündete, dürfte in der heißen Phase auf altbewährte Wahlwerbemittel setzen.
Gegentrends gibt es in Österreich aber. Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser (SPÖ) verzichtete in vergangenen Wahlkämpfen gänzlich auf Plakate. In Tirol fordern ÖVP und Grüne ein Inseratenverbot vor der Landtagswahl, Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) führt wiederum ein Plakatverbot ins Treffen.
Das schade vor allem Kleinparteien, kritisieren Burgenlands Grüne und die FPÖ. Auch Verfassungsjurist Heinz Mayr spricht von einer „demokratiepolitisch extrem bedenklichen“ Entwicklung. Die Grünen erwägen gar eine Klage vor dem Höchstgericht.
Mitarbeit: Antonia Fliesser
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