Zwar hat der Anteil der Skeptiker seit Start der Impfkampagne deutlich abgenommen. Waren damals noch 47 Prozent mehr oder weniger abgeneigt, sind es nun 20 Prozent. Das lag aber weniger an der Impfung, als am Zeitpunkt. Im Winter gab es laut Kittel noch viele Unsicherheiten hinsichtlich Wirksamkeit und Nebenwirkungen. Je mehr geimpft wurden, desto stärker nahm die Skepsis ab.
Seit April stabilisiert sich der Prozentsatz der Verweigerer, und die Forscher gehen davon aus, dass der Plafond vorerst so gut wie erreicht ist.
Aber wer sind die, die eine Impfung ablehnen? Es seien jene 20 bis 25 Prozent der Bevölkerung, die auch die bisherigen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie zumeist nicht mitgetragen hätten, sagt Wirtschaftssoziologe Kittel. Prinzipiell sei es keine bestimmte Gruppe, dennoch lassen sich gewisse Häufungen erkennen. Wie etwa, dass sie sich vorwiegend über soziale Medien informieren und Verschwörungstheorien eher glauben. Darunter fällt der oft gehörte Satz, der Impfstoff sei aufgrund der schnellen Entwicklung unsicher. „Derartige Impfstoffe werden seit vielen Jahren entwickelt. Jetzt ging es schnell, weil Milliarden investiert wurden“, erklärt Kittel. „Aber wenn man auf Facebook nur Verschwörungstheorien liest, wird man diese Informationen nicht finden.“
Außerdem hätten Impfverweigerer ein generelles Misstrauen gegenüber dem Staat und der Medizin, etwa, weil sie negative Erfahrungen gemacht hätten. Auffallend sei auch, dass unter FPÖ-Wählern die Skepsis größer sei, „was allerdings nicht bedeutet, dass alle, die die Impfung ablehnen, auch die FPÖ wählen und umgekehrt“.
In einer weiteren Studie fand Barbara Prainsack heraus, dass Menschen unter 60 eher impfskeptisch seien. Ebenso jene mit niedrigerem Bildungsniveau. Und sie hätten eine Ablehnung des Kollektiven gemeinsam. Heißt: „Sie glauben, es alleine schaffen zu können“, sagt sie. Darunter fallen Aussagen wie „mein Immunsystem schafft das auch ohne Impfung“.
Die Solidarität innerhalb der Gesellschaft nimmt nicht erst seit Corona ab. Seit Jahren beobachtet Kittel einen Rückgang. Das betreffe weniger das unmittelbare Umfeld – Nachbarschaftshilfe habe in Österreich nach wie vor einen großen Stellenwert –, sondern die gesamte Gesellschaft. „Corona hat diesen Wandel wie ein Katalysator beschleunigt.“ Das hat in der derzeitigen Gesundheitskrise die unmittelbare Folge, dass eine vierte Welle unausweichlich scheint. Die von Experten geforderte Durchimpfung von 85 Prozent wird kaum zu erreichen sein, sagen die Forscher. „Wir werden wohl bei 70 bis 80 Prozent landen.“
Damit wir es überhaupt soweit schaffen, könnten laut Politologin Prainsack Anreize helfen. Allerdings nur für bestimmte Gruppen wie Jugendliche. Allgemeine Anreize wie in den USA, wo es für die Impfung Geld und Burger gibt, hält sie für problematisch. Sie könnten Skeptikern das Gefühl geben, mit der Impfung stimme etwas nicht. Eine Impfpflicht, wie es sie teils schon für Krankenhaus-Personal gibt, mache nur für bestimmte Berufsgruppen Sinn, meint Wirtschaftssoziologe Kittel. Der ein oder andere Skeptiker würde vielleicht mitmachen, aber hartgesottene Gegner würden sich mehr radikalisieren. Letztere würden drei bis fünf Prozent ausmachen.
Dass die Gesellschaft aufgrund der neuen Gräben völlig auseinanderdriftet, glauben die Forscher dennoch nicht. Zu groß sei der Konsens über grundlegende Werte. Prainsack: „Österreich ist deswegen kein Land der grantigen Egoisten geworden.“
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