Grüne starten heute Gespräche mit Opposition: Was die Parteien nun planen
Das politische Kräfte-Parallelogramm in der gegenwärtigen Koalitionskrise ist komplex, die Lage einigermaßen unübersichtlich. Der KURIER bietet einen Überblick, welche Überlegungen - politischer und strategischer Natur - derzeit in den einzelnen Parteien angestellt werden:
Schicksal der ÖVP hängt an Kurz
Aus der ÖVP gibt es ein offizielles Signal: Die Reihen hinter Sebastian Kurz sind dicht geschlossen. Alle neun Landeschefs stützen den ÖVP-Chef. Auch sämtliche Regierungsmitglieder haben erklärt, dass sie nur in der Regierung bleiben, wenn Kurz Kanzler bleibt. Das passiere aus „tiefster demokratischer Überzeugung“, hieß es in der Aussendung. Politikinteressierte erleben gerade ein Déjà-vu. Auch die FPÖ stellte sich 2019 geschlossen hinter Herbert Kickl, als die ÖVP damals die Bedingung stellte, dass ein Weiterregieren nur ohne den damaligen Innenminister möglich sei.
Allerdings haben sich die Grünen offenbar taktisch etwas verdribbelt. Sie versuchten Donnerstagvormittag, mögliche Allianzen für eine Regierung ohne Kurz innerhalb der ÖVP auszuloten, weil der Koalitionspartner die „Handlungsfähigkeit von Kurz“ anzweifelt.
Hausdurchsuchungen bei ÖVP: Videokommentar von Ida Metzger
„Die Grünen haben am Vormittag die Minister und Landeschefs durchtelefoniert. Aber genau dieser Versuch, die ÖVP hinterrücks auseinanderdividieren, hat die Reihen noch dichter geschlossen“, so ein hoher ÖVP-Funktionär gegenüber dem KURIER.
Würde die türkise Mauer auch halten, wenn eine Konzentrationsregierung aus SPÖ, FPÖ, Grünen und Neos gebildet würde? Derzeit schaut es so aus, dass die Loyalität hält. „Das schauen wir uns an, wie die Grünen und die SPÖ Corona-Maßnahmen mit der FPÖ umsetzen wollen“, so ein Türkiser.
Hinter den Kulissen gibt es auch andere Meinungen – vor allem in Niederösterreich, wo im Jänner 2023 gewählt wird: Kurz sei auf Dauer wohl nicht zu halten, die Vorwürfe seien gravierend, und die ganze Situation bedeute eine Gefahr für die NÖ-Landtagswahl. Auch sei es unrealistisch, mit Kurz als Spitzenkandidat in Neuwahlen zu gehen – weil ein Spitzenkandidat, der bei der Justiz vorgeladen wird, und zu dem alle anderen Parteien erklären werden, dass sie ihn nicht (mehr) zum Kanzler machen werden, funktioniere nicht, so eine „erfahrene Einschätzung“ aus Niederösterreich.
Grüne: Ja zur ÖVP, aber Nein zu Sebastian Kurz
Keine Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Moria. Keine Aufnahme von gefährdeten Frauen aus Afghanistan. Keine Fortsetzung des Ibiza-U-Ausschusses. Und dann noch ungustiöse Chats aus Zeiten von Türkis-Blau: Die Grünen mussten in fast zwei Jahren Koalition schon so einiges wegstecken. Sie betonten stets die gute Regierungszusammenarbeit, konzentrierten sich auf ihre Herzensprojekte. Dazu positiv beigetragen hat, dass Grünen-Chef und Vizekanzler Werner Kogler immer ein gutes Verhältnis mit ÖVP-Chef und Kanzler Sebastian Kurz hatte. Hatte. Die neuen Vorwürfe der Korruptionsjäger brachten das Fass zum Überlaufen – Kurz sei als Kanzler nicht mehr tragbar, hieß es in internen Kreisen. Als erster Grüner offen ausgesprochen hat das der Wiener Bezirksvorsteher Markus Reiter gegenüber dem KURIER: „Sebastian Kurz muss zurücktreten, wenn er ernst nimmt, was er damals zur Causa Strache gesagt hat.“
Was aber nicht bedeuten muss, dass die Koalition zerbricht. Die Grünen spekulierten zunächst darauf, dass sich einige Türkise bzw. Schwarze in den Ländern gegen ihren Parteichef auflehnen – und ihn für die Fortsetzung der Koalition opfern. Erste Signale in diese Richtung soll es bereits gegeben haben. „Die Regierungsarbeit läuft gut, wir haben gerade erst wichtige Projekte auf Schiene gebracht. Und wir sind noch lange nicht fertig“, schilderte ein grüner Insider. Wenig später sagte die türkise Regierungsriege ab. Am Freitag wollen die Grünen mit allen Parteien sprechen.
Ein neues Bündnis mit SPÖ, FPÖ und Neos dürfte schwierig werden – etwa beim Klimathema oder bei Corona. Bei Transparenz und Bildung hätten die Grünen mit den Neos viel gemeinsam, bei Arbeit und Sozialem gebe es Parallelen mit der SPÖ, wird spekuliert. Fraglich ist, wie es mit der ökosozialen Steuerreform weitergehen würde: Alle Oppositionsfraktionen hatten das von Türkis-Grün geschnürte Paket scharf kritisiert, es müsste wohl aufgeschnürt und neu verhandelt werden.
SPÖ liebäugelt mit Beamtenregierung
Die SPÖ will – wie die gesamte Opposition – Kurz am Dienstag das Misstrauen aussprechen. Donnerstagabend traf sich das Parteipräsidium – und selbst der burgenländische Parteichef Hans Peter Doskozil war in Wien. Auch gegen weitere türkise Minister ist ein Misstrauensantrag geplant, sagte Parteichefin Pamela Rendi-Wagner, ohne Namen zu nennen. Was es mit der SPÖ vorerst nicht geben wird: Neuwahlen. Zumindest nicht mit Rendi-Wagner. Weder in Umfragen, noch in Oberösterreich verzeichnete man zuletzt nennenswerte Zugewinne. Die Ärztin Rendi-Wagner konnte sich in der Pandemie nicht profilieren und erntete am Parteitag das zweitschwächste Wahlergebnis der Parteigeschichte. Die SPÖ hat unter der starken Einbindung von Michael Ludwig zwei Szenarien erarbeitet.
Szenario eins: Die Grünen setzen sich im Poker durch, Kurz tritt zurück und die Regierung wird unter einem Kanzler aus den Reihen der „schwarzen ÖVP“ fortgeführt. Szenario zwei: Die türkis-grüne Koalition zerbricht, SPÖ, FPÖ, Neos sowie Grüne stützen eine Beamtenregierung. Bei den Roten spitzt man darauf, in traditionell schwarzen Ressorts wie dem Finanz- oder Innenministerium aufzuräumen. Ewig soll der Zustand nicht andauern. Mit einer Beamtenregierung soll es 2022 Neuwahlen geben, so der SPÖ-Plan.
FPÖ schließt Neuwahlen nicht aus
Die FPÖ lässt sich kaum in die Karten schauen. Fest steht nur: Sie wird Kurz genüsslich das Misstrauen aussprechen. Die Personalie Herbert Kickl besiegelte nach Bekanntwerden des Ibiza-Videos 2019 das Ende von Türkis-Blau. Während die ÖVP damals bilanzierte, dass Kickl als Innenminister „untragbar“ sei und sein Ausscheiden aus der Regierung zur Koalitionsbedingung gemacht hat, bezeichnete Kickl am Donnerstag Kanzler Kurz süffisant als „untragbar“.
Dementsprechend unwahrscheinlich ist ein fliegender Koalitionswechsel zu Türkis-Blau – obwohl die beiden im Nationalrat eine Mehrheit und inhaltlich große Überschneidungen hätten. Die FPÖ könnte auch in anderen Varianten den Entscheider spielen. Etwa als querdenkender Königsmacher einer Viererkoalition mit SPÖ, Grünen und Neos. Die konträren Standpunkte in der Corona-Politik machen das schwierig. Realistischer: Alle vier Parteien unterstützen eine Beamtenregierung. Die FPÖ könnte sich als staatstragend profilieren – was ihr nach eineinhalb Jahren Corona-Krawallkurs strategisch nicht schaden würde. Auch nicht ausgeschlossen: Die FPÖ unterstützt einen Neuwahlantrag der ÖVP. Die Blauen könnten in diesem Szenario mit Zugewinnen rechnen – abhängig davon, wie stark die Corona-Protestpartei MFG abschneiden würde.
Neos für fast alle Optionen offen
Auch die Pinken werden Kurz das Misstrauen aussprechen. Unabhängig davon wolle man in einem ersten Schritt Gespräche mit den anderen Parteien – allen voran mit den Grünen – führen, hieß es. Viererkoalition oder Beamtenregierung: Eine Präferenz dürfte es derzeit tatsächlich nicht geben. Neuwahlen kämen für die Neos nicht infrage, stattdessen brauche es „saubere Politik“, sagte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger. Im Hinterkopf dürfte man diese Variante aber dennoch haben: Zerbröselt Türkis-Grün, könnten die Liberalen bei Neuwahlen enttäuschte bürgerliche Wähler abgreifen.
Kommentare