Wer künftig für die Pflege zahlt
Im Jahr 2050 wird jeder zehnte Österreicher über 80 Jahre alt sein. Wer soll diese Senioren dann pflegen? Wo sollen sie gepflegt werden? Und vor allem: Wer soll das bezahlen?
Die Politik scheint auf diese wesentlichen Zukunftsfragen keine Antworten zu haben – die große Pflegereform blieben die früheren Regierungen schuldig. Jetzt, im Wahlkampf, wird das Thema wieder von allen Parteien groß gespielt – immerhin ist fast jeder vierte Wahlberechtigte im Pensionsalter. Und diese Wähler wollen Antworten.
Der KURIER beleuchtet bis zur Nationalratswahl am 29. September die großen Sachthemen – den Anfang macht die Pflege.
40.000 neue Kräfte nötig
Zur Ausgangslage: Mehr als 460.000 Menschen beziehen derzeit Pflegegeld, der überwiegende Teil (85 Prozent) wird zu Hause versorgt. Fast eine Million Menschen sind in die Pflege ihrer Angehörigen involviert. In der Pflege in Teil- oder Vollzeit beschäftigt sind rund 66.000 Personen, davon mehr als 40.000 im stationären Bereich. Bund und Länder geben für die Pflege jährlich rund 5 Milliarden Euro aus, davon werden 2,5 Milliarden als Pflegegeld ausbezahlt.
Die Prognose für 2050 verdeutlicht den Handlungsbedarf: 2050 sollen die Zahl der Pflegegeldbezieher auf 750.000 angestiegen sein. Bis zu 40.000 zusätzliche Pflegekräfte braucht es da. Laut einer Wifo-Studie werden sich die Gesamtkosten für die Pflege bis dahin auf fast 9 Milliarden Euro belaufen.
Weniger zu Hause
Die Finanzierungsfrage dominiert derzeit die politische Debatte, eine wesentliche Frage ist für Betroffene aber die Qualität. Schon jetzt gibt es einen eklatanten Mangel an Fachkräften und Nachwuchs, sagt Hanna Mayer, Leiterin des Instituts für Pflegewissenschaft an der Uni Wien. Der Beruf müsse massiv attraktiviert werden.
Die frühere türkis-blaue Regierung überlegte eine „Pflege-Lehre“. Praktiker wie Mayer sehen das aber problematisch: Der Pflegeberuf sei schlicht „zu heavy und verantwortungsvoll“ für 15- oder 16-Jährige, sagt sie.
Verändern wird sich auch die Art der Pflege: Laut Wifo-Studie wird künftig weniger im Familienkreis gepflegt – aus einem einfachen Grund: Derzeit machen das meist Frauen (drei Viertel!). Mit steigender Erwerbstätigkeit fehlt die Zeit, der Wechsel ins Pflegeheim wird nötig. Dort brauche es neue Ansätze, sagt Mayer: Pflegeheime seien oft organisiert wie Krankenhäuser, zu wenig im Fokus sei das „Leben im Alter“.
Kurzum: Auf Staat und Steuerzahler kommen neue Herausforderungen und Ausgaben in Milliardenhöhe zu. Die Parteien haben unterschiedliche Lösungen, wie das in Zukunft finanziert werden soll.
460.785 Personen haben 2018 Pflegegeld bezogen. Bis 2050 sind es 750.000.
85 % der Bezieher werden zu Hause gepflegt, nur 15 Prozent leben in einer Einrichtung. Stationäre Betreuung soll aber zu nehmen.
65.657 Personen arbeiten im Pflegebereich, davon rund zwei Drittel stationär. Bis 2050 werden zusätzliche 40.000 gebraucht.
ca. 5 Mrd. Euro gab die öffentliche Hand 2018 für Pflege aus. 2050 dürfte sie 9 Mrd. Euro kosten.
ÖVP: In Zukunft via Versicherung
Die Türkisen wollen eine verpflichtende Pflegeversicherung. Neben dem „Pflegegeld neu“ und Erleichterungen für pflegende Angehörige ist das der zentrale Punkt im ÖVP-Konzept. Sie soll als 5. Säule der Sozialversicherung ähnlich der Kranken-, Pensions-, Unfall- und Arbeitslosenversicherung, organisiert werden. Die AUVA soll als Träger fungieren. Die Beiträge zur Unfallversicherung werden nicht ausreichen, es braucht eine Deckung aus dem Budget. Die ÖVP ist für ein Mischsystem.
SPÖ: Pflegegarantie vom Staat
Die Roten wollen die Ausgaben von Bund und Ländern plus Einnahmen aus einer Millionärssteuer in einem Pflegegarantiefonds bündeln. So stünden jährlich sechs Milliarden zur Verfügung. Zudem gibt die SPÖ eine „Pflegegarantie“ ab: Der Staat übernimmt alle Kosten für mobile Pflege oder Pflege im Heim.
FPÖ: Gegen Regress
Die Blauen sind strikt für die dauerhafte Abschaffung des Pflegeregresses und stemmen sich gegen alle Versuche, den Regress bei zu Pflegenden oder den Erben wieder einzuführen. Die FPÖ ist aber auch gegen die Pflichtversicherung der ÖVP. Sie wollen die Kompetenzen und Finanzströme im Gesundheitswesen insgesamt bündeln. Dadurch könnte man laut Rechnungshof jährlich 4,75 Milliarden Euro sparen, die in den Pflegebereich umgeschichtet würden. Außerdem macht sie die FPÖ für die Pflege-Lehre stark.
Neos: Zusatzversicherung
Auch die Pinken sagen: Das Altern in Würde und die Notwendigkeit von Betreuung und Pflege muss gesichert sein – qualitativ wie finanziell. Dafür schlagen sie u. a. eine staatliche Förderung für private, freiwillige Pflege-Zusatzversicherungen vor – ähnlich einer Pensionszusatzversicherung.
Liste Jetzt: Erbschaften
Die Partei von Peter Pilz würde eine progressive Erbschaftssteuer ab 500.000 Euro einführen. Dieses Geld soll u.a. in höhere Löhne für Pflegekräfte fließen sowie eine bessere Pflegequalität mit gleichen Leistungen in ganz Österreich ermöglichen.
Grüne: Steuerfinanziert
Die Grünen fordern Verbesserungen für jene Frauen, sowie Kinder und Jugendliche, die daheim Angehörige pflegen. Eine Professionalisierung sei nötig. Zudem sagen sie: Die Steuerfinanzierung der Pflege soll beibehalten werden. Die ÖVP-Pflegeversicherung lehnen die Grünen ab.
Einige Bundesländer setzen bei Pflege bereits eigene Akzente
In den Bundesländern schaut man gespannt auf die Vorschläge der Parteien, weil man weiß, dass man da kräftig mitfinanzieren wird müssen. Der Konflikt wegen der Abschaffung des Pflegeregresses ist noch in bester Erinnerung.
Erst vor wenigen Wochen hat die „Westachse“ – Salzburg, Tirol und Vorarlberg – vom Bund einen höher dotieren Pflegefonds und eine neue Formel der Pflegefinanzierung gefordert. Der Bund müsse auch beim Ausbau regionaler Pflege-Angebote mitfinanzieren. Alle drei ÖVP-Landeshauptmänner sprachen sich auch für eine Pflegeversicherung aus.
Im Burgenland will Landeshauptmann Hans Peter Doskozil (SPÖ) nur noch gemeinnützige Pflegeheime und eine soziale Absicherung für pflegende Angehörige. Diese sollen bei einer Landesgesellschaft angestellt werden. In NÖ werden Krankenanstalten und Pflegeheime in eine Agentur zusammengeführt, um Kosten zu sparen.
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