Wer intervenierte bei Orban gegen Österreich? Sobotka sagt, er war's nicht
Eine Reise von vor fast sechs Jahren sorgt neuerdings für innenpolitische Aufregung. Es geht um den schwerwiegenden Vorwurf, dass ein österreichischer Minister aus parteipolitischen Motiven gegen die Interessen Österreichs beim ungarischen Regierungschef Viktor Orban interveniert habe. Der KURIER recherchierte nach.
Was im Sommer 2016 geschah: Der damalige Kanzler Christian Kern reiste zu seinem ungarischen Amtskollegen Viktor Orban auf Antrittsbesuch. Es war der Höhepunkt der Flüchtlingskrise, in Österreich regierte die große Koalition. Kern war gerade erst Kanzler geworden, Sebastian Kurz war Außenminister und bereitete seinen Sprung an die ÖVP-Spitze vor, Wolfgang Sobotka war Innenminister.
Die Polit-Schlacht um die Flüchtlinge war voll in Gang. Kurz drängte auf Asylstopp, Kern sagte, die beiden ÖVP-Minister Kurz und Sobotka sollten mit Orban ein Abkommen schließen, sodass Ungarn nicht alle Flüchtlinge nach Österreich und Deutschland weiter winke.
Vorbereitung in Wien
Dann stand Kerns Antrittsbesuch bei Orban in Budapest an. Vor dem Antrittsbesuch sagte Kern in Wien im Ministerrat, er werde Orban vorschlagen, dass Orban 5000 über Ungarn nach Österreich eingereiste Flüchtlinge zurücknehmen solle, im Gegenzug würde Österreich für deren Unterkünfte in Ungarn aufkommen. Diesen politischen Vorstoß hatte Kern zuvor auch mit dem damaligen EU-Kommissionspräsidenten Jean-Claude Juncker abgesprochen.
In Budapest
Als Kern bei Orban sein Anliegen vorbrachte, grinste Orban breit und sagte: „Ihr wollt das doch gar nicht.“ Ein „Regierungskollege“ von Kern habe bei ihm, Orban angerufen und gebeten, Orban solle die Flüchtlinge in Österreich belassen, damit Kern keinen Verhandlungserfolg habe.
Kern murmelte, peinlich berührt, etwas von einem „Missverständnis“ und fragte, wer das gewesen sein solle. Orbans Antwort sinngemäß: „Na, wir haben ja mit Ministern von Euch in der Causa zu tun.“
Ende der Story von 2016.
Sobotkas Dementi
Vor wenigen Tagen machte Kern den Vorfall öffentlich und ventilierte, dass es sich bei dem Anrufer in Budapest um Innenminister Wolfgang Sobotka gehandelt habe. Vom KURIER dazu befragt, dementiert der nunmehrige Nationalratspräsident Sobotka: „Das stimmt schlichtweg nicht. Ich denke, dass sich jeder selbst ein Urteil darüber bilden kann, warum dieser Vorwurf Jahre später kommt.“
Tatsache ist, dass sich Sobotka damals beim ungarischen Innenminister Sandor Pinter laufend bemüht hat, dass Ungarn die Dublin-Regeln einhält und die Flüchtlinge nicht einfach nach Österreich und Deutschland durchwinkt. Eine Intervention in die Gegenrichtung – dass Ungarn Flüchtlinge nicht zurücknehmen soll, „wäre also einigermaßen überflüssig gewesen“, fügt Sobotkas Sprecher auf KURIER-Nachfrage hinzu.
Wer war es?
Wer war es also, der damals aus parteipolitischen Überlegungen gegen Österreichs Interessen in Budapest intervenierte?
Kerns Darstellung wird von Thomas Drozda, Kerns damaligen Kanzleramtsminister, gestützt. Drozdas ungarischer Amtskollege Janos Lazar habe ihm, Drozda, bei der Reise 2016 genau dasselbe erzählt.
Auf KURIER-Nachfrage bei Drozda und Kern stellt sich heraus: die Ungarn haben den Namen des intervenierenden Ministers nicht genannt. Drozda meint, es hätte sich auch um Sebastian Kurz handeln können, denn es sei naheliegend, dass Kurz Orban über die EVP oder die außenpolitische Schiene kannte.
Die Opposition will die Sache jedenfalls aufklären: Die Neos wollen den ÖVP-U-Ausschuss damit befassen, die FPÖ hat eine parlamentarische Anfrage angekündigt.
Warum hat Kern nie etwas gesagt?
Warum hat Christian Kern nie etwas von der Sache erzählt? Gegenüber dem KURIER sagt Kern, als Kanzler hätte er den betreffenden Minister im Sommer 2016 aus der Regierung entlassen müssen, wenn diese Aktion öffentlich geworden wäre. Das hätte aber Neuwahlen bedeutet und die Brücken zur ÖVP für die anschließende Regierungsbildung verbrannt.
Warum er die Story nicht später im Wahlkampf wenigstens erzählt hat, oder im Mitterlehnerbuch beigesteuert hat, bleibt unklar. Die beiden SPÖler sagen, es seien "so viele Ungeheuerlichkeiten passiert, dass sie diesen einen Vorfall unter vielen nicht mehr präsent hatten".
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