Finale im Falschaussage-Prozess: Welches Urteil auf Kurz zukommen könnte
Im Falschaussage-Prozess gegen Ex-Kanzler Sebastian Kurz und Ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli dürften am Freitag die Urteile fallen. Welche – darüber wird heftig spekuliert.
In der Strafverteidiger-Szene, die den Prozess aufmerksam verfolgt, macht seit einiger Zeit ein Stichwort die Runde: „Putativnotstand“.
Zur Ausgangslage: Kurz und Bonelli wird vorgeworfen, bei ihren Befragungen im U-Ausschuss 2020 ihre Rolle in Bezug auf Postenbesetzungen bei der Staatsholding ÖBAG kleingeredet zu haben.
Kurz sagte, er sei als Bundeskanzler „involviert im Sinne von informiert“ gewesen, die Entscheidungen habe aber Finanzminister Hartwig Löger getroffen. Bonelli beschränkte sich bei seinen Antworten auf die formalen Vorgänge.
Angst
Vor Gericht schilderten beide, unter welchem Druck sie gestanden seien, wie feindselig die Stimmung im U-Ausschuss gewesen sei. Sie hätten Angst gehabt, die Abgeordneten würden ihnen etwas anhängen, sie anzeigen – und die WKStA würde dann die Fakten verdrehen und sie verfolgen.
Dementsprechend argumentierten Verteidiger Otto Dietrich und Werner Suppan in Richtung eines Aussagenotstandes: Ihre Mandanten hätten zwar nichts Falsches gesagt, aber falls doch, dann nur, um die Gefahr einer Strafverfolgung abzuwenden.
Irrtum
Allerdings wäre es laut gängiger Rechtsmeinung gar nicht strafbar gewesen, hätten Kurz und Bonelli bei der ÖBAG mitgeredet. Deshalb kommt jetzt der Putativnotstand ins Spiel. „Dieser greift, wenn jemand der irrigen Annahme ist, dass er sich in einer Situation befindet, in der es eine Gefahr abzuwenden gilt“, erklärt Robert Kert, Professor für Strafrecht an der Wiener WU.
Ein Beispiel: Sie gehen eine dunkle Gasse entlang, eine bedrohliche Gestalt taucht auf. Als diese in die Manteltasche greift, schlagen Sie zu. Nachher stellt sich heraus: Der vermeintliche Angreifer wollte Sie gar nicht angreifen, er hat nur nach seinem Handy gegriffen. Hätte er wirklich eine Waffe gehabt und Sie bedroht, wäre der Schlag unter Notwehr gefallen. Ohne reale Gefahr ist es eben eine Putativnotwehr (vom Lateinischen „putare“ für „glauben“, „vermuten“).
Laut Judikatur des Obersten Gerichtshofes ist in ähnlicher Weise ein Putativnotstand auch auf Falschaussagen anwendbar, erklärt Kert. „Im Fall von Kurz und Bonelli würde das bedeuten: Der Richter glaubt ihnen nicht, dass sie im U-Ausschuss die Wahrheit gesagt haben, er glaubt ihnen aber, dass sie irrtümlicherweise Angst vor Strafverfolgung hatten und dass dies der Grund für die Falschaussagen war.“
Dazu müsste aber auch noch feststehen, dass es Kurz nicht zumutbar gewesen wäre, die Wahrheit zu sagen und sich den Konsequenzen zu stellen, ergänzt der Strafrechtler.
Freispruch mit Makel
Das Ergebnis wäre ein Freispruch – dieser hätte aus Sicht des um sein Image besorgten Kurz einen Makel: Es würde bedeuten, dass der Richter es als erwiesen erachtet, dass der damalige Kanzler bei der Auswahl der ÖBAG-Aufsichtsräte und bei der Bestellung des Ex-ÖVP-Intimus Thomas Schmid als Vorstand mitgemischt und im U-Ausschuss gelogen (oder zumindest nicht die ganze Wahrheit gesagt) hat.
Es würde auch bedeuten, dass der Richter dem Hauptbelastungszeugen Schmid Glauben schenkt – während Kurz und sein PR-Team seit Monaten alles daran setzen, dessen Glaubwürdigkeit zu zerstören.
Kurz und Bonelli wären gezwungen, das hinzunehmen. Gegen einen Freispruch könnten sie kein Rechtsmittel einlegen. Sie hätten also keine Chance, um einen „glatten Freispruch“ zu kämpfen.
Ein „glatter Freispruch“ käme aus Sicht von Experte Kert infrage, wenn der Richter Schmid für unglaubwürdig hält. Oder wenn er zur Auffassung kommt, dass Kurz gar nicht falsch ausgesagt hat, sondern seine Aussage einfach falsch interpretiert wurde.
Ohne klares Ergebnis
Eine andere Variante wäre der Freispruch im Zweifel. Hier müsste der Richter eingestehen, dass trotz aller Mühen auch nach zwölf Prozesstagen nicht zweifelsfrei geklärt werden konnte, ob Kurz nun bei der ÖBAG involviert war oder nicht.
Der Ex-Kanzler wurde immerhin von mehreren Zeugen entlastet. Andere – etwa Ex-Finanzminister Löger – hatten Erinnerungslücken beim Stichwort Kurz. Belastet wurde er nur von Ex-ÖBAG-Chef Schmid.
Im Falle eines Schuldspruchs drohen Kurz und Bonelli bis zu drei Jahre Freiheitsstrafe. Würde die Strafe ein Jahr nicht übersteigen, dann könnte stattdessen eine Geldstrafe verhängt werden.
Wie auch immer es am Freitag ausgeht – das letzte Wort wird noch lange nicht gesprochen sein. Einen Freispruch dürfte die WKStA anfechten, einen Schuldspruch die Verteidigung. Die Sache landet dann in nächster Instanz beim Oberlandesgericht – mit offenem Zeithorizont.
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