Wehrlos gegen das "Gerüchtsurteil"
Bei der #metoo-Aktion muss schon viel passiert sein, wenn sogar ein Menschenrechtsanwalt, der für die Grünen kandidiert hat, öffentlich für die Männerwelt in die Bresche springt. Georg Bürstmayr wendet in einem langen Facebook-Posting ein, dass man in der überkochenden Debatte um sexuelle Belästigung auch mal über die Beschuldigten sprechen müsse: Sie seien gesellschaftlichen "Gerüchtsurteilen" ausgeliefert, so der Jurist – ohne dass ihre Schuld je bewiesen sei.
Ein Umstand, den auch Peter Pilz kritisiert hat. Ungeachtet seiner Selbstinszenierung trifft er damit einen juristisch und gesellschaftspolitisch wunden Punkt: Denn in der Causa Pilz gab es weder ein rechtsstaatliches Verfahren noch ein Urteil. Die Gleichbehandlungsanwaltschaft, bei der sich die Klub-Mitarbeiterin beraten hat lassen, weil sie vom damaligen Grün-Mandatar belästigt worden sein soll, "ist ja kein Gericht", sagt Verfassungsjurist Bernd-Christian-Funk.
Die Stelle agiere zwischen "Ermittlung und Schlichtung"; sie berät, prüft Vorwürfe lediglich auf Glaubwürdigkeit, befragt aber keine Zeugen. Ein Verfahren, bei dem der Beschuldigte auch in alle Unterlagen Einsicht bekommt, gibt es nicht.
Urteil ohne Verfahren
Der Arbeitgeber ist also Richter ohne rechtlichen Rahmen – "und das ist eine wahnsinnig schwierige Situation: Er hat gegenüber Opfer und mutmaßlichem Täter eine Fürsorgepflicht", so Sandra Konstatzky von der Gleichbehandlungsanwaltschaft. Die werde aber oft missachtet – wenn Informationen an Belegschaft oder Öffentlichkeit dringen, kann das beiden schaden.
"Die Öffentlichkeit unterscheidet nicht", sagt Bürstmayr zum KURIER. "Statt einer Lösung gibt es dann ein Sittenurteil, in den Sozialen Netzwerken und Medien multipliziert sich das. Dagegen ist man als vermeintlicher Belästiger chancenlos."Einem Beschuldigten bliebe – wenn er etwa gekündigt wird – nur das Arbeitsgericht, allenfalls kann er noch wegen übler Nachrede klagen.
Ein juristisches Dilemma? Ja, sagen alle Experten: Es hapere nicht am Gleichstellungsgesetz, das ja bewusst angelegt niederschwellig ist, um es Frauen im Berufsleben zu erleichtern, Missstände zu melden – viele Betroffene wollen kein volles Verfahren, nur rasch eine Lösung. Problematisch sei vielmehr der Umgang der Unternehmen und der Öffentlichkeit mit Vorwürfen, die Existenzen vernichten können.
"Das bleibt meistens picken"
Freilich sei aber "alles, was über Unwohlsein hinausgeht, ohnehin ein Fall für das Strafrecht", sagt Bürstmayr. Die Gesetze wurden so verschärft, dass vieles erfasst sei. Doch auch beim novellierten Straftatbestand der sexuellen Belästigung muss man relativieren: Laut Statistik wird der Paragraf zwar oft genutzt (siehe Grafik rechts und Bericht unten), die Verurteilungen sind aber nicht entsprechend stark gestiegen. Was für die Freigesprochenen heißt: "Ein moralisches Urteil bleibt meistens picken", sagt Anwalt Bürstmayr.
(Evelyn Peternel, Raffaela Lindorfer, Birgit Seiser)
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