Was soll Kurz tun? 53 Prozent empfehlen Koalition "eher links der Mitte"
Das Meinungsforschungsinstitut OGM hat im Auftrag des KURIER eine letzte Umfrage vor der Nationalratswahl in zwei Wochen durchgeführt. Demnach geht die ÖVP mit Sebastian Kurz mit 35 Prozent durchs Ziel. Die SPÖ erhält 22 Prozent, die FPÖ 20. Die Grünen schaffen ein Comeback mit elf Prozent, Neos legen auf acht zu.
Was soll Sebastian Kurz mit seinem Erfolg tun? Soll er sich eher nach rechts zur FPÖ oder eher nach links zu Parteien wie SPÖ, Neos und Grünen wenden? Das Ergebnis der OGM-Umfrage: 32 Prozent der 2167 Befragten sind für die Rechts-Koalition, 53 Prozent für die Links-Koalition.
OGM-Chef Wolfgang Bachmayer: "Praktisch alle Anhänger der Mitte-Links-Parteien und die Hälfte der ÖVP-Wähler sind für eine Mitte-Links-Koalition."
Eine Mehrheit im Nationalrat haben laut der Umfrage Türkis-Blau, Türkis-Rot und Türkis-Grün-Neos. Der KURIER klopfte die drei Varianten auf ihre Wahrscheinlichkeit ab: Was spricht jeweils dafür, was dagegen?
Türkis-Blau: Zweiter Aufguss, hohes Risiko
Was für und was gegen eine Regierung aus ÖVP und FPÖ spricht:
Inhalt Kein Problem. Der alte Koalitionspakt könnte übernommen, eventuell durch Transparenz- und Klimaschutzmaßnahmen ergänzt werden.
Sympathie Das Misstrauen zwischen ÖVP und FPÖ ist enorm, die Atmosphäre zwischen den Partnern der angeblich so harmonischen Ex-Regierung ist durch wechselseitige Verdächtigungen belastet. In der FPÖ glauben viele, dass Sebastian Kurz von dem Ibiza-Video wusste, es vielleicht sogar erwarb und medial platzierte. In der ÖVP wiederum wird die FPÖ verdächtigt, den Datenklau in der ÖVP-Zentrale beauftragt zu haben, weil sie Hinweise auf das Ibiza-Video zu finden hoffte. Und nun würde die FPÖ die ÖVP-Buchhaltung kleinweise im Wahlkampf gegen die ÖVP ausspielen. Für beide Verdächtigungen gibt es keine Beweise, sie zeigen aber, welches Klima herrscht.
Davon abgesehen birgt eine Neuauflage von Türkis-Blau für Sebastian Kurz ein großes Risiko: Er könnte nicht noch einmal vorzeitig wählen lassen, falls die FPÖ wieder „Grauslichkeiten“ (Kurz) begeht. Noch eine Neuwahl aus demselben Grund würde auch Kurz politisch mitreißen. Daraus leitet sich ab: Die FPÖ könnte sich in einer künftigen Koalition aufführen, wie sie will, Kurz müsste es schlucken und mitverantworten. Und selbst wenn sich die FPÖ anfangs bemüht und sie Herbert Kickl nicht zum Minister macht, ist unsicher, wie lange der Frieden halten würde. Die FPÖ hat seit 1945 noch keine einzige ihrer vier Regierungsperioden auf Bundesebene durchgehalten.
Dass sich Parteichef Norbert Hofer mit den ÖVP-Spitzen Kurz und Gernot Blümel bestens versteht, spricht für Türkis-Blau II.
Außenwirkung Nach allem, was passiert ist – und das Ibiza-Video ging um die Welt – , noch einmal die FPÖ in die Regierung zu holen, würde das Image von Kurz in Europa und darüber hinaus beeinträchtigen. Die europäischen Medien, in denen Kurz so gern glänzt, würden ihn wohl nicht mehr so hypen wie bisher. Auch zu Hause müsste Kurz vom ersten Tag an mit Gegenwind rechnen: Aus der Hofburg. Von der Straße. Im Parlament. In der ÖVP, wo immer mehr Funktionäre fürchten, dass der schlechte Ruf der FPÖ auf sie abfärbt.
Wahrscheinlichkeit Stufe 2
Türkis-Rot: Die Angst vor den alten Blockaden
Was für und was gegen eine Regierung aus ÖVP und SPÖ spricht:
Inhalt Schwierig. Sebastian Kurz will mit Veränderung Punkte sammeln. Er hat die Sorge, dass die Sozialpartner vieles blockieren könnten. Wie aus der ÖVP zu hören ist, will Kurz in dem Fall, dass Türkis-Rot als einzige Variante übrig bleibt, eine Art Selbstverpflichtung der Sozialpartner, von Blockaden abzusehen. Die SPÖ will aber genau das Gegenteil, sie will den Einfluss der Arbeitnehmervertretung wieder stärken. In manchen inhaltlichen Bereichen wie Grenzschutz oder keine CO2-Steuern sind sich ÖVP und SPÖ einig.
Sympathie Das Verhältnis zwischen SPÖ und ÖVP ist sehr belastet, die Stimmung schwankt zwischen frostig und offen feindselig. Sebastian Kurz kann ideologisch nicht mit der SPÖ und ist als Meidlinger auf die Dominanz der SPÖ-Wien allergisch. Die Abwehrreaktionen beruhen auf Gegenseitigkeit, Kurz ist für viele Sozialdemokraten ein Feindbild. Er hat der SPÖ das Kanzleramt abgejagt, er hat die Gewerkschafter in der Sozialversicherung und in der Nationalbank abmontiert und als Kanzler weder mit den roten Landeshauptleuten noch mit der roten Opposition im Parlament den Kontakt gesucht.
Kurz’ Lieblingsansprechpartner in der SPÖ ist Burgenlands Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Doch dieser wird nach der Nationalratswahl in der Bundespolitik keine Rolle spielen, er muss sich auf seine Landtagswahlen konzentrieren. Das Burgenland hatte bei der EU-Wahl im Mai erstmals seit Jahrzehnten eine ÖVP-Mehrheit und dürfte auch bei der Nationalratswahl türkis werden. Der starke Mann in der SPÖ nach der Nationalratswahl wird Wiens Bürgermeister Michael Ludwig sein. Kurz müsste sich mit Ludwig zusammen raufen. Ludwig ist zwar ein Großkoalitionär, aber auch ein überzeugter Sozialpartner. Und in dieses Gefüge – siehe oben – will sich Kurz nicht einpassen.
Außenwirkung Türkis-Rot wäre „solide aber fad“, heißt es im türkisen Headquarter. Das stimmt: Die Österreicher bekämen die gewohnte Koalition, die Chancen, dass sie fünf Jahre überdauert, wären hoch. Der Glamourfaktor wäre allerdings bescheiden: der übliche Trott, mal besser, mal schlechter.
Wahrscheinlichkeit Dritte Wahl
Türkis-Grün-Neos: Ein Experiment mit Charme
Was für und was gegen Türkis-Grün-Neos spricht:
Inhalt Die ÖVP müsste von einer Partei, die zuletzt eine rechtskonservative Regierung geführt hat, zu einer werden, die linksliberale Inhalte vertritt. Schwierig, aber möglich: Parteichef Kurz müsste einige Zugeständnisse machen (etwa beim Asyl- und Sicherheitsthema), in den großen Themen finden sich aber durchaus Überschneidungen.
Für die Grünen steht eine ökosoziale Steuerreform an oberster Stelle – damit können auch ÖVP und Neos etwas anfangen. Die Neos legen den Fokus auf Bildung und Transparenz – zwei alte Lieblingsthemen der Grünen. Die ÖVP wirbt im Wahlkampf mit Entlastung, ebenso die „Unternehmerpartei“ Neos. Und: Beide sind für eine leistungsorientierte Gesellschaft. Gröbere Dissonanzen dürfte es deshalb im Wirtschafts- und im Sozialbereich mit den Grünen geben. Wobei Vorarlbergs Landesregierung etwa bei der Mindestsicherung gezeigt hat, dass die Grünen durchaus Restriktionen nach Wunsch der ÖVP mittragen, ohne das Gesicht zu verlieren.
Unterm Strich könnte die Lösung sein: jede der drei Parteien bekommt im Regierungsprogramm drei oder vier Leuchtturmprojekte, beim Rest braucht es viel Kulanz.
Sympathie Bei den Grünen – vor allem in Wien, nicht im Westen – müsste wohl viel Überzeugungsarbeit geleistet werden, mit Kurz in eine Koalition zu gehen. Und der Regierungsalltag wäre wohl auch nicht einfach: Eine Dreierkoalition hat es in Österreich auf Bundesebene noch nie gegeben, sie wäre ein Experiment. Die kleinen Parteien haben keine Regierungserfahrung (nur in einzelnen Ländern) – sie werden aber beweisen wollen, dass sie es besser können als die FPÖ. Das sollte das Neuwahlrisiko reduzieren. Grüne und Neos müssten als Juniorpartner zusammenhalten – es besteht die Gefahr einer tödlichen Umarmung durch die übergroßen Türkisen. Die beiden eint schon jetzt das Ziel, Türkis-Blau II zu verhindern.
Außenwirkung Türkis-Grün-Neos passt zur Art von Sebastian Kurz, Politik zu machen. Es ist eine neue Erzählung: von einem Kanzler, der Neues wagt, der Vorreiter ist in Europa, der Reformen anpackt, sich des Klimaschutzes und der Transparenz annimmt.
Wahrscheinlichkeit Mittel bis hoch
5 Prozent der Wähler noch unentschlossen
An den Stimmenstärken dürfte sich - so nicht etwas Unerwartetes passier - bis zur Wahl nicht mehr viel ändern. Der Grad der Entschlossenheit unter den Wählern ist bereits hoch. „Nur mehr fünf Prozent der sicheren Wahlteilnehmer sind noch gänzlich unentschlossen“, sagt Bachmayer. Diese Zahl ist ein weiteres Indiz, dass der laufende Wahlkampf nicht viel bewegt. Die aktuelle OGM-Umfrage weicht nur minimal von dem Umfrageergebnis vor vier Wochen ab. Demnach hat lediglich die SPÖ einen Prozentpunkt nachgegeben, die Liste Jetzt minimal zugelegt.
Kurz stärker als ÖVP
So deutlich die ÖVP in den Umfragen vorne liegt, noch deutlicher ist das Übergewicht, das ÖVP-Chef Kurz bei der Kanzlerfrage hat. Fast die Hälfte der Befragen würde ihm bei einer Bundeskanzler-Direktwahl die Stimme geben. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner und FPÖ-Obmann Norbert Hofer kommen hier ziemlich genau auf die Werte, die ihre Parteien in der Umfrage haben. Lediglich der grüne Spitzenkandidat Werner Kogler liegt in der Kanzlerfrage deutlich unter dem Wert seiner Partei.
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