Was passiert, wenn Grün (mit)regiert
Nach dieser Nationalratswahl haben die Grünen eine Chance, erstmals in eine Bundesregierung einzuziehen, und zwar – laut Umfragen – am ehesten mit der ÖVP.
Für so manchen eine unvorstellbare Konstellation. Aber ist sie das wirklich? Im Westen, wo die Grünen mit drei schwarzen Landeshauptleuten regieren, funktioniert es bestens, wie der KURIER vor Ort in den drei Bundesländern Vorarlberg, Tirol und Salzburg recherchierte.
Tirols ÖVP-Landeshauptmann Günther Platter wagte sich anfangs an das schwarz-grüne Experiment, weil er sich "frischen Wind" versprach. Nach einem Jahr Zusammenarbeit fühlte er sich bestätigt: "Schwarz-Grün rockt", schwärmte Platter 2014.
Die Begeisterung des Schwarzen über die Grünen hält sich nun schon die zweite Legislaturperiode. Beim Weltbild gäbe es "keine Gegensätze", sagte Platter nach der Neuauflage im Vorjahr im KURIER-Doppelinterview mit seiner grünen Stellvertreterin Ingrid Felipe. Und war überzeugt: "Diese Koalition ist keine Single, sondern eine Langspielplatte."
Bloß kein Streit
Damit diese Platte keine Kratzer erleidet, wurde von Anfang an das Credo ausgegeben: Kein Streit nach außen. Ein echter Krach ist bis heute nicht erinnerlich. Das gilt auch für Salzburg und Vorarlberg, wo es die VP-Landeschefs Wilfried Haslauer und Markus Wallner 2013 und 2014 Platter gleichtaten.
Für das neue Farbenspiel wurden vermeintlich hohe Hürden jeweils erstaunlich leichtfüßig übersprungen. Bei der ersten schwarz-grünen Koalition in Tirol etwa musste die Öko-Partei große Kraftwerksprojekte und mehrere Skigebietserweiterungen außer Streit stellen. Die Grünen hofften dabei insgeheim auf den negativen Ausgang in den Behördenverfahren.
Die ÖVP rückte wiederum von ihrem Widerstand gegen "Tempo 100" auf der Autobahn ab und gewährte dem Landesumweltanwalt Weisungsfreiheit. Den Kampf gegen den Transitverkehr hat Platter inzwischen gar zur Chefsache erhoben. Und die von Felipe forcierte Vergünstigung der Öffi-Tickets verkauft auch die ÖVP gerne als Erfolg.
Es regiert der Pragmatismus. Die VP-Landeshauptleute müssen in dieser Konstellation mitunter Quertreiber aus den eigenen Reihen einfangen. Die Grünen balancieren als Junior-Partner hingegen stets auf dem Drahtseil der Glaubwürdigkeit gegenüber ihren Stammwählern.
In Salzburg trat Astrid Rössler 2013 etwa mit dem Versprechen an, dass eine umstrittene Stromtrasse niemals kommen werde. Als Umweltlandesrätin musste sie den Bau schließlich bewilligen. Aus der Landespolitik hat sich Rössler inzwischen verabschiedet. Sie kandidiert nun für den Nationalrat.
Schwarz-Grün-Pink
- Einführung einer CO2-Steuer inklusive Rückzahlung eines 500-Euro-Bonuses: Bei einem CO₂-Preis von 100 Euro würde das bedeuten: Wer mehr als fünf Tonnen pro Jahr emittiert, zahlt drauf – wer weniger verbraucht, profitiert finanziell.
- Aus für fossile Subventionen: Das betrifft das "Dieselprivileg" oder die Pendlerpauschale, die "klimafair" umgebaut werden soll. Sofern am Land umweltfreundliche Alternativen für Pendler fehlen, sollen Härtefälle finanziell entschädigt werden.
- Aus für neue Benzin- oder Diesel-Pkw ab 2030 zugunsten der Elektromobilität.
- Aus für 140 km/h-Strecken auf den Autobahnen.
- Besteuerung von Kerosin (Flugbenzin) auch im nationalen Alleingang, sofern es keine EU-Einigung gibt. Keine dritte Piste in Schwechat.
- 1-2-3-Öffi-Ticket um einen Euro pro Tag (für ein Bundesland), zwei Euro (für zwei Bundesländer) oder drei Euro (für ganz Österreich). Zudem bessere Infrastruktur für Fußgänger und Radfahrer.
- Eine Raumordnungs-Reform soll die klimafeindliche Zersiedelung und den Bodenverbrauch stoppen.
Haslauer hat indes mit den Grünen verlängert und die Neos mit ins Boot geholt. Die schwarz-grün-pinke Salzburger Landesregierung gilt als Role Model für den Bund mit realistischen Chancen auf eine Mehrheit. Tatsächlich läuft auch diese Zusammenarbeit an der Salzach weitgehend friktionsfrei ab. Grün und Pink müssen einzig aufpassen, von der neuerdings allmächtigen ÖVP nicht zu Tode umarmt zu werden.
Die Grünen haben dafür nun ÖVP-Landesrat Josef Schwaiger als Reibebaum auserkoren. Einerseits will er, um die Wohnkosten zu senken, dass nicht mehr jede gemeinnützige Wohnung barrierefrei gebaut wird. Für die Grünen ein No Go. Andererseits war er als Unterstützer schnell zur Stelle, als Rufe nach dem Abschuss eines Wolfs laut wurden. Zum Koalitionsstreit reichen derartige Konflikte nicht.
Im äußersten Westen steht Schwarz-Grün im Herbst bei den Vorarlberger Landtagswahlen am 13. Oktober auf dem Prüfstand. Landeshauptmann Wallner und sein grüner Stellvertreter Johannes Rauch bildeten in den vergangenen fünf Jahren ein harmonisches Tandem. Fortsetzung sehr wahrscheinlich.
Ministrable Grüne
Für die Grünen könnte sich im Herbst unter Umständen auch die Frage nach einer Regierungsbeteiligung im Bund stellen. Sie sehen sich personell für diese Eventualität durchaus gerüstet. "Wir haben in fünf Bundesländern Regierungserfahrung gesammelt", sagt eine hochrangige Grüne. Als ministrabel wird im Westen mit Astrid Rössler die ehemalige Stellvertreterin von Wilfried Haslauer genannt.
Der gilt als väterlicher Freund von Bundes-VP-Chef Sebastian Kurz. Und der wiederum bei Grünen als Reizfigur – insbesondere aufgrund seiner im Verbund mit der FPÖ propagierte Ausländerpolitik während Türkis-Blau.
Im schwarz-grünen Westen vermochte diese Thematik die Koalitionen nicht ins Wanken zu bringen. In puncto Mindestsicherung einigte man sich etwa zwar auf Kürzungen, sah jedoch von Deckelungen und Wartezeiten ab. Die Grünen verkauften den Kompromiss als Abwehr noch grauslicherer Einschnitte. Pragmatismus pur.
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