Warum sich die EU mit Flüchtlingen so schwer tut
Bei einem Punkt waren sich die EU-Innenminister am Freitag beim Sondertreffen einig: Das europäische Asyl- und Migrationssystem funktioniert nicht. Lösungen sind dennoch nicht in Sicht.
Warum findet die EU zu keiner gemeinsamen Flüchtlingspolitik? Es hat schon viele Anläufe für eine gemeinsame Asyl- und Migrationspolitik gegeben. In der Zeit der großen Flüchtlingswellen 2015/16 wollte man per Quote vereinbaren, wie viele Flüchtlinge jeder Staat aufnehmen muss. Das hatte keine Chance auf Umsetzung. Zu unterschiedlich gehen die einzelnen Staaten mit dem Thema Asyl um. Das reicht von einer Willkommenskultur bis zu einem rigorosen Abschotten.
Warum funktionieren die Dublin-Verordnungen nicht mehr? 2014 ist eine EU-Verordnung in Kraft getreten, mit der festgelegt wurde, wo ein Asylverfahren abgehalten werden muss: in jenem Staat, in dem ein Flüchtling das erste Mal registriert worden ist. Wenn er dann weiterzieht, kann er in diesen Staat zurückgebracht werden. Das ist praktisch außer Kraft gesetzt. Es geht sogar so weit, dass viele Staaten bewusst auf eine Registrierung verzichten, damit ein Flüchtling nicht zurückgeschickt werden kann. Obwohl Österreich ein EU-Binnenland ist, wurden heuer rund 75.000 Flüchtlinge hier erstmals registriert.
Was könnte der Ausweg aus diesem europäischen Dilemma sein? Immer wieder wurde und wird ein System gefordert, das Asylzentren außerhalb der EU vorsieht. Dort würden die Verfahren abgewickelt, und nur Asylberechtigte könnten dann in einen Staat der Europäischen Union gelangen. Experten allerdings haben stets davor gewarnt, weil solche Sammellager logistisch ein riesiger Aufwand wären.
Warum sind so viele Flüchtlinge in Österreich? In den Jahren 2015 und 2016 gab es drei europäische Länder, die gemessen an der Einwohnerzahl die meisten Flüchtlinge aufgenommen hatten: Österreich, Deutschland und Schweden. Skandinavien ist mittlerweile auf einen rigorosen Flüchtlingskurs umgeschwenkt. Deutschland und Österreich tragen somit die Hauptlast bei jenen Menschen, die über die Balkanroute kommen. Mitte des Jahres gab es sehr viele Flüchtlinge, für die Österreich nur ein Durchreiseland war. Allerdings hat jetzt auch Deutschland die Grenzkontrollen verschärft.
Wie viele Asylwerber sind in Österreich? Für das heurige Jahr rechnet das Innenministerium mit rund 100.000 Asylanträgen. Derzeit sind 91.600 Asylwerber in der Grundversorgung. Davon sind allerdings 56.000 Kriegsvertriebene aus der Ukraine, die in den EU-Staaten aufgrund einer temporären Richtlinie nicht um Asyl ansuchen müssen, sondern sofort Schutz genießen. Die größte Flüchtlingsgruppe, die über den Balkan kommt, bilden weiterhin die Afghanen.
Warum suchen auch so viele Inder um Asyl an? Es sorgte doch für eine große Überraschung, als im Juli plötzlich die Inder die Liste der Asylwerber anführten. Vor allem, weil diese fast ausschließlich abgelehnt werden. Genauso wie Tunesier, die ebenfalls vermehrt nach Österreich kommen. Die Inder stammen meist aus dem Punjab, wo religiöse und politische Konflikte den Alltag bestimmen. Sie wollen nach Europa, um hier Arbeit zu finden. Chance auf Asyl haben sie kaum. Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) will deswegen, dass solche Menschen sofort zurückgewiesen werden können und gar kein Asylverfahren durchlaufen. So einer Zurückweisungsrichtlinie wird aber von EU-Rechtsexperten wenig Chance gegeben, weil das im Widerspruch zu dem europäischen Grundrecht stehe, dass ein Antrag geprüft werden müsse.
Warum spielt Serbien so eine wichtige Rolle? Gleich mehrmals traf sich Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) mit Serbiens Präsident Aleksandar Vučić, um die Flüchtlingsfrage zu diskutieren. Der Grund: Serbien gewährt Staaten wie Indien, Tunesien oder auch vielen afrikanischen Staaten Visafreiheit. Damit sind Flüchtlinge aus diesen beiden Staaten meist in Belgrad gelandet und wurden dann von dort – meist mithilfe von Schleppern – nach Zentraleuropa gebracht. Serbien hat nun eingelenkt und die Visafreiheit für Tunesien und für Ruanda bereits beendet.
Warum gibt es in Österreich zu wenige Flüchtlingsquartiere? Die große Flüchtlingswelle 2015/16 hatte schon aufgezeigt, dass es in Österreich zu wenige Quartiere für Menschen in der Grundversorgung gibt. Damals wurde ebenfalls mit Hochdruck in allen Bundesländern nach Unterkünften gesucht. Als dann die Zahlen wieder zurückgegangen sind, wurden diese Quartiere abgebaut. Das Innenministerium musste sich sogar scharfe Kritik vom Rechnungshof gefallen lassen, weil manche Quartiere für zu lange Zeit angemietet worden waren. Der Bund hat mittlerweile seine Unterkünfte wieder aufgestockt, die Bundesländer hinken hinterher. Nur Wien und das Burgenland erfüllen die vereinbarte Aufnahmequote. Akut wurde das Problem, als Zelte aufgestellt wurden, um Flüchtlinge unterzubringen. Am Freitag haben die Flüchtlingsreferenten der Bundesländer darüber verhandelt, dass Quartiergeber künftig mehr Geld bekommen sollen, vor allem, wenn Menschen mit Behinderungen und unbegleitete Minderjährige betreut werden.
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