Da sitzt man also im feinen Zwirn in Bregenz. Oder in Salzburg. Applaudiert, schwitzt, schüttelt Hände und freut sich. Nach zwei Jahren Pandemie hat die Kulturnation Österreich ihre Festspiele ohne Corona-Beschränkungen zurück.
Einer aber fehlt in diesem Jahr da wie dort: Karl Nehammer. Er lässt seine Festspiel-Premieren als Kanzler sausen.
Nun ist der ÖVP-Chef nicht unbedingt für seine ausgeprägte Leidenschaft für klassische Musik bekannt – einen Auftritt bei den Festspielen lassen sich Österreichs Regierungschefs traditionell aber selten entgehen.
Warum also wirft sich der Kanzler heuer nicht in Smoking und Kummerbund? Die Bekämpfung der Teuerung und der Energiekrise gehe vor, heißt es aus dem Kanzleramt. Die Lage habe sich zuletzt zugespitzt, die Dynamik an Tempo gewonnen, sodass man nun konzentriert Einzelgespräche über den möglichen Preisdeckel führen müsse.
Meinungsforscher und OGM-Chef Wolfgang Bachmayer hält das Fernbleiben Nehammers angesichts dessen für „verständlich“ und „richtig“.
Auch Deutschlands SPD-Kanzler Olaf Scholz wird die Bayreuther Festspiele nicht besuchen. Für seine Vorgängerin, Angela Merkel, war Bayreuth stets ein Fixtermin – sie wird übrigens auch heuer bei den Wagner-Festspielen dabei sein.
Die Entscheidung der amtierenden Staatschefs gegen die Hochkultur dürfte wohl auch einer zeitlichen Koinzidenz geschuldet sein. Am Donnerstag (21. Juli), wird sich entscheiden, ob Nord Stream 1 nach der Wartung wieder Gas aus Russland fördern wird. Sollte das nicht der Fall sein und am selben Tag Bilder der Regierungsspitze lächelnd, in eleganten Roben auf dem roten Teppich Titelseiten und Klatschspalten zieren, wirkt das wie eine zynische Persiflage auf die Weltenlage.
„Es geht um die Symbolik, die Macht der Bilder, wenn der Kanzler im Smoking und seine Frau im Abendkleid bei den Festspielen sind, während die Welt im Krisenmodus ist. Denn es sind die Bilder, die übrig bleiben und aus dem Archiv gezogen werden“, sagt Bachmayer. Üblicherweise sind die Besuche am Bodensee oder an der Salzach im besten Fall mit Arbeitsgesprächen mit Amtskollegen und internationalen Spitzenrepräsentanten aus Politik und Wirtschaft verbunden. Wichtige Termine zum Netzwerken fallen durch Nehammers Absage aber nicht flach; es seien keine vereinbart gewesen, so die Information aus dem Bundeskanzleramt.
Unterschiedliche Infos gab es indes über den Besuch des Bundespräsidenten bei einer Premiere in Salzburg. Grund: Teodor Currentzis’ Dirigat von „Herzog Blaubarts Burg“ und „De temporum fine comoedia“. Dem griechisch-russischen Künstler wird Putin-Nähe vorgeworfen, weshalb Kritiker gegen seine Auftritte im Westen argumentieren. In Wien wurde daher ein zusätzliches Charity-Konzert abgesagt.
In Präsidentschaftskanzlei soll dem Vernehmen nach diskutiert worden sein, ob eine Teilnahme Van der Bellens an der Premiere politisch opportun – und mehr noch, moralisch vertretbar sei. Die Entscheidung fiel für den Besuch aus. Auch in Salzburg sehen lassen wird sich Vizekanzler und Kulturminister Werner Kogler. Der Grünen-Chef blieb am Mittwoch wegen seiner Corona-Infektion zu Hause in Wien, wird aber laut KURIER-Infos an den Antiteuerungs-Gesprächen und an der Eröffnung der Salzburger Festspiele teilnehmen. Tags darauf muss er wieder in Wien sein – beim Sommerministerrat.
Kommentare