Droht die gleiche Situation wie bei der Flüchtlingskrise 2015 und 2016?
Die Lage sei angespannt, von einem „Notstand“, wie die aktuellen Maßnahmen vermutenlassen, könne aber keine Rede sein, sagt Lukas Gahleitner-Gertz von der Asylkoordination Österreich. Ende 2015 waren zwar ähnlich viele Personen wie heute in Grundversorgung (knapp 80.000), da handelte es sich aber fast ausschließlich um Asylwerber, die für die Dauer ihres Verfahrens in Österreich untergebracht und versorgt werden mussten. Heute ziehe ein Großteil der hier registrierten Asylwerber in andere Länder weiter, sagt Gahleitner-Gertz.
Warum werden jetzt Zelte errichtet?
Das Innenministerium sagt, dass dies wegen der hohen Zahl an Geflüchteten notwendig sei. Die Bundesbetreuungsagentur (BBU) appelliert an die Länder, geeignete Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Nur Wien und das Burgenland erfüllen derzeit ihre Quote (siehe Grafik).
Wer wird in den Zelten untergebracht? Und ist das eigentlich erlaubt?
Laut EU-Aufnahmerichtlinie müssen „angemessene Lebensstandards“ gewährleistet sein – ein dehnbarer Begriff. Und: Den Mitgliedsstaaten wird zugestanden, von ihren gewohnten Standards abzuweichen, wenn die „üblicherweise verfügbaren Kapazitäten vorübergehend erschöpft sind“. Nur Männer mit geringen Bleibechancen sollen in Zelten untergebracht werden, Frauen und Kinder nicht.
Ist das wirklich notwendig? Was sagen Kritiker?
Ein Vorwurf lautet, dass es sich bei den Zelten nur um eine politische Abschreckungsaktion handle. Eigentlich müssten genügend „echte“ Quartiere da sein, sagt Gahleitner-Gertz. Nur wollen manche Länder, etwa Oberösterreich, ihre Kapazitäten für Ukrainer freihalten, die noch kommen könnten.
Wie viele Zelte wurden bisher aufgestellt und wo?
Am Wochenende sind in Kärnten und Oberösterreich insgesamt 25 beheizte Acht-Personen-Zelte aufgestellt worden. Jeweils fünf in Villach und Klagenfurt und weitere 15 in St. Georgen im Attergau. Weitere Standorte sollen in Tirol und Vorarlberg aktiviert werden. Eine Zustimmung der Länder braucht es nicht – die Zelte stehen auf Flächen des Bundes.
Wie reagieren die Bundesländer auf die Zelte?
Negativ – und zwar unabhängig von der Parteifarbe. In Vorarlberg sagt der zuständige ÖVP-Landesrat Christian Gartner: „Wir werden keine Zelte aufstellen.“ Tirol wehrt sich ebenfalls gegen die Flüchtlingszelte, will stattdessen geeignete Gebäude suchen. Im Burgenland spricht die SPÖ von einem „Totalversagen“ der Bundesregierung und auch der dortige ÖVP-Klubchef meint, dass sich die kritische Lage durch Zelte nicht weiter zuspitzen dürfe. Auch für die FPÖ in Niederösterreich kommen Zelte für Geflüchtete „nicht in Frage“.
Kommt die Situation überraschend?
Ein nüchterner Blick auf die Zahlen reicht wohl, um diese Frage zu beantworten: Laut Innenministerium wurden in Österreich heuer bereits 472 Schlepper festgenommen – ein Allzeit-Hoch, es sind bereits 30 Festnahmen mehr als im gesamten Jahr 2021. Bundesweit wurden seit Jahresbeginn rund 87.000 illegale Grenzübertritte registriert. Die SPÖ-Burgenland erklärt, dass sie schon seit Monaten auf die schwierige Situation hinweisen würde. An der burgenländischen Grenze kämen pro Woche 3.000 bis 4.000 Menschen illegal ins Land.
Spitzt sich nur in Österreich die Situation zu?
Auch Deutschland will Zelte aufstellen. In Leipzig etwa sollen zwei Zeltstädte für 440 Menschen entstehen. Das sei aber nur eine Übergangslösung bis zum Winter – ab da könnten Turn- und Messehallen in Quartiere umgewandelt werden.
Was wird auf europäischer Ebene getan?
Am 20. Oktober findet die jährliche Tagung zum „Berlin Prozess“ statt. Diese Initiative wurde 2014 gegründet, um die Schleppereibekämpfung auf dem Westbalkan voranzutreiben. Karner hat mit seiner deutschen Amtskollegin Nancy Faeser am Wochenende bereits Vorgespräche geführt.
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